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Manfred A. Schmid bespricht:
Was den Bischöfen nicht gefällt.
Zu Florentina Holzingers "respektloser Persiflage",
der Performance-Oper „Sancta“
bei den Wiener Festwochen

Die erst ab 18 Jahren freigegebene Festwochen-Koproduktion mit mehreren namhaften europäischen Bühnen, im Mai am Mecklenburgischen Staatstheater (Schwerin) uraufgeführt, wurde mit folgenden Hinweisen angekündigt: Die Vorstellung enthält selbstverletzende und sexuelle Handlungen sowie Darstellungen und Beschreibungen von (sexueller) Gewalt. In der Vorstellung werden Stroboskopeffekte eingesetzt, sowie Blut und Nadeln verwendet.

Saara Lancerio und Netti Nueganen. Saara Lancerio und Netti Nueganen.

Das kommt österreichischen Kunstinteressierten bekannt vor und erinnert an Hermann Nitschs Orgien- und Mysterien-Theater, das sich ebenfalls mit religiös-kultischen Bräuchen der katholischen Kirche auseinandersetzte und in dem Blut und kultische Handlungen eine wichtige Rolle spielten. Darum geht es auch der österreichischen Performance-Künstlerin Florentina Holzinger, die zu ihrer Motivation, die sich in ihrer feministischen Grundhaltung vom malenden Oberpriester Nitsch allerdings fundamental unterscheidet, folgendes zu sagen hat: Wenn man in einem katholisch geprägten Land wie Österreich aufgewachsen ist, hat das – würde ich selbstreflektierend sagen – immer schon einen Einfluss gehabt auf meine Arbeit. Eine gewisse Symbolik, und natürlich auch der Umgang mit Weiblichkeit – wenn man sagen würde, dass die Körpermoral der Kirche als spezifisch frauenfeindlich gelesen werden kann. Insofern war das für mich ein gefundenes Fressen, mich dezidiert mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

Das macht Holzinger in ihrer Performance-Oper Sancta, in der sie an den Anfang die Oper Sancta Susanna von Paul Hindemith stellt, in der eine Nonne, die im Sinnesrausch nackt das Christuskreuz umarmt, zur Strafe lebendig eingemauert wird. Diesem düsteren Exempel rigoroser Leibfeindlichkeit lässt sie eine lustvoll gefeierte heilige Messe folgen, ausschließlich mit nackten oder in schwarze Nonnengewänder gekleideten Frauen (Letztere mehrheitlich Sängerinnen des Opernchores aus Mecklenburg) und Transpersonen. 

Statt religiöser Disziplinierung und Bestrafung von Sexualität geht es da um Selbstermächtigung zu sexueller Freiheit und Lust. Ausgehend jeweils von liturgischen Eckpfeilern einer traditionellen Messfeier, die aber neu interpretiert und transzendiert werden.

Cornelia Zink (Susanna), Netti Nueganen und Jasko Fide. Cornelia Zink (Susanna), Netti Nueganen und Jasko Fide.

Sancta Susanna, die einaktige Oper Hindemiths, 1922 uraufgeführt, ist ein Exempel expressionistischen Musiktheaters, hat zudem aber auch impressionistische Züge aufzuweisen. Musikalischer Ausgangspunkt ist ein einziges Thema, das in einer Abfolge von Variationen den dramatischen Konflikt zwischen Sinnlichkeit und Askese mit fortwährendem Crescendo schildert, bis es schließlich in einem erschütternd grellen Schrei der Nonne (Cornelia Zink) kulminiert. Zuvor hat sie, in einer lauen Mainacht schlaflos herumirrend, von einer älteren Nonne von der Geschichte der eingemauerten Nonne erfahren. In weiterer Folge gerät sie, angeregt durch das Liebesgestöhn eines Paares, das durch das Fenster hereindringt, ebenfalls in eine erotische Ekstase und fordert, als sie dabei von herbeieilenden Schwestern ertappt wird, für sich dieselbe Strafe, wie sie ihrer Vorgängerin widerfahren ist. 

Hindemith schildert das nicht romantisch-anteilnehmend, sondern – im Sinne der damals tonangebenden Neuen Sachlichkeit – kühl und distanziert. Hervorragend gespielt von der Mecklenburgischen Staatskapelle Schwerin unter der Leitung von Marit Strindlund. Das, was im Original nur mittels Tönen, die von außen hereingetragen werden, übermittelt wird, wird in Holzingers Performancekunst allerdings zu Fleisch und Blut. 

Zwei Frauen betreten liebkosend die Bühne und befriedigen sich, an einem großen Kreuz angelangt, gegenseitig oral, was dann nahtlos in ihr buntes, gut zweistündiges Performance-Spektakel übergeht. Untermalt von Musik u.a. von Bach, Gounod und Rachmaninow, aber auch von Heavy Metal, Rock und Pop, sowie von zeitgenössischen Komponistinnen und Komponisten wie Johanna Doderer, Eminem oder Born in Flamez.

Das Dargebotene entpuppt sich als eine große Show mit zirkusartigen, artistischen und akrobatischen Einlagen, starker Musik, einprägsamen Bildern und viel nackter Haut. Da gibt es rasant auf der Halfpipe skatende Nonnen zu bewundern, andere betätigen sich auf einer Kletterwand, die sich später in die Kern-Szene von Michelangelos Sixtinischer Kapelle verwandeln und mit Hämmern bearbeitet wird, bis auch die letzten Reste des Freskos der Erschaffung Adams durch Gott als Schutt zu Boden fallen: Die Dominanz der Männer ist zerbrochen. 

Blathin Eckhardt, Xana Novais Blathin Eckhardt, Xana Novais

Zu sehen sind weiters eine riesengroße Glocke, als deren Schwängel eine Frau hochklettert und sie zum Klingen bringt, sowie ein gewaltiges Weihrauchgefäß, das weit ausschwingt, weil zwei Frauen es wippend im Schwung halten, während rechts und links zwei Nonnen mit Weihrauchkesseln die Zuschauertribüne hinaufschreiten, damit auch das Publikum in den Genuss des Weihrauchs kommen kann. 

Den traditionellen Gepflogenheiten einer katholischen Messe gemäß darf eine Kommunion natürlich nicht fehlen. Damit sie durchgeführt werden kann, wird zuvor – in einer an den ungläubigen Thomas erinnernden Episode – einer Körperkünstlerin mit einem Skalpell die Haut aufgeschlitzt und ein Stückchen Fleisch entnommen, so dass dann jemand, wie es in der Bibel heißt, seinen Finger in die so entstandene Wunde legen kann. 

Wer will, kann diese Prozedur auf der Leinwand rechts und links der Bühne in Großaufnahme mitverfolgen. Man kann aber auch, wie der Rezensent, wegschauen. Was folgt ist dann wohl so etwas wie eine Kommunion, vorgeführt als kannibalischer Akt. Auch den Wein, der in das Blut verwandelt wird, gibt es. Eine schwedische Magierin sorgt für das Wunder und zaubert flugs jede Menge Weinflaschen auf den Tisch, die dann auch fleißig ausgetrunken werden. Die erste lesbische Päpstin, kleinwüchsig und einmal von einem Roboterarm, der zuvor in der Hindemith-Oper als Kerzenhalter gedient hat, wie ein Windrad im Kreis gedreht, fungiert als eine Art Zeremonienmeisterin.

Auch Jesus tritt auf, als ständig an einer E-Zigarette saugende, recht bekifft wirkende Transperson, mit Dornenkrone und Sonnenbrille auf dem Haupt und einem Lamm um die Schulter gelegt, das er später – es ist aus Stoff – im Zorn zu Boden werfen und erwürgen wird. In der darauffolgenden Szene, wenn eine nach der anderen Mitwirkenden Gründe angibt, warum sie sich als heilig einschätzt, wird er das zwar kurz bereuen, im Übrigen aber nicht sehr ernst nehmen. 

In einer das Publikum miteinbeziehenden Beicht-Episode wird – Achtung: Aktualisierung! – auf die Europawahl angespielt. Ob da, am Tag danach, nicht einige doch etwas zu beichten hätten? Ein eher harmloses Späßchen, auch wenn es dem Beichtgeheimnis widerspricht. Witzig gemeint, aber oft auch nur fragwürdig, sind manche andere Szenen, und letztlich gibt es auch einige, die das Maß des Erträglichen überschreiten und sogar als Blasphemie eingestuft werden könnten. Aber die Kunst darf bekanntlich viel. Wer wagt es da, Grenzen zu ziehen? Was ist z.B. von Aktionen zu halten, wenn zwei Frauen auf dem Rücken Haken in den Körper hineingetrieben werden, an denen Seile befestigt werden, die sie dann durch die Luft wirbeln? Andererseits: Die vielfach tätowierten Frauen und ihre Narben erzählen eben auch von gemachten bösen Erfahrungen.

Die Uraufführung im protestantischen Mecklenburg, wo die katholische Kirche nur eine winzige Minderheit repräsentiert und die Gepflogenheiten einer katholischen Messe, vor allem die sich vom Protestantismus radikal unterscheidende Deutung der Konsekration der Hostie, nur wenigen vertraut sein dürften, verlief erfolgreich. 

Gespannt durfte man sein, wie das im mehrheitlich doch noch irgendwie katholischen Wien aufgenommen werden wird, auch wenn man davon ausgehen kann, dass von den Besuchern wohl kaum jemand noch regelmäßig eine Messe mitfeiert. So überrascht es eigentlich nicht: Florentina Holzingers schrill-bunte, actionreíche und unterhaltsame Performance-Oper kommt beim Publikum gut an. 

Am Schluss erklingt Don’t dream it, be it (Träum nicht, sei es!) aus der Rocky Horror Picture Show: Die Schlussbotschaft des Abends, der mit Mitsummen und Mitsingen sowie stehendem Applaus zu Ende geht. Holzingers Messe ist unterhaltsam und durchaus auch anregend, im Grunde genommen aber, allen ideologischen und gesellschaftskritischen Anliegen zum Trotz, doch nur Show-Business. Allerdings auf einem beachtlichen artistischen Niveau und mit bewundernswerter Hingabe und Perfektion zelebriert.

PS des Herausgebers: Die katholischen Bischöfe Franz Lackner aus Salzburg und Hermann Glettler aus Innsbruck protestierten gegen diese „respektlose Persiflage“. https://religion.orf.at/stories/3225470/

Alle Fotos: Freie Republik Wiener Festwochen / Nicole Marianna Wytyczka

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Manfred A. Schmid

Manfred Schmid hat am Konservatorium in Klagenfurt Violine und Tonsatz und an der Universität Wien Philosophie und Psychologie studiert. An der University of Strathclyde in Glasgow, wo er als Lektor tätig war, hat er ein Postgraduate-Studium der Literaturwissenschaft absolviert. Nach einigen Jahren als Universitätsdozent an der Universidad Nacional dé Mexico kehrte er nach Österreich zurück, wo er zunächst als Cheflektor und Verlagsleiter die Edition S, den Belletristik-Zweig des Verlags der Österreichischen Staatsdruckerei, leitete. Es folgten rund zehn Jahre als Redakteur bei der Wiener Zeitung (Medienressort-Leitung, Theater- und Musikkritik, Kolumnist der „Extra“-Beilage) und eine mehrjährige Tätigkeit als Trainer und Coach (Kommunikation, Berufsorientierung). In der Pension schreibt Schmid regelmäßig Opernkritiken auf www.onlinemerker.com und widmet sich intensiv dem Komponieren – eine Leidenschaft, die ihn seit der Kindheit bis heute begleitet.

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