Manfred A. Schmid bespricht:
Der misogyne Don Alfonso und
das große, befreiende Lachen
Zur Premiere von Mozart/Da Pontes
„Cosi fan tutte“
an der Wiener Staatsoper

Cosi fan tutte gilt als eine enorme regieliche Herausforderung. Schon nach der Uraufführung 1790 geriet Mozarts dramma giocoso aus moralischen Gründen in Verruf und wurde nur, wenn überhaupt, textlich stark bearbeitet oder mit ganz neuem Text versehen, aufgeführt. 

Federica Lombardi (Fiordiligi) und Emily D'Angelo (Dorabella). Federica Lombardi (Fiordiligi) und Emily D’Angelo (Dorabella).

Erst im 20. Jahrhundert besann man sich auf das vor allem kompositorisch ausgefeilte Meisterwerk aus der fruchtbaren Zusammenarbeit Mozarts mit dem Librettisten Lorenzo Da Ponte. Der Verlauf der Handlung enthält zwar logische Ungereimtheiten und ist auch textlich nicht immer so geistreich, wie man es von Da Ponte, dem Schöpfer von Don Giovanni und La nozze di Figaro, erwarten würde. 

Vor allem der Vorwurf der Misogynie trifft auf Don Alfonso, den Drahtzieher der Handlung, voll zu, was in heutiger Zeit offenbar ein Problem darstellt, will er doch in seinem als eine Wette mit zwei verliebten jungen Männern durchgeführten Experiment den Beweis erbringen, dass Frauen, erotischen Versuchungen ausgesetzt, auf Dauer nicht widerstehen können und untreu werden. Der Nachweis gelingt ihm, auch wenn er dabei vor halbseidenen Hilfsmitteln – Erpressung, Nötigung und dergleichen – nicht zurückschreckt. 

Peter Kellner (Guglielmo) und Filipe Manu (Ferrando) Peter Kellner (Guglielmo) und Filipe Manu (Ferrando)

Das Ergebnis seines zynischen Experiments verallgemeinert er dann auch noch auf alle Frauen, was im Titel der Oper zum Ausdruck kommt, wenn da die dreiste Behauptung, dass alle Frauen so sind, aufgestellt wird: tutte ist ein weiblicher Plural, es heißt also mit Absicht Così fan tutte und nicht Cosi fan tutti!

Regisseure haben in letzter Zeit krampfhaft versucht, Lösungen zu finden, um diese frauenfeindliche Attitüde einer Sonderbehandlung zu unterziehen. So richtig gelungen ist das bisher noch keinem. Barry Kosky greift zum Theater-im-Theater-Modell: Don Alfonso, der schlechte Erfahrungen mit Frauen gemacht haben dürfte (oder umgekehrt), ist ein mieselsüchtiger, rechthaberischer Regisseur, der seine beiden Schauspielerpaare Fiordeligi/Guglielmo und Dorabella/Ferrando als Demonstrationsobjekte zur Bestätigung seiner thesenhaft vorgetragenen Erkenntnis missbraucht. 

Das führt zu einem dauernden und schwer nachvollziehbaren Wechsel zwischen Theaterwelt und Realität und überfachtet so das kammerspielartig angelegte Stück. Das dadurch angestrebte Ziel, die z.T. absurden und politisch unkorrekten Handlungsverläufe erträglicher oder plausibler zu gestalten, wird nicht erreicht. Überzeugend ist nur der Schluss, wenn alle vier Leidtragenden der Handlung, aber auch Despina, die Assistentin des Regisseurs, Don Alfonso als Initiator einer mutwillig aufgestellten Falle enttarnen und ihn verärgert und enttäuscht verlassen. 

Bis es allerdings so weit ist, zieht sich das Ganze ziemlich in die Länge. Gelungene, überraschende Gags, mit denen Kosky im Vorjahr die Nozze bereichert hat, sind diesmal dünn gesät. Dabei gäbe es genügend Gelegenheiten dafür, in den vielen Verkleidungsszenen und bei den geheuchelten Liebesbekundungen und unablässigen Treueschwüren. Das ausgiebige Zappeln, als Guglielmo und Ferrando nach ihrem angeblichen Selbstmord wieder ins Leben zurückgeholt werden, und die Szene, wenn sich Despina in Michael-Jackson-Manier in den Schritt greift und auf der Luftgitarre klimpert, können nicht verhindern, dass hier die bisher langweiligste Così fan tutte-Inszenierung abläuft, die der Rezensent bisher erlebt hat. Es dauerte eine Dreiviertelstunde, bis im Stehparterre zum ersten Mal ein wenig gelacht wird.

Ensemble Ensemble

Koskys Ansatz gibt auch der Gestaltung der Bühne den Rahmen vor. Gian Luca Falaschi wählt für den ersten Akt den Vorraum einer Bühne, wo der Regisseur Don Alfonso rechts seinen Schreibtisch hat, von dem aus er die Probe leitet und auch sein Beziehungs-Experiment in Gang setzt. 

Der zweite Akt findet dann hinter der Bühne statt, wo eine Feuerleiter dafür sorgt, dass viel herumgestapft werden kann. Auch die Bühnenwelt ist grau und heruntergekommen und passt sich so der trist-öden Bühne von Don Giovanni und dem schmuddelig-bröckelnden Almaviva-Palast im Figaro an. 

Wenn Kosky auch im Vorfeld wissen ließ, dass es zwischen den drei Da-Ponte-Opern nichts Verbindendes gäbe, hier im Bühnenbild ist so etwas doch festzumachen: Der Hang, der Drang zur Hässlichkeit. Falaschi ist auch für die Kostüme zuständig und wählt für die Theaterwelt aufwändige, an das 18. Jahrhundert erinnernde Kleider und für das reale Leben unspektakuläre Alltagskleidung. Wenn Guglielmo und Ferrando in den Krieg ziehen, tragen sie Tarnanzüge. Warum auch Dorabella einmal einen Tarnanzug anziehen muss, bleibt ebenso unklar wie die Szene, wenn die beiden jungen Herren in Frauenkleider schlüpfen, die denen ihrer Damen auf Strich und Faden ähnlich sind. 

Nachdem sie diese wieder abgelegt haben, geistern sie noch einige Zeit in einschnürenden Miedern und langen weißen Unterhosen herum. Ohne Aufbrechen der Geschlechteridentitäten geht es im heutigen Regietheater wohl nicht mehr.

Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Philippe Jordan. Am Beginn klingt alles etwas zu leise, sowohl aus dem Orchestergraben wie auch auf der Bühne. Erst im weiteren Verlauf nehmen die Klänge mehr Farbe und kräftigere Töne an, es bleibt aber durchwegs bei einer kammermusikalischen Gestimmtheit. Etwas mehr Dynamik und Klangvolumen hätten nicht geschadet. Der einsame Buhrufer im Stehparterre dürfte das schon nach dem ersten Akt eingefordert haben und hatte damit so unrecht nicht. Gut und verlässlich der Chor, der allerdings nur aus dem Off zu hören und erst beim Schussapplaus zu sehen ist und mit viel Beifall bedacht wird.

Kate Lindsey (Despina) und Emily D'Angelo (Dorabella) Kate Lindsey (Despina) und Emily D’Angelo (Dorabella)

Die Premiere musste, wie Roscic vor dem Vorhang verkündete, mit zwei Ferrandos auskommen. Da der neuseeländisch-tongaische Tenor Filipe Manu bei seinem Hausdebüt an einer Luftröhrengeschichte leidet, ist er zwar auf der Bühne– allerdings mit einer ausgezeichneten darstellerischen Leistung – zu erleben. Für ihn singt im Orchestergraben Bogdan Volkov, der in dieser Rolle bereits 2020 bei den Salzburger Festspielen Lob einheimsen konnte und sich auch diesmal als kurzfristiger Einspringer bewährt. Zu hoffen, dass Manu bei einer der kommenden Vorstellungen auch sein stimmliches Debüt feiern wird können.

Für Peter Kellner, als Figaro und Leporello eine verlässliche Hausbesetzung, erweist sich die Partie des Guglielmo stimmlich doch als ziemlich herausfordernd. Der spielfreudige Bariton klingt in den höheren Lagen, die es in dieser Oper zu Hauf gibt, wie aus Watte. Es fehlt da an Substanz und Nuancierungspotenzial.

Federica Lombardi ist eine gute, aber nicht herausragende Fiordiligi. In ihrer ersten Arie kämpft sie mit den herausfordernden tiefen Tönen. Eine Primadonna mit nicht ganz so viel Glanz, wie erhofft. Da kann sie sich in den Folgevorstellungen aber wohl noch steigern.

Die kanadische Mezzosopranistin Emily D’Angelo, wie Filipe Manu bei ihrem Hausdebüt, erfrischt mit ihrer klaren Stimme und etwas burschikosem Auftreten im Hosenanzug als natürliche, unkomplizierte und authentische Dorabella. Dieser jungen Sängerin möchte man bald wieder begegnen.

Bestens vertraut ist das Wiener Publikum mit der amerikanischen Mezzosopranistin Kate Lindsey, die ihre stimmliche und darstellerische Vielseitigkeit schon oft unter Beweis gestellt hat. Diesmal überrascht sie mit ausgefeilt komischer Gestaltung der Rolle der Despina. Wie sie als grotesker Notfall-Sanitäter und vor allem als Notar ihre komödiantische Begabung ausspielt, ist eine Freude, wobei sie auch stimmlich mit parodistischen Elementen aufwartet.

Die stärkste darstellerische und auch gesangliche Leistung des Abends erbringt aber Christopher Maltman als Don Alfonso, der unbeirrt und selbstherrlich agiert, intrigiert und brilliert. Erfahrung und großes Können zeichnen ihn aus. Dass er als Frauenfeind am Schluss als Schuldiger an den ganzen Verwirrungen und Missverständnissen dasteht, geschieht ihm nur recht. Das wird Don Alfonso aber leicht wegstecken und seine Meinung weiterhin unerschütterlich vertreten. Bis zum heutigen Tag, und daran wird den Herrn Regisseur kein noch so besorgter Kollege hindern können.

Der Applaus für Sängerinnen und Sänger ist durchaus zustimmend, für Kosky und sein Team gibt es Buhrufe. Warum man nicht zur Kenntnis nimmt, dass es auch heute noch zynische, misogyne Männer gibt und man die Oper daher ohne große Bemühungen, dieses Manko irgendwie durch Neuinterpretationen einer Sonderbehandlung unterziehen zu müssen, auf die Bühne bringen kann, will nicht einleuchten. 

Vergleiche mit früher sind selten angebracht und bringen nichts. Doch diesmal sehnt man sich doch nach der Wiener-Festwochen-Cosi fan tutte aus dem Jahr 1994 im Theater an der Wien, mit Riccardo Muti an Pult sowie in der Regie und im verboten schönen Bühnenbild von Roberto di Simone – aus Zeiten, als man das Stück noch so auf die Bühne bringen konnte, wie es von Mozart und Da Ponte wohl geschrieben worden war: Als ein Riesenspaß, über den man sich nicht allzu viele Gedanken machen, sondern hellauf lachen sollte.

Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Manfred A. Schmid

Manfred Schmid hat am Konservatorium in Klagenfurt Violine und Tonsatz und an der Universität Wien Philosophie und Psychologie studiert. An der University of Strathclyde in Glasgow, wo er als Lektor tätig war, hat er ein Postgraduate-Studium der Literaturwissenschaft absolviert. Nach einigen Jahren als Universitätsdozent an der Universidad Nacional dé Mexico kehrte er nach Österreich zurück, wo er zunächst als Cheflektor und Verlagsleiter die Edition S, den Belletristik-Zweig des Verlags der Österreichischen Staatsdruckerei, leitete. Es folgten rund zehn Jahre als Redakteur bei der Wiener Zeitung (Medienressort-Leitung, Theater- und Musikkritik, Kolumnist der „Extra“-Beilage) und eine mehrjährige Tätigkeit als Trainer und Coach (Kommunikation, Berufsorientierung). In der Pension schreibt Schmid regelmäßig Opernkritiken auf www.onlinemerker.com und widmet sich intensiv dem Komponieren – eine Leidenschaft, die ihn seit der Kindheit bis heute begleitet.

Schreibe einen Kommentar