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Manfred A. Schmid
Schlichte, herzhafte Opernaufführungen
bewähren sich tapfer
gegen opulent ausgestattete Opernspektakel.
1. Teil:
„Don Giovanni“, „Norma“, „Aida“

Wiener Opernsommer startet mit DON GIOVANNI vor dem Oberen Belvedere

Die Inszenierung von Mozarts Oper Don Giovanni, mit der der Wiener Opernsommer Belvedere erstmals in Erscheinung getreten ist, bietet leicht bekömmliche Sommerunterhaltung und damit wohl das, was sich die meisten Besucherinnen und Besucher erwarten. Die Aufführung vor der imposanten Kulisse des Oberen Belvederes verdient Aufmerksamkeit, weil es geradezu unglaublich ist, dass die Opernstadt Wien im Sommer bisher tatsächlich ohne Open-Air-Opernaufführungen ausgekommen ist. 

Ensemble Foto Oper Belvedere / Anna StoecherEnsemble Foto Oper Belvedere / Anna Stoecher

Damit dieses neue kulturelle Angebot aber tatsächlich, wie beabsichtigt, zu einer Wiener Dauerinstitution werden kann, gilt es, Anfängerfehler zu vermeiden. Dazu gehört vor allem die Erkenntnis, auf regietheaterliche Gepflogenheiten möglichst zu verzichten. Für viele ist der sommerliche Opernausflug das einzige Opern-Erlebnis des Jahres, zu dem sie oft mit Bussen aus ganz Österreich herangekarrt werden, oder es handelt sich um urlaubsbedingt und somit vorübergehend kulturell angeregte Touristen. Sie alle wollen sich in erster Linie prächtig unterhalten und vor allem nicht damit behelligt werden, was dem Herrn oder der Frau Regisseur so eingefallen sein mag. 

Im vorliegenden Fall ist es Dominik am Zehnhoff-Söns Idee, den gleich zu Beginn von Don Giovanni getöteten Komtur (Andreas Hörl) in weiterer Folge als weißgeschminkten Zombie unablässig herumgeistern zu lassen. Er ist fast immer auf der Bühne, beobachtet und kommentiert das Geschehen mit erregten Bemerkungen. Einmal fragt er sich selbst, was er hier eigentlich mache. Das fragen sich vermutlich viele im Publikum auch. 

Dass Don Ottavio (Johannes Bamberger) nicht der richtige Mann für das Rächen der Untaten Don Giovannis ist, erkennt das Publikum auch ohne die nervenden Klagen des lästigen Wiedergängers. Außerdem kann man ohnehin auf dem Handy die Zusammenfassung des jeweiligen Geschehens mitlesen. Aber dass sich ausgerechnet dieser traditionsbewusste Commendatore einmal als Verfechter der Frauenrechte aufspielt, ist mehr als absurd und geradezu lächerlich

Auf der anmutig-barocken Bühne von Manfred Waba, die als ein von beiden Seiten zu betretender, geschwungener Treppenaufgang zum dahinter stehenden Schloss Prinz Eugens konzipiert ist und wie dieses mit wechselnden Projektionen farbig und dekorativ erweitert wird, lässt der Regisseur eine sehr wienerische Version des Don Giovanni von Mozart/Da Ponte ablaufen. Der Titelheld (Thomas Tatzl) ist kein Graf, sondern ein Vorstadt-Casanova, genauer gesagt: ein Vorstadt-Strizzi aus Ottakring oder Kaisermühlen. Ein Blender, Angeber und windiger Geselle, angeblich im Immobilienbusiness tätig, der sich in breitem Wiener Dialekt, jedenfalls nicht in Schönbrunner-Deutsch, mit seinem ihm ergebenen Spezi Leporello (Alexandre Beuchat) unterhält, der ihn bewundert, wohl auch beneidet, sich von ihm aber auch ausgenützt vorkommt und etwas Abstand gewinnen will. 

Gesungen wird auf Italienisch, die Rezitative werden allerdings auf Wienerisch gesprochen. Nach Texten, die eigens von Florian Stanek und dem Regisseur verfasst wurden. Manche Dialoge sind recht lustig. Es gibt sogar Anspielungen auf Aktuelles, wenn es einmal heißt, dass der Palast eines gewissen Don René kürzlich konfisziert worden sei. 

Tschauner-Bühne-Niveau. Manchen gefällts.

Musikalisch werden solide Leistungen geboten. Intendant und musikalischer Leiter ist Joji Hattori. Die fast durchwegs noch jungen Sängerinnen und Sänger sind mit Headsets (Mikrofonen) ausgestattet. Der Kontakt via Bildschirm zum Dirigenten und Wiener KammerOrchester, gut 100 Meter entfernt untergebracht, funktioniert tadellos. Besonders die beiden Frauenrollen sind mit Martina Neubauer (Donna Elvira) und Nathalie Pena-Comas (Donna Anna) trefflich besetzt, während Juliette Khalil und Felix Pacher als Zerlina und Masetto für komische Akzente sorgen.

Insgesamt ein recht erfolgreicher Start. Das Publikum zeigt sich zufrieden und spart nicht mit Applaus. Dass aus dem Wiener Opernsommer Belvedere eine Dauereinrichtung werden kann, ist dem Herrn Intendanten, seinem Team und der Stadt Wien durchaus zuzutrauen und auch zu wünschen.

 

NORMA im Kaiserhof von Klosterneuburg

Nachdem der langjährige Intendant Michael Garschall Ende Dezember des vorigen Jahres seinen sofortigen Rücktritt verkündet hatte, musste die Stadtgemeinde Klosterneuburg quasi über Nacht die Geschäftsführung übernehmen. Dass die bekannt schwierig zu inszenierende Oper Norma unter diesen Umständen überhaupt zustande kommen konnte, grenzt an ein Wunder.

Ensemble Foto: Operklosterneuburg Ensemble Foto: Operklosterneuburg

Die Handlung der Belcanto-Oper entspinnt sich rund um eine Dreiecksbeziehung in dem von den Römern eroberten Gallien. Norma, eine Druidenpriesterin und Tochter des Oberpriesters Oroveso, die seit Jahren eine geheim gehaltene Beziehung zum römischen Prokonsul Pollione pflegt und mit diesem zwei Kinder hat, erfährt von ihrer Freundin Adelgisa, dass er sie mit ihr betrügt und verlassen will. Norma erwägt furchtbare Rachepläne, ist einmal sogar nahe daran, wie Medea ihrer Kinder zu töten, entschließt sich dann aber dazu, nicht Adelgisa mit Pollione auf dem Scheiterhaufen enden zu lassen, sondern geht selbst mit ihm Hand in Hand in den Tod. Um ihre Kinder, die sie Adelgisa anvertraut, zu retten, und weil sie erkennt, selbst gegen ihren Keuschheitsschwur verstoßen und sich dadurch schuldig gemacht zu haben.

Wie schon im Vorjahr in Verdis Don Carlo, der auch in dieser Saison ab 18. Juli wieder auf dem Programm steht, sorgt Hans Kudlich für ein imposantes, monumentales Bühnenbild mit wuchtigen, sich nach Innen krümmenden Eckpfeilern, die sich verengen und auf das von einem großen goldfarbenen, ovalen Emblem hinführen: Das Heiligtum der Druiden, aber auch der Gong, an den Norma pocht, wenn sie das Volk zusammenrufen will. 

Die archaischen, roh behauenen Eckpfeiler, ein paar rote Säulen, die sich leicht abbauen lassen, um die Privatgemächer Normas zu öffnen, und eine zum Heiligtum führende Treppe, mehr braucht es nicht. Eine helle, weiße Säule mit einem verzierten Kapitel, wie ein Fremdkörper wirkend, weist darauf hin, dass es sich hier um eine römische Provinz handelt.

Regie führt die aus Rumänien stammende Monica I. Rusu-Radman, schon seit 2005 als Choreografin, Abendspielleiterin und Regieassistentin der operklosterneuburg verbunden und im Vorjahr im Don Carlo Co-Regisseurin an der Seite von Günther Groissböck. Eine gute, wenn auch etwas statische Personenführung und klare Abläufe bei den Massenszenen schaffen die nötigen Voraussetzungen für einen gelungenen Opernabend ohne gewagte Experimente. Passend dazu auch die bunten, fantasievollen Kostüme von Anna-Sophie Lienbacher. 

Der eher handlungsarme 1. Akt schleppt sich zwar bis zur Aufdeckung der Dreiecksbeziehung etwas dahin, was sich im 2. Akt nach der Pause deutlich verbessert und zu einer doch noch ziemlich spannungsgeladenen Geschichte wird.
Die Titelrolle mit ihren seelischen Höhen und Tiefen ist eine der anspruchsvollsten, wenn nicht die anspruchsvollste Rolle im Sopranrepertoire. Karina Flores weiß in dieser Rolle ebenso zu begeistern wie Margarita Gritskova als ihre Freundin und spätere Rivalin Adelisa.

Nicht ganz mithalten mit diesen Leistungen kann der aus Philippinen stammende Tenor Arthur Espiritu als untreuer Pollione. Deutlich besser gestaltet Beniamin Pop seine Rolle als gestrenger Oberpriester Oroveso. Neben dem ausgezeichneten Chor operklosterneuburg zu erwähnen wären noch Gabriele Hrzenjak und Ferdinand von Plattenberg in den Nebenrollen Clotilda und Flavio.

Der grundsolide beginnenden Opernabend, der unter der Leitung von Christof Campestrini nach der Pause Fahrt aufnimmt und sich zu einem spannenden Drama mit heroisch-tragische Ende wandelt, wird vom Publikum mit starkem Beifall bedacht: Die operklosterneuburg ist trotz der zunächst ungünstigen Umstände weiter am Leben. Das ist Anlass zur Freude.

 

AIDA im Steinbruch von St. Margarethen

Nach dem regietheaterlichen Desaster im Vorjahr mit Carmen werden heuer in Verdis Aida alle Register gezogen, um ein sommerliches Opernspektakel zu bieten, wie man es von der Oper im Steinbruch gewohnt ist. Die Bühne von Regisseur Thaddeus Strassberger, mit Sarkophag und Obelisk eindeutig im alten Ägypten verortet, wird voll ausgenützt. Es gibt Schwertkämpfer, Tanzeinlagen, Feuerschlucker, Unmengen von Bediensteten in farbigen, fantasievoll exotischen Kostümen (Giuseppe Palella), die stilvoll auf- und abmarschieren, einen Feuerschlucker und am Schluss noch einen einsamen Seiltänzer hoch oben am nächtlichen Himmel. 

Elefantenritt des Radames (Jorge Puerta) Foto: Oper im Steinbruch / wearegeving Tommi Schmid Elefantenritt des Radames (Jorge Puerta) Foto: Oper im Steinbruch / wearegeving Tommi Schmid

Vor allem aber begleiten unablässig choreographisch zur Musik eingesetzte Feuer- und Wasserspiele die Handlung. Mit riesigen Fontänen, die – entsprechend beleuchtet vom Lichtdesign Otto Driscolls – zuweilen wie ein Feuerwerk das Dunkel erhellen. Auch ein Elefant, auf dem Radamès einreitet, darf nicht fehlen. Ein opulentes Spektakel, bei dem es zuweilen schwerfällt herauszufinden, wer gerade wo singt, denn auch da werden alle sich anbietenden Möglichkeiten ausgenützt. 

Besonders eindrucksvoll die Radamès-Rufe des ganz oben auf dem höchsten Punkt auftauchenden Oberpriesters Ramfis (Jongmin Park), wenn er den siegreichen Feldherrn verhört, der die Antwort auf alle Fragen verweigert und als Verräter zum Tod verurteilt wird. 

Die St. Margarethener Aida ist ein veritabler Publikumserfolg und festigt damit die durch die enttäuschende Carmen etwas lädierte Stellung des Intendanten Daniel Serafin, der bei der Begrüßung allerdings seinem Chef Stefan Ottrubay den Vorzug einräumen muss und nur kurz die Handlung der Oper erläutern darf.

In der ausgefeilten Inszenierung Strassbergers wird die Verquickung persönlicher und politischer Motive klar herausgearbeitet. Die amerikanische Sopranistin Leah Crocetto als Aida, die als Sklavin am Hof des Pharaos lebende Tochter des äthiopischen Königs, und die ebenfalls aus den USA stammende Mezzosopranistin Raehann Bryce-Davis als Amneris, Tochter des Pharaos, sind beide in Radamès, gesungen vom peruanischen Tenor Jorge Puerta, verliebt. Alle drei vermitteln in ihren Darstellungen herzergreifende innere Konflikte, sind hin und hergerissen zwischen persönlicher Liebe und der Treue gegenüber den jeweiligen Vaterländern.

Ergänzt werden sie von vom dunkel gefärbten Bass Gangsoon Kim als äthiopischer König Amonasro und Ivan Zinoviev als Pharao (Il Re). Hervorragend präsentiert sich der Philharmonia Chor Wien. Iván Lopez-Reynoso, dem musikalischen Leiter, steht mit dem vornehmlich mit jungen Musikern besetzten Piedra Festival Orchester ein guter Klangkörper zur Verfügung. 

Viel Applaus für ein gelungenes Opernspektakel, das den Sommer bereichern und von vielen Angereisten gerne besucht werden wird.

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Manfred A. Schmid

Manfred Schmid hat am Konservatorium in Klagenfurt Violine und Tonsatz und an der Universität Wien Philosophie und Psychologie studiert. An der University of Strathclyde in Glasgow, wo er als Lektor tätig war, hat er ein Postgraduate-Studium der Literaturwissenschaft absolviert. Nach einigen Jahren als Universitätsdozent an der Universidad Nacional dé Mexico kehrte er nach Österreich zurück, wo er zunächst als Cheflektor und Verlagsleiter die Edition S, den Belletristik-Zweig des Verlags der Österreichischen Staatsdruckerei, leitete. Es folgten rund zehn Jahre als Redakteur bei der Wiener Zeitung (Medienressort-Leitung, Theater- und Musikkritik, Kolumnist der „Extra“-Beilage) und eine mehrjährige Tätigkeit als Trainer und Coach (Kommunikation, Berufsorientierung). In der Pension schreibt Schmid regelmäßig Opernkritiken auf www.onlinemerker.com und widmet sich intensiv dem Komponieren – eine Leidenschaft, die ihn seit der Kindheit bis heute begleitet.

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