Manfred A. Schmid
Schlichte, herzhafte Opernaufführungen
bewähren sich tapfer
gegen opulent ausgestattete Opernspektakel.
Sommerliche Open-Air-Opern
2. Teil:
"Freischütz" und "L'elisir d'amore"
Bregenzer Festspieleröffnung mit DER FREISCHÜTZ auf der Seebühne
Das erste, was an dieser Bregenzer Neuinszenierung auffällt, ist die Bühne: Ein in einer hügeligen Winterlandschaft angesiedeltes Dorf, wie eine Landzunge von Wasser umgeben, mit ein paar windschiefen Gebäuden und einer stattlichen Anzahl kahler Bäume. Wenn später die Bewohner hinzukommen und die Szene beleben, wirkt das Ganze wie ein Gemälde von Pieter Bruegel, dem Hieronymus Bosch beim Malen über die Schulter geschaut hat.
Das Wasser ist – passend zur Seebühne – das vorherrschende Element. Die meisten Handlungen finden im Wasser statt, beginnen oder enden dort. Sogar das Lied der Brautjungfern wird als Wasserballett zelebriert. Im Winter eigentlich kaum vorstellbar, denn da müssten einige Beteiligte wohl an Unterkühlung oder Lungenentzündung sterben.
Ensemble Foto Bregenzer Seefestspiele / Anja Koehler
Eindrucksvoll ist die Szenerie von Philipp Stölzl, der auch für die Inszenierung zuständig ist, aber allemal. Die Farben Schwarz und Weiß geben den Ton an. Nur Samiel, der Beelzebub, der in der Regie Stölzls fast die ganze Zeit über anwesend ist und für das Publikum das düstere Geschehen kommentiert und aus seiner Sicht auslegt, ist in Rot gekleidet (Kostüme Gesine Völlm). Samiel, eine Sprechrolle, imponierend dargestellt von Moritz von Treuenfels, ist ein in einem fort in Knittelversen plappernder, amüsanter Geselle, der an den Mephisto in Goethes Faust erinnert, nur dass seine Verse nicht von Goethe stammen, sondern vom Regisseur und von Jan Dvorák, was ihnen auch anzumerken ist, wenn sie zuweilen ziemlich hanebüchen daherkommen.
Die Nähe zu Faust ist aber durchaus beabsichtigt, geht es doch auch hier um einen Mann, der seine Seele für ein irdisches Glück verkauft und bitter dafür bezahlen muss, wie Stölzl im Programmheft ausführt. Daher ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich von Treuenfels in der Art und Weise, wie er die Rolle Samiels anlegt, offensichtlich am legendären Mephisto von Gustav Gründgens orientiert. Das Ergebnis ist jedenfalls überzeugend.
Nicht nur der Part von Samiel, sondern alle nicht gesungenen Texte sind von Stölzl und Dvorák stark überarbeitet, um sie mehr an das Heute anzupassen und veraltete Rollenbilder, vor allem die der beiden weiblichen Figuren, vom Mief des 19. Jahrhunderts zu befreien. Agathe, Maxens Braut (Nikola Hillebrand), ist von einem anderen Mann schwanger, und Ännchen (Katharina Ruckgaber) will sie dazu überreden, mit ihr das Land zu verlassen, in die Schweiz zu flüchten und ein neues, selbstbestimmtes Leben zu beginnen. Eine mögliche lesbische Beziehung zwischen beiden ist zudem zumindest angedeutet.
Auch die Handlung wird geschärft, um sie seetauglicher zu machen und die unheimliche Abenteuergeschichte in einen Horrorthriller zu verwandeln. Das beginnt schon mit der ersten Szene, die auf das Ende vorgreift und zeigt, wie Max (Mauro Peter), nachdem er den Freischuss vermurkst und tragischerweise seine Braut erschossen hat, in Verzweiflung verfällt. Agathe wird in einem Leichenzug, angeführt von Samiel, zunächst als Pfarrer verkleidet, durch die Gassen getragen.
Die Oper geht ohne Pause und einigermaßen spannungsgeladen über die Bühne. Die gesanglichen Leistungen der meist noch recht jungen Sängerinnen und Sänger sind tadellos, obwohl hier die Musik, wie in einem Film, eher nur eine untermalende Funktion erfüllt. Im Vordergrund steht stets der Horrorthriller. Sogar Agathes wichtigstes Lied Leise, leise, fromme Weise von der Sopranistin Nikola Hillebrand anmutig gesungen, wird von Samiel empfindlich gestört.
Christof Fischesser als Kaspar ist ein gelassener, selbstsicherer Rivale von Max. Der österreichische Bariton Liviu Holender als Ottokar und der bewährte bayerische Bassbariton Franz Hawlata als Erbförster Kuno komplettieren die Riege der Männerstimmen. In Nebenrollen treten noch Andreas Wolf und Maximilian Krummen als Eremit und Kilian in Erscheinung. Etwas verhalten wirkt der Chor. Mehr als zufriedenstellend die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Enrique Mazzola.
Der Applaus fällt zustimmend bís begeistert aus. Spannung für Augen und Gemüt schlägt diesmal Klangwelt und Ohren.
Der Waldviertler Opernsommer startet mit L’ELISIR D’AMORE auf Burg Gars
Nach all den opulenten Inszenierungen im Steinbruch St. Margarethen, im Stiftshof von Klosterneuburg und auf der Bregenzer Seebühne, mit so gut wie mit allem, was es an Ausstattungsmöglichkeiten überhaupt gibt, ist die Aufführung von Donizettis L’elisir d’amore auf der Waldviertler Opernbühne der Burg Gars eine willkommene Abwechslung. Da wird noch ohne Verstärker gesungen, und man kommt so nahe an die Sänger und Sängerinnen heran, wie sonst nur noch auf Schloss Kirchstetten, dem kleinsten Opernhaus Österreichs. Beides hat seine Berechtigung und sein Publikum.
Maria Nzarova (Adina), Orhan Yldiz Belmonte), Paolo Rumetz /Dulcamara) und Ensemble Foto: Oper Gars / Alexander Ch. Wulz
Es ist aber doch ein Labsal für Augen, Ohren und Gemüt, wenn man zwischendurch wieder einmal eine Oper erleben kann, die mit dem Notwendigsten auskommt und gerade deshalb die Herzen der Zuhörerschaft erreicht: Weil der Zauber der unverstellten Natürlichkeit in der Darbietung und der Charme der Bühne, hier das romantische Mauerwerk einer Burgruine, für ein intimes Opern-Erlebnis sorgen, das wohl einzigartig ist.
Clemens Unterreiner hat gutgetan, am Beginn seiner Intendanz nicht unbedingt etwas ganz Neues versuchen zu wollen, sondern dort anzuknüpfen, wo die Stärken dieses Sommerfestivals liegen, und dort, wo es nötig und sinnvoll ist, ein paar merkliche Verbesserungen anzubringen. Dazu gehört vor allem das neue, ganz aus Holz errichtete Orchesterhaus.
Einen guten Griff machte Unterreiner auch bei der Wahl seines Leading Teams. Das Regie-Duo Carolin Pienkos & Cornelius Obonya geht bei der Umsetzung der zweiaktigen Opera buffa ideenreich und dennoch behutsam und liebevoll vor, unterstreicht die komischen Elemente mit guten Einfällen, wenn etwa der Trupp der Soldaten auf Fahrrädern angeradelt kommt oder wenn Adina mit dem Quacksalber Dulcamara einen Besentanz aufführt.
Auch die etwas verwirrten Liebesbeziehungen der kokett herumexperimentierenden, ihre erotische Anziehungskraft spielerisch bis an die Grenze der Zuträglichkeit austestenden Adina werden durch perfekte Personenführung auf der übersichtlichen, weil einfachen, nur durch ein paar Stufen und einer kleinen Empore markierten Bühne (von Walter Vogelweider) klar herausgearbeitet.
Was Pienkos und Obonya aber nicht tun, ist, das Ganze durch allzu viele Gags zu überfrachten. Sie wissen, dass sparsam gesetzte Effekte nachhaltiger sind als Überfülle und erreichen damit ein ausgewogenes Verhältnis von höchst witzigen und sentimentalen, gefühlsbeladenen Szenen.
Auch die szenische Einbeziehung des von Michael Juraszek gut einstudierten Chors und der Statisten bereichert die Handlung. Die Kostüme von Laura Madgé Hörmann sind schlicht und passend zur ländlichen Bevölkerung eines kleinen Dorfes. Nur der angebliche Dottore Dulcamara, der dem liebeskranken Nemorino den titelgebenden Liebestrank andreht, ist mit einem pompös langen Mantel mit Schleppe gekleidet, den er dann verliert – wie eine Eidechse ihren Schwanz auf der Flucht. Dem erfahrenen Bass Paolo Rumetz ist die Freude anzumerken, wieder einmal in Österreich auf der Bühne zu stehen. Eine Freude, die vom Publikum sichtlich geteilt wird.
Angesichts der exzellenten Besetzung kommt dem Kammersänger Unterreiner sicher zugute, dass er in der Opernszene bestens vernetzt ist und Kolleginnen und Kollegen dafür begeistern kann, auf der Freiluftbühne der Babenbergerburg mitzumachen. Gleich drei im Solistenensemble kommen bzw. kamen aus der Wiener Staatsoper: Die zierliche russische Sopranistin Maria Nazarova ist eine anmutige, kecke und etwas leichtfertige Gutsbesitzerin Adina, der Bariton Orhan Yildiz als Belcore gibt einen selbstbewussten, siegessicheren Sergeanten mit Macho-Allüren, und der oben genannte Paolo Rumetz entzündet als Quacksalber komödiantisches Feuerwerk .
Eine Entdeckung ist der junge Tiroler Tenor Mateo Ivan Rasic, der allerdings schon als Ensemblemitglied des Staatstheaters am Gärtnerplatz in München auf sich aufmerksam gemacht hat. Wie er als Nemorino sängerisch wie auch darstellerisch die Rolle des schüchternen, etwas verunsicherten und naiven Landburschen gestaltet, der unter der Missachtung seiner Gefühle durch seine Angebetete leidet und dabei unfreiwillig komisch, aber auch überaus sympathisch wirkt, begeistert tief.
Die oberösterreichische Sopranistin Martha Matscheko strahlt als Gianetta die Gelassenheit und spitzbübische Neugier eines herzlichen Bauernmädchens aus.
Die musikalische Leitung des Abends liegt in den Händen des 31-jährigen, aus Ungarn stammenden Dirigenten Levente Török, der die Italianita der Partitur schwungvoll und mit einem guten Gehör für die Bedürfnisse der Gesangsensembles auf der Bühne zum Klingen bringt.
Das Publikum ist hingerissen von der Aufführung und dem einzigartigen Aufführungsort und spendet reichlichen Beifall. Die freudige Erkenntnis: Es geht auch ohne großartigen technischen Aufwand. Ohne Pomp and Circumstance.
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