Alois Schöpf
Bitte mehr streiten!
Apropos
Unangefochten liegt Karl Nehammer als neuer Parteivorsitzender der ÖVP mit 100 Prozent Zustimmung an der Spitze. Aber auch unser Anton Mattle in Tirol ist mit seinen 98,9 Prozent nicht schlecht. Ebenso verließ Georg Dornauer von der SPÖ den Parteitag mit realsozialistischen 90 Prozent, Dominik Oberhofer von den NEOS mit wenig liberalen 96 Prozent und Markus Abwerzger von der FPÖ mit strammen 97,9 Prozent.
Wie blamabel erweist sich gegen solche Triumphe das Abschneiden von Rendi-Wagner als SPÖ-Vorsitzende mit 75,3 Prozent. Oder gar unseres Tiroler Grünen Gebi Mair mit 56 Prozent.
Bekanntlich besteht das Wesen der Demokratie darin, mit Leuten zusammen zu arbeiten, die anders denken, weil viele gescheiter sind als ein einzelner. Und es besteht darin, sich Mehrheitsbeschlüssen zu beugen, ohne deshalb die Solidarität aufzukündigen.
Vor diesem Hintergrund schauen die oben zitierten Wahlergebnisse plötzlich ganz anders aus: Da erweisen sich die SPÖ auf Bundesebene und die Grünen auf Landesebene als die wahren Demokraten, die den öffentlichen Diskurs und damit einen der höchsten Werte der Demokratie nicht in Hinterzimmern verkommen lassen, sondern, gewollt oder ungewollt, die widerstreitenden Strömungen der Gesellschaft und ihrer Repräsentanten widerspiegeln.
Marketinggesteuerter Kadergehorsam mit fast 100 % Ergebnissen sollte – auch auf Parteitagen – als entwürdigend empfunden werden.
Erschienen in der Tiroler Tageszeitung am 16.07.2022
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…. also von mir tät der Alois Schöpf 100 % kriegen, ohne Kadergehorsam. Mit vielleicht 99 % ….
Mit Ihrem Befund über die nahezu schon zur Regel gewordenen „fast 100%-Zustimmungen auf Parteitagen“ treffen Sie voll ins Schwarze. Seit der nahezu peinlichen Einstimmigkeit für Altkanzler Kurz unmittelbar vor dessen „Absturz“ scheinen sich Parteitags-Delegierte stets aufs Neue (wenn möglich mit „110%igen“!!) Zustimmungs-Ritualen überbieten zu wollen. Rühmliche Ausnahmen dazu scheint es offenbar lediglich bei den Sozialdemokraten und den GRÜNEN zu geben, welche damit neben demokratischer Reife auch eine durchaus positiv zu wertende Meinungs-Vielfalt und Streitkultur an den Tag legen.