Neujahrsbotschaft
Liebe Leserinnen und Leser!
Ich möchte den Jahreswechsel benützen, um Ihnen zuerst einmal ein weniger kompliziertes neues Jahr zu wünschen, als es das Corona-geschädigte vergangene war. Mögen Sie erst gar nicht mehr nach Hause kommen, weil Sie so oft im Gasthaus sitzen oder durch ferne Lande reisen! Mögen Sie heiser davon werden, weil Sie mit Freundinnen und Freunden so viel zu besprechen haben, was Sie unter Quarantänebedingungen nicht besprechen konnten! Und mögen Sie überhaupt und insgesamt den Frieden und den Wohlstand in diesem viel gescholtenen Europa genießen, dessen aus historischer Sicht einmalige paradiesische Qualitäten uns erst in den letzten Monaten so richtig bewusst geworden sind; zumindest ein positiver Effekt der Pandemie, durch die gleichzeitig nicht nur viele Leben, sondern leider auch manche Freundschaften aufgrund zu üppigen Querdenkens beendet wurden.
Ich persönlich hatte unglaubliches Glück, dass ich nach 25 Jahren, während derer ich die Innsbrucker Promenadenkonzerte aufbauen und leiten durfte, gerade rechtzeitig im Sommer 2019 würdig Abschied nehmen konnte. Wie traurig wäre ein solcher Abschied gewesen, wenn er im soeben vergangenen Sommer hätte erfolgen müssen. Ein einsames Begräbnis! Oder wenn ich zermürbt und lustlos noch ein weiteres Jahr hätte weitermachen müssen. Ich danke Bernhard Schlögl, meinem Nachfolger, dass er als konditionsstärkerer junger Mann diese Fron, die Konzertreihe 2020 abzusagen und unverrichteter Dinge für 2021 neu zu finanzieren und zu planen, auf sich genommen hat.
Ich erwähne dies deshalb, weil ich schon im September 2019, nach dem letzten Konzert, fest darauf vertraute, dass mir sicherlich etwas Verrücktes einfallen würde, um damit die Zeit zu verbringen, die mir nun plötzlich zur Verfügung stand. Die Idee, literarisch das Internetzeitalter zu betreten und ein Online-Magazin zu begründen, ergab sich dabei rasch und konsequent aus einer schon länger aufgestauten Wut, der größten Kraftquelle meiner Kreativität.
Wut auf eine degenerierte und korrupte Buchbranche, in der alle von den Kreativen profitieren, da die Lust, etwas zu tun, etwas zu kreieren oder auch etwas in der Gesellschaft zu bewirken, so leicht und einfach mit dem Wort „künstlerische Eitelkeit“ denunziert und ausgebeutet werden kann. Die Benennung dieser angeblichen Untugend erübrigt auch das schlechte Gewissen, in der Rolle von Buchhändlern, Vertreibern, Grafikern, Lektoren, Verlegern, Rezensenten, Druckern, Verwertungsgesellschaften, Interessenvertretern und Politikern parasitär von den Ideen fremder Leute zu leben. Alle verdienen von den Autoren und Autorinnen. Wenn nicht durch den Verkauf von Büchern, was immer seltener geschieht, dann durch Zuschüsse, die selbstverständlich als Sponsorgelder der Autor selbst herbeizuschaffen hat, wenn er nicht in die eigene Tasche greifen will. Und natürlich durch Subventionen etwa über die staatliche Verlagsförderung und Druckkostenbeiträge. Geldüberweisungen an Autoren abseits netzwerkabhängiger und meist viel zu geringer Stipendien und noch fragwürdigerer Preise lehnt die öffentliche Hand nämlich ab. Wir sollen unser Geld gefälligst durch öde Lesereisen verdienen!
So kassierte, um nur zwei Beispiele aus meinem persönlichen Bekanntenkreis zu erwähnen, Verlag Nummer 1, in dessen Räumlichkeiten sich ziemlich viele Angestellte tummeln, für ein Projekt an die 20.000 € an Zuschüssen, was nichts daran änderte, dass der Autor als sein Honorar zuletzt ein Paket Bücher zum Verschenken bekam. Und was auch nichts daran änderte, dass in den Buchhandlungen sage und schreibe nicht mehr als 200 Exemplare verkauft wurden. Oder, Fall Nummer 2: der sogenannte Cheflektor eines großen und besonders heiligmäßigen heimischen Verlags präsentierte nach Fertigstellung des Manuskripts und knapp vor Drucklegung einen Vertrag, in dem sich die Autoren hätten verpflichten müssen, 800 Stück des eigenen Buches anzukaufen, und zwar nicht mit dem für Autoren üblichen Rabatt, sondern zum vollen Ladenpreis.
Von dieser widerwärtigen Mischung aus kapitalistischer Unfähigkeit, parasitärer Gier, unverhohlener Ausbeutung und dem de facto Missbrauch öffentlicher Gelder durch die absehbare Produktion von Altpapier ist man im Online-Bereich befreit. Hier verdient nicht nur der Autor nichts, auch keiner und keine der erwähnten Kreativabstauber kommen zum Zug. Mithin also eine saubere und gerechte Lösung!
Ich habe in einem Interview anlässlich meines 70. Geburtstags das Schreiben als eine „inzwischen aristokratische Kunst“ bezeichnet. Damit wollte ich mich weder an den Adel anbiedern, dessen Angehörige, wenn man nur lange genug hinhört, meist immer noch glauben, sie seien qua Geburt eine höhere Manifestation des Menschen, noch an den sogenannten Geistesadel, dieses Ideal des Bildungsbürgertums, das, mit wenigen rühmlichen Ausnahmen zumindest in unseren Landen zwischen 1938 und 1945 den letztgültigen Beweis seines moralisch-politischen Versagens geliefert hat.
Ich wollte damit vielmehr andeuten, dass man als Schriftsteller nur dann eine Chance hat, zu „den Besten“ zu gehören, wenn man nicht gezwungen ist, auf einem durch Quotenhurerei, Kommerzialisierung und staatliche Eingriffe komplett verunreinigten Medienmarkt seinen Lebensunterhalt zu verdienen – wenn nicht schon für sich selbst, dann, wie oben beschrieben, zumindest für andere. Wenn man also nicht gezwungen ist, sich als Buchautor, Drehbuchautor oder Essayist geistig zu verkrümmen. Es fehlt hier der Platz, die eindrucksvolle Geschichte von Leuten zu erzählen, die etwa als arme Landpfarrer wie ein Jean Meslier oder als reicher Adeliger wie Baron d’Holbach die Europäische Aufklärung begründeten. Die Notwendigkeit nicht nur im Geiste frei, sondern auch ökonomisch nicht darauf angewiesen zu sein, was man schreibt, wie man schreibt und wie oft man schreibt, ist dieselbe geblieben. Wirklich und nicht nur nominell freischaffende Autoren sind heute oft bescheidene Lebenskünstler, die mit fast nichts auskommen. Oder sie sind Gatten oder Gattinnen von in bürgerlichen Berufen tätigen Partnern. Oder sie haben als Pensionisten und Pensionistinnen ihre prämortale Freisetzung erreicht. Oder sie sind als schwer einschätzbare Freiberufler oder freie Mitarbeiter bei verschiedenen Medien vom lebenslänglichen Prekariat nie los gekommen und haben sich durch diese erzwungene Freiheit, unter der sie viel zu leiden haben, gleichsam als Wiedergutmachung eine immerwährende jugendliche Radikalität bewahrt.
Die Tatsache, dass in einem Online-Magazin niemand etwas verdient, ist also nicht nur die bittere Reaktion auf die Ausbeutung durch Kreativparasiten, sie ist auch eine stets ärgerliche und oftmals schwer zu ertragene Mahnung daran, dass die eigene Freiheit, wenn sie denn schon sein muss, erst dann etwas wert ist, wenn man sie auch gebührend benutzt. Eine Freiheit, deren Kennzeichen eine gewisse intellektuelle Rücksichtslosigkeit ist, nicht nur den Leserinnen und Lesern gegenüber, die charmant jegliches Ersuchen übersehen, sich vielleicht doch hin und wieder mit einer Spende an die Betreiber des kostenlos konsumierbaren Blogs bemerkbar zu machen. Eine Freiheit auch der Politik gegenüber, deren ohnehin meist mickrige Förderungen nur als Verschmutzung des Designs, wenn sie angezeigt werden müssten, interpretiert werden könnten. Und zuletzt auch eine Freiheit all jenen vielleicht sogar gutwilligen Sponsoren gegenüber, deren Nennung gerade bei den geizigsten der Leser umgehend den Verdacht aufkommen ließe, die Autoren seien zuletzt doch noch vom „neoliberalen Kapitalismus“ vereinnahmt worden.
Ende Mai 2020 wurde der erste Artikel in den schoepfblog gestellt. Inzwischen verfügt die Plattform über 11.000 Nutzer und ca. 2000 ständige Gäste, eine Zahl, die vielleicht für Fans von Donald Trump und seiner Internetpräsenz lächerlich erscheinen mag, für einen bescheidenen Buchautor jedoch erfreulich ist. Wie viel Zeit muss vergehen, bis 11.000 Leute in eines meiner Bücher schauen und 2.000 Leute es auch wirklich lesen? Zumal ich fest davon überzeugt bin, dass sich im Zuge der Zusammenarbeit mit meinem Webmaster Roland Schrettl von Merlin-Marketing in den nächsten Monaten die Anzahl der Interessenten am schoepfblog verdoppeln wird. Denn, obgleich schon alt an Jahren, hänge ich immer noch dem naiven Kinderglauben an, dass substantielle und für die Menschen wichtige Überlegungen ihr Publikum finden, wenn man es nur nicht daran hindert. Alles vergeht, die Wahrheit besteht!
Roland Schrettl und meinem alten Freund aus Musikerzeiten Heiner Jeller, der die Grundkonzeption des Blogs erstellte, möchte ich daher an erster Stelle für ihre Arbeit und ihr Engagement danken. Danken möchte ich aber auch all jenen Kolleginnen und Kollegen, die ohne Rücksicht auf die Frage, wie viel Glanz oder Schatten auf ihre Karriere fallen könnte, wenn sie meiner Einladung zur Mitarbeit Folge leisten, bereits viele wunderbare Texte beigesteuert haben. Ich danke dem Zeichner Reinhard Walcher für seine farbenprächtigen Karikaturen, ich danke den Fotografen und Malern, die ihre Werke für die schoepfblog-Galerie zur Verfügung stellten, und ich danke allen Leserinnen und Lesern, die sich immer wieder die Mühe machen, die nicht selten langen und komplizierten Texte im schoepfblog zu lesen und im besten Fall mit einem Kommentar zu versehen.
Ein gutes neues Jahr!
Alois Schöpf