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Literarische Korrespondenz:
Johannes Sprenger an die Redaktion von  „Punkt eins“ ORF
„Warten auf die kluge Antwort“
zum iranischen Angriff auf Israel
mit dem Politikwissenschaftler Brigadier Dr. Walter Feichtinger
und dem Orientalisten Dr. Walter Posch

Sehr geehrte Damen und Herren!

Mit einem gewissen, mir wohlbekannten, weil schon jahrzehntealten Unbehagen habe ich heute Ihrer Sendung zugehört und nach der Verlesung eines Hörer-E-mails, in der der Versender u.a. davon sprach, dass der Angriff des Iran als Reaktion zu werten sei und dass er dafür die Anerkennung der Wertegemeinschaft (damit ist wohl die westliche Wertegemeinschaft gemeint) verdiene, war ich sehr interessiert, die Antwort der beiden geladenen Gäste zu hören.

Sie fiel in etwa so aus, dass zwar die völkerrechtswidrigen Handlungen der israelischen Regierung(en) angemerkt wurden, aber einerseits auf den unangemessenen Umfang der iranischen Aktion, andererseits auf die angemessene und gezielte Art und Weise der israelischen Aktionen hingewiesen sowie die Frage gestellt wurde, welche Optionen Israel denn hätte, um auf die bestialischen Morde der Hamas zu reagieren?

Ich halte fest, dass es in dieser Antwort, so wie in dem erwähnten Mail, durchaus um politische (Völkerrecht, bestialische Morde, Hamas ) und nicht nur um strategische Inhalte ging. Selbstverständlich ist mir bewusst, dass es ganz konkret um gezielte Angriffe Israels auf Personen ging, und dass die Sendung, Netanyahu zitierend, nach der klugen Antwort auf den iranischen Angriff suchte, in erster Linie also strategische Gesichtspunkte erörtert werden sollten. Doch kam die politische Dimension sowohl im zitierten Mail als auch in der Antwort zur Geltung.

Deshalb zögerte ich nicht, zum Telefon zu greifen, denn wenn von Angemessenheit die Rede ist, fallen mir über 30.000 palästinensische Tote ein. Und wenn die Frage nach den Optionen Israels gestellt wird, halte ich es für angemessen, sich zu vergegenwärtigen, was denn zu dieser heute nun so unerträglichen Situation geführt hat: Es war der unilaterale Abzug Israels aus Gaza, der zwei Millionen Menschen jeder politischen Repräsentanz beraubt und der Gewaltherrschaft einer Mörderbande ausgeliefert hat, und dies bewusst und mit voller Absicht.

Dies ist keine Behauptung von mir, dies ist belegbar durch die Äußerungen des Regierungssprechers Ariel Sharons, Dov Weissglas, vom 6.10. 2004 in der Ha’aretz:

Die Bedeutung des Abkoppelungsplans [vom Gazastreifen] beruht darauf, den Friedensprozess einzufrieren. Und wenn man diesen Prozess einfriert, verhindert man die Gründung eines palästinensischen Staates, und man verhindert eine Diskussion über die Flüchtlinge, die Grenzen und Jerusalem. Dieses ganze Paket, das man palästinensischen Staat nennt, mit allem, was es nach sich zieht, ist effektiv auf unbestimmte Zeit von unserer Agenda gestrichen. Und das alles mit dem Segen des US-Präsidenten und der Ratifizierung beider Kongresskammern.
(Der damalige US-Präsident war George W. Bush)
 

Die Offenheit dieser Aussage lässt nichts zu wünschen übrig.

Wenn man solche Zustände wie in Gaza zwanzig Jahre lang aufrechterhält (seitens Israels, und, um wiederum Netanyahu zu zitieren, ohne während zwanzig Jahren nach einer klugen Antwort zu suchen) bzw. widerspruchslos duldet (seitens der Europäer und Amerikaner), wie kann man sich dann darüber wundern, dass geschieht, was geschieht, und dass man nur beschränkte Optionen hat?

Mit dem Anliegen, diesen Sachverhalt in die Diskussion einzubringen, habe ich also angerufen, auch weil ich mir dachte, dass das Diskutieren politischer Inhalte einem Politikwissenschaftler und einem Orientalisten zuzumuten seien, und dass das Beleuchten politischer Hintergründe einer strategischen Diskussion ja nützlich sein könnte. Schließlich waren diese Hintergründe ja gerade eben in einem verlesenen Mail und den Antworten darauf bereits angedeutet worden.

Da habe ich mich aber getäuscht: denn der Herr, der meinen Anruf entgegennahm, meinte, er könne nur Anrufe zum Thema durchlassen, und meiner habe mit dem Thema nichts zu tun. Auf meinen Einspruch hin erklärte er mir, dass wir hier nicht zu diskutieren bräuchten und warf mich aus der Leitung.

Es liegt mir fern, mich wichtig zu machen. Ich bin nicht darauf versessen z.B. meinen Freunden zu erzählen, dass ich im Radio war. Ich bin nur immer wieder unangenehm davon berührt, wie wesentliche Aspekte dieses verfluchten Themas – man verzeihe mir das Adjektiv – ausgeklammert werden. 

Ich bin auch keineswegs der Meinung, dass der Iran unsere Anerkennung verdiene, im Gegenteil. Dass er sich aber in diesem bösen Spiel als Verteidiger der Palästinenser gerieren kann, und dass es dafür Ursachen gibt, die zu einem erheblichen Teil mit dem unilateralen Abzug Israels aus Gaza zusammenhängen, das müsste doch in einer Diskussion über Strategie erwägenswert sein – und nicht erst heute. 

Die Frage nach der Strategie, die hinter diesem einseitigen Abzug stand, wurde von Dov Weissglas bereits beantwortet (s.o.). Nur: Es muss doch jedem, und gerade strategisch denkenden Menschen, auffallen, dass damit ein Problem geschaffen und der permanenten Nicht-Lösung zugeführt wurde, nämlich, was mit den Menschen in Gaza geschehen soll.

Da haben wir also seit zwanzig Jahren wiederkehrende Gaza-Kriege, seit dem 7. Oktober eine nach allen Regeln der Logik folgerichtige Katastrophe, eine aktuelle, ebenso folgerichtige Eskalation, über die im öffentlichen Rundfunk von Fachleuten diskutiert wird. 

Angesichts all dessen bereitete es dem Team der Sendung keine Probleme, die Aussage, der Iran verdient für seinen Angriff die Anerkennung der (westl., s.o.) Wertegemeinschaft öffentlich zu verlesen. Aber die politischen Hintergründe gehören nicht zum Thema? Sind wir noch zu retten?

Dem Herren am Telefon möchte ich noch folgendes ausrichten: Er hat wohl, von allen Beteiligten, von diesem Thema am wenigsten verstanden.

Mit enttäuschten und zornigen Grüßen Johannes Sprenger

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Johannes Sprenger

Johannes Sprenger, geb. 1958 in Innsbruck, ist Saxophonist, Komponist und Musikpädagoge, studierte Saxophon und Musiktheorie in München, Innsbruck, Graz und Wien. Zahlreiche Aufenthalte in Ländern des Spätstalinismus der 1980-er-Jahre und daraus resultierende persönliche und berufliche Beziehungen. Kompositionen für Kammerorchester, Kammerensembles, Bühnen- und Filmmusik, Lyrik und Kurzprosa. Von 1993 - 2011 als eine Hälfte von „AkkoSax“ zusammen mit Siggi Haider Theater-, Film-, Hörspiel- und CD-Produktionen, Österreichischer Weltmusikpreis 2008. Seit 2013 zusammen mit Klemens „Klex“ Wolf „FransenMusik“ - freie Improvisation, Elektronik, Musik und Literatur. Zusammenarbeit mit dem Tiroler Kammerorchester InnStrumenti, dem Orchester der Akademie St. Blasius und dem Tiroler Ensemble für Neue Musik (TENM). Letzte Veröffentlichungen „Aspekte des Nahostkonfliktes“ Edition BAES 2023, „Bad Relations“, LP der Rockband „Fennymore“ hs productions 1980/2021, mit Johannes Sprenger als Sänger, Texter, Saxophonist und Produzent.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Andreas Niedermann

    Die Besessenheit der Österreicher von Israel. Alle haben etwas zu vermelden, auch wenn sie den Staat auf der Karte nicht auf Anhieb finden würden.
    Der Hunger, der von islamistischen Mörderbanden in anderen afrikanischen Staaten verschuldet wird, und tausende Opfer fordert, ist keiner Erwähnung wert. Warum?
    Ist halt nicht sexy. Sexy ist es nur, wenn Israel involviert ist.

  2. Andreas Mühlbacher

    Danke Hannes, du hast formuliert (und recherchiert), was ich nicht zu sagen vermochte, weil mir da einfach die Worte fehlen…
    Liebe Grüße, Andi Mühlbacher

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