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Literarische Korrespondenz:
Alois Schöpf an Robert Muskat
Betrifft:
Weg mit den Religionen
aus dem öffentlichen Leben!
Ein gefährlicher Vorschlag

Sehr geehrter Herr Muskat!

Sie bezeichnen sich in ihrem Leserbrief vom 07.06.2024 zum Artikel von Walter Plasil Bevor es zu spät ist: Kalifat in Tirol als überzeugten Atheisten. In diesem Punkt unterscheiden wir uns. Der Begriff Atheist ist mir zu kämpferisch, immer noch zu sehr, wenn auch nur durch Gegnerschaft, an einen Gott gebunden. Aber Gott interessiert mich nicht mehr. Religionen sind überholte Erklärungssysteme, die dem Wissen, wie wir es heute über die Welt haben können, entgegenstehen. Eine Gegnerschaft und damit Wahrnehmung des Religiösen ergibt sich nur dort, wo dieses Entgegenstehen politisch manifest wird.

Ansonsten sind die Religionen mit ihrem Gott und ihren Göttern, Propheten und Evangelisten Weltliteratur, oft schön wie Grimms Hausmärchen, oft aufregend wie Homers Odyssee, oft aber auch langweilig und moralistisch, oft grotesk, oft pervers. Religionen haben ein beeindruckendes architektonisches Vermächtnis hinterlassen, geniale Maler und Bildhauer zu wunderbaren Werken inspiriert und waren Quellen großartiger Musik.

Die Hoffnung der Aufklärung, die Menschheit würde in absehbarer Zeit zum Selbstdenken übergehen, ist ein schöner, vielleicht aber auch fragwürdiger Traum. Warten wir´s ab, bis er Wirklichkeit wurde. Für heute gilt, dass auch in unseren liberalen und von Wohlstand geprägten Demokratien immer noch eine überwiegende Mehrheit auf dieses Selbstdenken verzichtet, um in ihren metaphysischen Schrebergärten nicht nur eine philosophische Heimat, sondern auch Rituale der Identität, der Schönheit, des Zusammenkommens im Rahmen einer zeitlichen Ordnung vorzufinden. Die Hoffnung, dass sich daran in nächster Zeit Wesentliches ändern würde, ist eine naive Vorstellung, der sogar die realistische Befürchtung entgegensteht, der Anteil derer, die auf das Selbstdenken zugunsten anderer Komfortangebote verzichten, könnte sogar größer werden.

Diese Mehrheit der Nichtselbstdenker wollen Sie also, Herr Muskat, in den Untergrund schicken? Sind Sie sich der Folgen eines solchen Wunsches bewusst? Wissen Sie nicht, was in den Vereinigten Staaten, in denen von allem Anfang an Religionsfreiheit einerseits und Distanz der Religionen zum Staat andererseits Grundlage des Zusammenlebens war, die evangelikalen Sekten angerichtet haben, in den Schulen zum Beispiel der Unterricht über die Evolutionstheorie behindert wird und ein erklecklicher Anteil der Bevölkerung an die Entstehung der Welt glaubt, wie die Bibel sie beschreibt? Ganz abgesehen von dem neuerlichen Verbot der Abtreibung, der Bewertung von Homosexualität und der sexuellen Gestaltungsfreiheit des Lebens insgesamt.

Aber wir müssen nicht in die USA ausweichen, Herr Muskat. Denken Sie nur an unsere, als offizielle Religionsgemeinschaft anerkannten Zeugen Jehovas, von deren Praktiken ich aufgrund privater Erfahrungen aus meinem Bekanntenkreis zu genau weiß, wie sehr hier rücksichtslos durch Indoktrination Familien auseinandergerissen werden, der Kontakt zu den Kindern dem jeweils nicht zur Sekte gehörenden Elternteil entzogen wird, was den Betreffenden natürlich nicht seiner Zahlungsverpflichtungen enthebt, und Familienfeste des allgemeinen Zusammenkommens bis hin zu Weihnachten nicht gefeiert werden dürfen, weil irgend so ein Verrückter ein verrücktes Buch geschrieben hat, dessen nicht minder verrückten Exegeten die Gläubigen die Last des Selbstdenkens übertragen. Denken Sie auch an die jüngst in den Medien kolportierten Bombenanschläge im Zusammenhang mit dieser Religionsgemeinschaft, von denen ich nur sagen kann, ohne sie in irgendeiner Weise rechtfertigen zu wollen: Es ist verwunderlich, dass derlei angesichts des Terrors, den diese und ähnliche Sekten ausüben, nicht öfter geschieht.

Und denken Sie bitte auch an die Parallelgesellschaften vieler unserer österreichischen Muslime, in deren religiösen Zentren bärtige Herren ihre Predigten halten, in denen sie ihre Scharia über die Gesetze unseres Staates stellen und die jungen Menschen dazu anstiften, sich in kämpferischem Identitätsgetue ebenfalls dicke Bärte wachsen zu lassen und sich schon als junge Mädchen in die schwarzen Säcke der Sexual- und Lebensfeindlichkeit zu hüllen. Dabei wäre der Islam ja eine Weltreligion, in vielen Staaten eine Staatsreligion, leider jedoch nicht gesegnet mit einem vatikanischen Zentrum, wie es die katholische Kirche hat, woraus folgt, dass jeder noch so wortgewandte muslimische Theologe sich in Verbrüderung mit seinem Diktator die Hinrichtungsmethoden eventueller Ungläubiger bzw. politischer Gegner selbst austüfteln kann.

Da lobe ich mir doch wahrlich, lieber Herr Muskat, unsere katholische Kirche, deren Bischöfe im besten Fall als ehemalige Hochadelige, im Normalfall als biedere Gotteskarrieristen Mitglieder der Elite unserer Gesellschaft sind, bei Konzerten in den vorderen Reihen sitzen und als solcherart Eingebürgerte nur insoweit Unsinn verzapfen dürfen, als es die neben ihnen sitzenden gewählten Herrscher unserer Demokratie, meist selbst Nichtselbstdenkende, vor ihren Wählern verantworten können. Da hat doch der Aberglaube eine gewisse Ordnung und Gesittetheit, eine gewisse Verpflichtung, sich zivilisiert, sich gemäßigt und im besten Sinne staatstragend zu geben und nicht in blutrünstige Ekstasen auszurasten. Die Evolutionstheorie kann hierzulande ungestört gelehrt werden, ebenso die Neurophysiologie eines Eric Kandel, dessen Biochemie des Geistes die bange Frage aufkommen lässt, wo hier noch die platonisch christliche Idee einer vom Körper unabhängigen Seele, die nach dem Tod zum Himmel auffährt und auf das Jüngste Gericht wartet, Platz haben sollte.

Dass diese Verbrüderung oftmals zu weit geht und etwa in Sachen Abtreibung oder Sterbehilfe die im Nichtselbstdenken staatsreligiös verbrüderten Eliten dem mehrheitlichen Willen des Volkes den Gehorsam verweigern und der Verfassungsgerichtshof einschreiten muss, um Leiden zu verhindern, darf dabei nicht verschwiegen werden. Hier jedoch die Schuld den Vertretern des Aberglaubens zuzuschieben, ist unfair, insofern man als Bürger eines säkularen Staates von seinem politischen Mandatar eigentlich erwarten dürfte, dass er zumindest den Wikipedia-Eintrag zu Kant gelesen hat, sich in diesem Sinne bemüht vernünftig zu sein und somit als gut bezahlter Politiker das Märchentrauma seiner Erstkommunion überwunden hat.

Trotz dieser Einschränkung: Lassen Sie uns, Herr Muskat, unsere biedere katholische Kirche, die, solange sie so wenig zu reden hat wie heute, als geordneter Unsinn all dem ungeordneten Unsinn privater Blasen und Verschwörungstheorien bei weitem vorzuziehen ist.

Hochachtungsvoll Alois Schöpf

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. c. h. huber

    lieber alois,
    zum großteil stimme ich deiner ansicht zu. gebe aber zu bedenken, dass die katholische kirche, wie sie sich derzeit darstellt, auch nicht freiwillig auf ihre scheußlichkeiten verzichtet hat. hätte es nicht massiven widerstand aus der bevölkerung gegeben, vor allem den sozialistisch und wissenschaftlich orientierten menschen, wären wir heute noch da, wo wir vor jahrhunderten waren. freiwillig hätte die kirche keinerlei öffnung befürwortet, nur der gesellschaftliche druck und die angst, noch mehr gläubige zu verlieren, zwang zu reformen. das würde ich mir auch für die muslimische welt wünschen.

  2. Robert Muskat

    Lieber, sehr geschätzter Herr Schöpf,
    mit großem Interesse habe ich Ihre ausführliche Antwort gelesen und muss Ihnen sicher teilweise recht geben.
    Ich sehe mich deswegen als Atheisten, weil ich prinzipiell an der Existenz eines Gebildes, das allgemein als „Gott“ bezeichnet wird, zweifle. Die Menschheit hat sich leider durch Jahrtausende von „Religionen“ hinters Licht führen lassen und anscheinend bis heute nicht begriffen, dass im Namen der Religionen nur Druck, Bevormundung und Unterdrückung auf sie ausgeübt werden. Ich verstehe leider nicht, warum man seitens der Politik, der Bildungseinrichtungen und im Hinblick auf die Menschenrechte nie etwas gegen diese Vereine, deren Machtausübung und Unterdrückung unternimmt. Im Namen diverser „Götter“ werden Menschen umgebracht und ihrer Freiheit beraubt, ausgebeutet und gequält. Niemand unternimmt etwas dagegen. Ist es vielleicht „human“, wenn ein Putin Kinder töten lässt und dafür von einem in eine Goldkutte gekleideten Rauschebart gesegnet wird? Ist es menschlich, wenn Leute, die am Rande des Verhungerns noch gezwungen wurden/werden, etwas abzugeben oder Fronarbeit zu leisten, damit Glaubensgruppen in pompösen Palästen residieren können, wenn bewaffnete „Moralwächter“ Frauen quälen und töten, weil das Kopftuch nicht richtig sitzt, weil sie nicht bereit sind, solange es biologisch möglich ist, als Gebärmaschinen hinzuhalten, weil der Pascha viermal am Tag ficken will? Das alles sind Errungenschaften der Religionen!
    In diesem Sinne liebe Grüße Robert Muskat

  3. Ach, beherrschte ich doch bloß dieses geschliffene Deutsch samt schlüssiger Argumentationskette, das/die du nunmehr wieder einmal servierst, lieber Alois! Und fände ich doch nur ein Haar in deiner Argumente-Suppe, um mir ein „Jetzt habe ich ihn aber!“ zu gönnen! Aber nein.
    So bleibt mir nur, mich über deinen am Anfang deiner Ausführungen vorgebrachten Halbsatz „Der Begriff Atheist ist mir zu kämpferisch …“ ein klitzekleinwenig zu wundern, da ich diese Ansicht halt nicht teile. Oder womöglich doch ein bisschen?
    Denn – ich habe dies, selbst schriftlich, schon mehrmals, getan – ich meine, einen (hoffentlich zudem halbwegs witzigen) Weg für mich gefunden zu haben, indem ich mich wie folgt selbst bezeichne: „Ich bin ein mit einer Prise Agnostizismus kontaminierter Atheist“. Das nimmt wohl dem Begriff „Atheismus“ einerseits ein wenig von der von dir monierten Schärfe, eliminiert ihn indes andererseits nicht. Aber ich wählte diese Formulierung ja klarerweise nicht wegen dir, sondern aufgrund meiner durch die Naturwissenschaft(en) geprägten Vergangenheit, wo man lernte, bloß nicht allzu schnell sich einer Sache allzu sicher zu sein.

    Herzliche plus atheistisch/agnostische Grüße!
    Ronald

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