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Literarische Korrespondenz
Alois Schöpf an Oscar!
Betrifft:
Warum ich keine Zeit habe, mich mit Covid19 und den Gefahren der RNA-Impfung zu beschäftigen.

Oscar sendet über WhatsApp den YouTube Beitrag https://youtu.be/Rt3AwUacT80 „wir zeigen unser Gesicht“
Ich:
Bitte lass mich mit diesem Blödsinn in Ruhe.
Oscar:
Tickst du nicht richtig oder bist du nicht in der Lage, dir unvoreingenommen 19 Minuten anzuschauen, ohne nach 3 Minuten abzubrechen?
Ich:
Nein, bin dazu nicht in der Lage. Ich ticke nicht richtig. Richtig!
Oscar:
Ignorant!

12 Stunden später
Oscar:
Den Ignorant nehme ich zurück. Sorry, die persönliche Ebene hat in Diskussionen nichts verloren. Aber die Ängste und Bedenken denkender Mitbürger pauschal als „Blödsinn“ abzutun, geht gar nicht, schon gar nicht für einen denkenden, gebildeten Menschen wie dich.
Ich:
Mach dir nichts daraus. Wer austeilt (ich), muss auch einstecken!


Lieber Oscar!

Es gibt weltweit 250 Religionen, die alle geglaubt werden wollen, sofern man Wert darauf legt, nach dem Tod in ihren Himmel aufgenommen zu werden. Wobei die Frage, welcher Himmel nun tatsächlich in der Lage ist, seine paradiesischen Versprechungen einzulösen, insofern von besonderer Brisanz ist, als derjenige, der auf die falschen Götter setzt, bei den richtigen in der Hölle landet.

Theologisch bei den Jesuiten meiner Gymnasialzeit gut ausgebildet besteht zwecks Absicherung meines Komforts im Jenseits naturgemäß mein höchstes Interesse darin, durch das Studium der Weltreligionen noch bei Lebzeiten die richtige metaphysische Investition zu tätigen, was dazu führt, dass ich inzwischen bei den Ngara Modekngei angelangt bin, der vierundsiebzigsten, im Übrigen monotheistischen Religion meines Interesses, angesiedelt in der Republik Palau mit der Hauptstadt Ngerulmud im pazifischen Ozean.

Im Dienste einer gewissen Planbarkeit meines jenseitigen Lebens versuche ich durch solche Studien zumindest den Beweis zu liefern, dass ich mich, sofern ich mich in der Auswahl des Welterklärungssystems zuletzt doch geirrt haben sollte, zumindest redlich bemüht habe, den richtigen Gott bzw. die richtigen Götter von den falschen zu unterscheiden, woraus sich eventuell ein Gnadenakt ableiten ließe.

Dieses mein Bestreben ist denn auch der wahrhaftige und einzige Grund, den ich allerdings nur den allerwenigsten Freunden und Freundinnen mitteilen kann, da nur sie es sind, die mich deshalb nicht für verrückt erklären, weshalb ich reagiert habe, wie ich reagiert habe. Meine Unhöflichkeit all jenen gegenüber, die mich schon seit über einem Jahr über WhatsApp mit Interviews und Reportagen versorgen und die ich regelmäßig bitte, mich mit diesem Blödsinn in Ruhe zu lassen, worauf sie mich, wie du, einen Ignoranten nennen oder noch Schlimmeres, resultiert also lediglich aus meiner Scheu, mitteilen zu müssen, dass ich keine geistigen Kapazitäten frei habe, um mich auch noch mit der Frage zu beschäftigen, was Covid19 wirklich ist, worin seine Ursache liegen und mit welchen Mitteln die Krankheit am besten bekämpft werden könnte. In Anbetracht der Tatsache nämlich, dass mein Leben nach dem Tod ewig währt und dem jenseitigen Anteil daher im Hinblick auf die Begrenztheit des diesseitigen Lebens eine wesentlich höhere Bedeutung zukommt, erscheint es mir Zeitverschwendung zu sein, mich mit derlei unbedeutenden irdischen Kalamitäten auseinanderzusetzen.

Mein Vertrauen in die Mehrheitsmeinung der Wissenschaftsgemeinschaft ergibt sich also nicht daraus, dass ich der Ansicht wäre, dass diese Gemeinschaft auf alle Fälle immer Recht hätte, zumal ich sehr gut weiß, wie oft und wie dramatisch sie auch Unrecht gehabt hat. Es ergibt sich vielmehr aus einer Denkökonomie, welche mich zur Unterscheidung zwischen wichtigen und unwichtigen Aufgaben verpflichtet.

Wenn ich also all jenen, die mich mit einer gewissen Penetranz dazu auffordern, nun doch in Sachen Covid19 endlich eine kritischere Haltung gegenüber den Maßnahmen der Regierungen und der Mehrheitsmeinung der Ärzte und der Pharmaindustrie einzunehmen, eine Frage stellen muss, so lautet diese, ob sie in ihrem Leben nicht Wichtigeres zu tun haben, als einem doch eher nebensächlichen Problem nachzugehen, und ob sich, wie der große Friedrich August von Hayek es in seinen elegant geschriebenen Büchern immer wieder betont, eine hoch entwickelte Wissensgesellschaft wie die unsere nicht dadurch auszeichnet, dass wir auf Kenntnissen aufbauen können und auf Kenntnisse vertrauen können, die wir selbst nicht beherrschen, eine Hierarchie des Könnens, die insgesamt unseren Wohlstand ergibt?

Ich muss also annehmen, dass Personen, denen das Rätsel um Covid19 wichtiger ist als meine Studien, welche Gottheiten unter den 250 bestehenden Religionen mir ein gesichertes und gedeihliches Leben im Jenseits garantieren, diese alles entscheidende Frage bereits beantwortet haben. Ich habe das nicht. Ich bin noch lange nicht so weit. Deine Sicherheiten, lieber Oscar, treffen mich in einem Zustand an, der weit unter deinem metaphysischen Kenntnisstand anzusiedeln ist.

Solches immer wieder in wenigen Worten über eine WhatsApp eingestehen zu müssen, übersteigt allerdings die Kräfte meiner ohnehin geringen Selbstachtung. Lieber gelte ich daher als ein ignoranter Dummkopf und grüble im Schutze dieses Vorurteils weiter über die zumindest für mich noch unbeantwortete Frage nach, wer die richtigen Götter sind.

Mit der Bitte um Verständnis
Alois


Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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