Ingelies Zimmermann
Schön war´s in Cattolica!
Erinnerungen

Es war so Mitte der 1950-er Jahre. Die Besatzungsmächte, in Tirol die Franzosen, hatten ihre Habseligkeiten zusammen gepackt und waren nachhause gefahren. Österreich durfte sich über den nach langen und zähen Verhandlungen erhaltenen Staatsvertrag freuen. Endlich waren wir frei!

Wer an diese Zeit zurückdenkt, erinnert sich. Es waren schöne Jahre, es gab genügend Arbeit, die Wirtschaft kam in Schwung, man verdiente gutes Geld. Endlich war auch der Nachholbedarf gedeckt, jetzt war es allerhöchste Zeit auch einmal an Urlaub zu denken.

Das Sehnsuchtsziel hieß Adria! Ferienorte wie Rimini, Cattolica, Gabicce Mare oder Riccione. Manche erinnerten sich, dass in den Jahren vor dem 2. Weltkrieg bereits Leute mit gut gefüllter Brieftasche dort ihre Ferien verbrachten. Für normal Sterbliche waren es bestenfalls Wunschziele, meistens aber nur schöne Träume.

Doch jetzt war alles anders. Man hatte den Krieg, die Besatzungsjahre, die wirtschaftlichen Probleme und Schwierigkeiten gut gelöst, es lag etwas Geld am Konto, der Jahresurlaub war fällig, jetzt endlich darf man sich den Sehnsuchtswunsch erfüllen. Urlaub am Meer!

Vierzehn Tage unbeschwerte Ferien an der Adria ! Im Reisebüro hatte man gebucht. Nicht Luxus im Grandhotel, sondern wunderbare Tage in einer Pension. Cattolica. Direkt am Meer, Vollpension, Sonne, eigener Strand, noch schöner, noch besser war fast nicht mehr möglich!

Man fuhr mit dem Zug. Wer besaß damals in den 50-er Jahren schon ein eigenes Auto! Abends um halb zehn Uhr ging es los. Am Brenner wurde die Lokomotive ausgetauscht und in Verona musste man in einen anderen Zug umsteigen. Der bisherige fuhr dann weiter nach Rom, doch man wollte ja ans Meer!

Also umsteigen. Verona Porto Nuovo! Ein völlig unbekannter Bahnhof, alle Aufschriften italienisch, aber man entdeckte auf einem Nebengleis den Zug, der an die Adria fahren wird.

Zweite Wagenklasse, die Abteile eher schäbig, die kunstledernen Bezüge der Bänke und Rückenlehnen zeigten starke Spuren von Abnützung, die Fenster grau von Schmutz. Aber es ging ans Meer!

In aller Herrgottsfrüh kann man endlich in Cattolica an. Es stiegen noch einige Leute aus. Vor dem Bahnhof döste ein Kutscher am Bock des einzigen dort stehenden Fahrzeuges vor sich hin. Er musste erst geweckt werden, doch dann trabte das Pferdchen gemächlich in Richtung der Pension „Paradiso“. Die zeigte sich als nicht besonders großer würfelförmiger Bau, der straßenseitig einen Streifen Grün aufwies.

Es herrschte totale Stille. Der Kutscher war weiter gefahren, man machte sich’s im Vorgarten des Hauses etwas bequem. Es gab einige Klappsessel mit bereits stark verwittertem Leinenbezug. Wenn man ums Haus herum ging, erreichte man den Strand. Ein schmales Stück Grünfläche, dann Sand und dann! Endlich! Das Meer!

Das Wasser war von grünlichgelber Farbe, kleine weiße Schaumkrönchen flossen in Richtung Strand und versickerten. Die Sonne schien von einem diesig blauen Himmel, ein paar kleine Wolken zogen vorbei, es war still, nur vom Wasser her hörte man leises Gluckern und sanftes Schlagen der Wellen.

So gegen halb acht kam Leben auf. Ein Bäckerbub brachte frisches Brot, ein Lieferant warf ein Bündel Zeitungen vor die Haustüre, eine Kanne Milch wurde hingestellt, dann kam eine Frau in weißem Arbeitsmantel aus dem Haus, nahm Lebensmittel und Zeitungen auf und blickte erstaunt auf die Leute die im Garten saßen.

„Wir sind die Familie aus Innsbruck, wir haben bestellt, sie haben uns das bestätigt“ sagte jetzt der Vater und zog ein Papier aus der Rocktasche.

„Mamma mia, so früh!“ rief die Frau, handelte dann aber. „ Das Zimmer ist noch nicht fertig, aber ich kann ihnen ein Frühstück machen!“ Sie sagte das auf deutsch, doch sie war erleichtert, als sie feststellte, von den neuen Gästen spricht der Vater recht gut italienisch.

Was dann folgte, war einfach nur schön! 14 Tage am Meer! Sonne, Wasser, Sand! Die Gäste, die außer den Tirolern in der Pension waren, kamen teils aus Deutschland, teils aus Holland. Die Tiroler waren die einzigen Österreicher. Was man für die gemeinsame Konversation mit den Holländern an Wortschatz benötigte, reichte mit den bescheidenen eigenen Sprach-Kenntnissen.

Ein prachtvoller Sonnentag fügte sich an den anderen. Die Familie wurde nach und nach braun und brauner und ähnelte gegen Ende der Ferien bereits den Kaffeebohnen, die in einem Glas neben der Espressomaschine lagen.

Man war am Freitag am Wochenmarkt und es wurden Schuhe gekauft und für die beiden weiblichen Familienmitglieder, Mutter und Tochter, je ein Kupon fast echter Seide, bedruckt mit lebhaft leuchtendem Muster. Das Essen war gut, wenn auch etwas einseitig. Täglich gab es Pasta, die sich nur durch die verschiedenen Formen der Teigware unterschied. Aber daheim stand oft Suppe am Tisch –  und Nudeln waren eben Urlaub und ganz etwas besonders Gutes!

Man ist mit einem Ausflugsbus nach San Marino gefahren und hat dort für Onkel Berti einen Satz besonders schöner bunter Briefmarken gekauft. Berti passt ja zuhause auf die Wohnung auf und gießt die Zimmerpflanzen!

Man hat den Tanzabend besucht und ein Jüngling mit leuchtenden Malzzuckerlaugen hat der 15-jährigen Tochter schöne Augen gemacht. Die Drei Mann Kapelle hat unermüdlich gespielt, wenn auch das Repertoire eher bescheiden war, denn jedes 3. Stück war „Marina Marina Marina“ und jedes zweite „Volare“.

Man hat später dann wie die anderen Gäste auch mitgesungen. Die Zeit raste in der zweiten Urlaubswoche nur so dahin. Hatten die Tage dort weniger Stunden?

Doch der letzte Abend kam. Man aß noch einmal Pasta, diesmal eine Art Hörnchen in der bereits bekannten Tomatensoße, die Weinflasche war leer. Die Eich-Striche, die der Vater nach jedem Essen auf das Etikett zeichnete, waren überflüssig geworden.

Am letzten Abend waren wir bereits gedanklich in Tirol, in der eigenen Wohnung, Mutter dachte, dass sie gleich einmal die Waschmaschine anwerfen werde, Vater hoffte, dass in der Firma durch seine Abwesenheit keine Katastrophe eingetreten war. Die beiden Kinder dachten zum ersten Mal nach langer Zeit wieder einmal an die Schule.

Noch einmal am Strand, noch einmal barfuß am Ufer durch das warme Wasser gehen, noch einmal unter der Stranddusche den Sand von den Füßen waschen, die Koffer sind schon gepackt, das Taxi bestellt, das letzte Abendessen, wieder Pasta, diesmal Spaghetti mit Tomatensoße, dann Kalbsbraten, papierdünn geschnitten, Kartoffel, Salat, den man wieder selbst marinieren durfte, danach ein Vanilleeis mit Schokoladesoße, der letzte Schluck Wein, die Gedanken sind bereits daheim, Abschied, ein wenig Traurigkeit, aber daneben auch viel Dankbarkeit.

Es geht einem doch gut, wer hätte noch vor einigen Jahren daran gedacht? Urlaub am Meer, in Italien, die Sonne, das Wasser, die Stimmung! Eigentlich sollte man dankbar sein!

Aber bei aller Nachdenklichkeit träumt man doch, dass man im kommenden Jahr wieder ans Meer fahren wird und so herrlich unbeschwerte Tage erleben darf wie heuer!

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Ingelies Zimmermann

Ingelies Zimmermann, geb. 1933 in Innsbruck, Redakteurin bei den Tiroler Nachrichten, Redakteurin Tiroler Tageszeitung, Schriftstellerin. Publikationen: 19 Jahrgänge Tiroler Seniorenkalender, Die gute Küche aus Tirol. Romane: Hochwasser, Felicitas, Nach Meran zur Kur, Pulverschnee und abends Wodka, Drei Schwestern aus gutem Haus.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Karlheinz Veit

    Hervorragender Kommentar…!
    Heute wurden/werden manche Strände zwischen Rimini und Cattolica gesperrt – Algenplage !
    Der Po bringt nur mehr 20% seines Wasservermögens in die Adria – ein Trauerspiel !
    Apropos „ich mache Ihnen ein Frühstück, weil zu früh angekommen“! Waren gerade in Ischia, kamen um 11 Uhr im 4****- Hotel an und mussten drei Stunden auf den Bezug warten! In diesen drei Stunden etwa ein Frühstück nachgereicht, vielleicht nur ein gewöhnliches Glas Wasser – Fehlanzeige! Die Gier ist ein Luada…!
    Zum Glück war das Hotel dann ein Traum und alles perfetto…!
    Denke gerne an die vielen, tollen Adria-Urlaube zurück, wenn auch ab 2000 Griechenland immer mehr als Reiseziel erkoren wurde – das Wasser und der Strand waren einfach um Klassen besser !

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