Helmuth Schönauer bespricht:
Stefanie Holzer / Walter Klier
Heiter bis grantig
309 kleine Geschichten
aus der guten alten Zeit 2002–2019
Alarm in der Geschichtsschreibung: Dieser Tage hält die Erforschung der österreichischen Zeitgeschichte den Atem an, weil die ehemalige Sozialministerin Beate Hartinger-Klein bei ihrem Ausscheiden aus dem Amt alle ihre Dienst-Akten für privat erklärt und unter Auflage einer 30jährigen Sperrfrist ins Archiv verbracht hat. Nach vorherrschender Rechtslage kann man also die Geschichte eine Zeitlang vertuschen, wenn man sie für privat erklärt.
Unter diesem Aspekt ist es für die Zeitgenossen doppelt interessant, wenn jemand sein privates Denken für öffentlich erklärt und regelmäßig Glossen und Geschichten daraus formuliert. Diese Textsorte funktioniert nämlich zweifach: Einmal in Echtzeit und im zweiten Anlauf als erzähltes Kontinuum im Sinne des emotionalen Archivs.
Glossen sind als sensibler Mikrokosmos am ehesten geeignet, den Sound eines Jahrzehnts für die unmittelbaren Zeitzeugen zu archivieren.
Stefanie Holzer und Walter Klier haben in den Nuller und Zehner Jahren ein einzigartiges Genre entwickelt und in der Tiroler Tageszeitung publiziert. Unter dem Titel Heiter bis grantig sind verschieden lang geratene Geschichten in das Einheitsblatt geraten, wobei Redaktion und Kreativ-Duo mit einem Open-End des Projekts rechneten. Trotz wechselnder Blattlinien und ständig erneuertem Blatt-Personal ging die Sache beinahe zwanzig Jahre lang gut, ehe dann zum Jahreswechsel 2020 der Tschüs-Artikel fällig wurde, sinnigerweise überschrieben mit 309 Das neue Jahr bringt Änderungen.
Für diesen Erinnerungsband sind folglich 309 Geschichten ausgewählt, die nach einer fünfjährigen Cooldown Phase frech und spitz daherkommen, als wären sie gerade erst geschrieben worden.
Die Auswahl ist durchnummeriert, chronologisch geordnet und als epischer Fließstrom angeordnet, der freilich durch die Partikel-Gliederung bei jedem Umblättern erfrischt. In der Galeriesprache könnte man sagen, die Texte sind neu gerahmt und blick-freundlich gehängt, sodass im veränderten Kontext durchaus neue Schwerpunkte auszumachen sind.
Beim Durchstreifen von Readern empfiehlt es sich, auf die drei Kreativ-Komponenten zu achten: a) Medium; b) Themen; c) Autorschaft
a) Die TT als Medium ringt sich im neuen Jahrhundert wie alle Printmedien dem Untergang entgegen. Das Publikum rinnt in Richtung Friedhof aus, die diversen Textsorten stehen unter enormem Druck der Digitalisierung, die Redaktion kämpft um Haltung und Richtung und verliert dabei auf jeden Fall Intellektuelle und Künstler, falls es solche in Tirol je gegeben hat.
Die Serie Heiter bis grantig bleibt ein permanenter Pilotversuch, Globalisierung und Digitalisierung im regionalen Umfeld mit analogen Erfahrungen zu unterfüttern. Die Serie lässt sich auch als Schlingern eines Tagesmediums und seinem disruptiven Umgang mit dem Tagesgeschehen lesen.
b) Die Themen resultieren aus diesem Ringen. Alles, was für den Tagesjournalismus relevant sein kann, ist auch für den Glossisten relevant. Heiter bis grantig erzählt ein Ereignis als erlebbare Geschichte, die Serie berichtet in lakonischen, oft auch ironischen Sätzen davon, was im Individuum passieren kann, wenn darin Tages-relevante Ereignisse einschlagen.
c) Stefanie Holzer und Walter Klier gelten spätestens seit der Herausgabe der Kult-Zeitschrift Gegenwart als prädestiniert für diesen Akt der Transformation: Durch Geschichten-Erzählen letztlich Geschichte zu erzählen. In ihren Neben-Leben treten sie zudem als Kleingärtnerin und Kleinmaler auf, beides Berufungen, die den Endverbraucher einer kolossal globalisierten Gesellschaft ironisch in den Mittelpunkt stellen.
Alle Wirtschaft trifft dabei auf den Horizont der Selbstversorgung Marke Robinson Crusoe, alle Medienkunst endet mit jener Fläche, die ein dem Biedermeier nicht ungewogener Maler innerhalb des Spannrahmens auszugestalten vermag. Die Glossen in der Tageszeitung filetieren somit die Geschehnisse, die als Endloswurst aus dem Nachrichtenticker sprudeln, in menschelnde Erlebnishappen.
Der Sammelband, unmittelbar aus dem Licht des Tagesgeschehens gerückt, zeigt schon nach kurzer Zeit das Epochale einer Epoche, für die wir noch keinen gültigen Namen haben, weshalb wir sie die Nuller und Zehner nennen.
Was haben wir allerlei Geschlechts zwischen 2002 und 2019 gemacht? Welche Ausflüge haben wir unternommen? Lebten wir lieber in der Stadt oder auf dem Land? Wie gingen wir mit unseren Kindern um, wenn sie in die kaputten Schulen oder gar zur Impfung geschickt werden mussten? Wie redeten wir miteinander, wenn wir uns nichts zu sagen hatten? Wie gläubig waren wir gegenüber den Sätzen der politischen Leitfiguren? Wie gingen wir mit Bären um, die plötzlich aus der Floskel vom aufgebundenen Bären herausstiegen und sich im Land breit machten?
Alle diese Fragen würde man heute einfach in Google eingeben und die KI beantworten lassen. Der Witz ist allerdings, dass diese KI dann auf jene Geschichten zurückgriffe, die Stefanie Holzer und Walter Klier mit Ironie im Netz hinterlegt haben.
Heiter bis grantig trifft wörtlich genommen die Tagesverfassung jedes einzelnen von uns Lesern. Durch solche Geschichten nämlich sind wir erst imstande, unsere Laune zwischen den Gemütszuständen in Worte zu fassen.
Stefanie Holzer / Walter Klier: Heiter bis grantig. 309 kleine Geschichten aus der guten alten Zeit 2002–2019.
Buchholz: Laugwitz Verlag 2023. 250 Seiten. EUR 18,-. ISBN 978-3-933077-71-4.
Stefanie Holzer, geb. 1961 in Ostermiething, lebt in Innsbruck.
Walter Klier, geb. 1955 in Innsbruck, lebt in Innsbruck.
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