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Helmuth Schönauer
Kulinarische Fresspyramide
Stichpunkt

Neben Vulkanausbruch, Dürre und Feuer sind heuer die invasiven Pflanzen und Tiere zu einer Katastrophe angewachsen. Touristen sind genervt, weil es überall gleich ausschaut, was immer sie auch gebucht haben.

Waren es zuerst nur Dirndl-Rezeptionistinnen, die als Neophyten überall am Kontinent den Eincheckenden zur Hand gingen, sind mittlerweile auch die Hotels selbst überall im gleichen Nachhaltigkeits-Stil und mit gleichem Material erbaut und ausgestattet. Das habe mit den einheitlichen Brandvorschriften zu tun, die in Schweden und Slowenien gleich sind, erklärt ein Hotelangestellter, der schon öfters irrtümlich ins Nachbarhotel gegangen ist, wenn er spätabends illuminiert seine Heimstätte im milden Alko-Licht verwechselt hat.

Pool, Buffet, Fernsehkanäle, W-Lan: alles genormt und kompatibel, sodass du mit einer einzigen Urlaubsstimmung überall in Europa absteigen kannst. Parkplatz, E-Box, Schrankenanlage: Wenn du es einmal kapiert hast, bist du gefühlt überall mit deinem Auto daheim in der eigenen Tiefgarage.

Und was für eine Überraschung! Die Pflanzen rund um die Anlage sind überall gleich, die Gärtner sprechen von Neophyten, die glücklicherweise das sinnlose Ur-Kraut ausgerottet haben, um die Landschaft reif zu machen für TikTok.

Neben vielen Pflanzen haben wir auch die Tiere, so gut es geht, ausgerottet oder mit Klima-resistentem Genmaterial gekreuzt.

In Norwegen, berichten die Kreuzfahrer ganz erregt, haben die Blaukrabben ganze Fjorde leer gefressen, sodass man jetzt den Kreuzschiff-Touristen gegrillte Einheitskrabben serviert, nachdem alles andere schon ausgestorben ist. Es schmeckt vorzüglich, sagen die Schiffsköche, und es ist vor allem frisch und einheitlich.

Ähnlich schwärmen exquisite Köche in Südtirol, die sich die Blaukrabben heuer aus dem Adria-Lido liefern lassen, nachdem diese dort alles niedergefressen haben und zur Einheitstiergattung geworden sind, ähnlich der Südtiroler Volkspartei. Die Südtiroler Einheitspresse überschlägt sich mit Einheitsschlagzeilen. Blaukrabbe überflutet das Mittelmeer, in Südtirol steht sie jetzt am Speiseplan, um ihre Ausbreitung zu bremsen. – Genießen und das Meer retten! – heißt die Devise.

Manche Tiroler sind an großspurige Sätze aus der Aufbauzeit erinnert, als die Erinnerung an den Hunger zurückging und das Fleisch aus allen Rippen zu quellen begann.Eine berühmte Nachkriegsprotzerei: Ich gebe meine Erdäpfel den Schweinen, dann erspare ich mir das Schälen, wenn ich die Gabel ins Kotelett steche.

An diese skurrile Nahrungskette ist man erinnert, wenn es um die Beutegreifer geht, die allmählich zum Alltag gehören. Warum wendet man die Fresspyramide nicht kulinarisch verfeinert auf den Wolf an? Das wäre die Lösung, mit der auch die EU in ihrem Normierungswahn gut leben könnte. Wir verfüttern einfach die Schafe an geschützte Wölfe, die wir dann zu Premium-Fleisch verarbeiten und in ausgewählten EU-Restaurants verzehren.

Jede Fresspyramide ist o.k., solange der CO2-Ausstoß stimmt und der Mensch an der Spitze steht. Ein Wolf, der hundert Schafe umbringt, reduziert den CO2-Ausstoß auf der Alm um den Faktor hundert. Und wer einen gegrillten Wolf verzehrt, erspart den Schaf-Besitzern das mühsame Schlachten jener Schafe, die sonst bis zum Gehtnichtmehr bei den Lamm-Wochen auf den Tisch kommen.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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