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Helmuth Schönauer
Der Hotelier als Samariter
Stichpunkt

Rekapitulieren wir die berührendste Story dieses Sommers.

Ein Tiroler Hotelier, Extremsportler und Politfunktionär, investiert sein schwer verdientes Geld in eine Trecking-Tour auf den K2, einen mittlerweile berühmten TikTok-Gipfel für Mountain-Influencer. Seine Tour ist erstens in, zweitens standesgemäß, drittens ein Marketing-Hit, wenn man daraus ein Video für extravaganten Tourismus machen kann, und viertens wegen Lehrlingssuche steuerlich absetzbar.

Der Hotelier trifft auf Hunderte mit dem entsprechenden Kapital ausgestattete Wohnzimmer-Kletterer, die von Sherpas, Nepalesen oder Pakistani während des Aufstiegs intensiv betreut werden. Neben ständiger Sauerstoffzugabe werden ihnen auch sämtliche Steine aus dem Weg geräumt. Wer ins Stocken gerät, wird Huckepack genommen, damit er seinen vorfinanzierten Gipfelsieg per Beweisfoto ins Netz stellen kann. Reinhold Messner spricht von einem Pisten-Alpinismus, der ein abzulehnendes Massenphänomen geworden ist.

Hier kommt nun das große Herz des Hoteliers ins Spiel. Der Tiroler Held, der eben noch mit der Erweiterung seines Spa-Hotels in Kirchberg durch die Gazetten gerauscht ist, gibt nämlich betroffen machende Interviews, wonach ein Pakistani bei Bewusstsein kopfüber in einem Seil gehangen ist, während die K2-Klientel über ihn hinweggestiegen sei.

Ein x-beliebiger Auszug aus dem Blätterrauschen:

Den OÖN sagt Hotelier und Bergsteiger Willi Steindl, der die Bilder im Basislager sah: Als wir dann im Basislager auf einem größeren Display die Aufnahmen der Drohnenkamera ausgewertet haben, sahen wir, dass der Träger noch lange gelebt hat. Er hat sogar um Hilfe gebettelt und versucht, die Leute, die über ihn gestiegen sind, am Fuß zurückzuhalten. Die haben ihn dort oben verrecken lassen.

Der Vorfall spielte sich in der Schlüsselpassage Bottleneck des 8250-Meter-Berges ab.

Noch ehe die Empörung darüber abklingen konnte, dass am K2 Humanismus, Idealismus und Alpinismus (das sind übrigens die Grundvoraussetzungen des Tiroler Tourismus) wörtlich mit Füßen getreten werden, gibt es auch gleich den Samariter-Einschub, wonach der gute Hotelier die Hinterbliebenen des toten Pakistani aufgesucht und ihnen Geld hinterlegt habe. Natürlich werde er auch für die Ausbildung der Waisen sorgen.

Der gelernte Tiroler Zeitungsleser begreift in diesem Zusammenhang, dass letzteres nicht nur wegen der oben beschriebenen Werte geschieht, sondern auch um den hierzulande vorherrschenden Facharbeitermangel zu beheben. Die Hilfe wird also zu einer Lehre im eigenen Hotel führen. Die Suche nach Facharbeitern wird durch diese K2-Berichte ohne Zweifel von Erfolg gekrönt werden.

Vielleicht sollte man anlässlich dieses gar traurigen Lehrstücks von Brutalität und Abgebrühtheit wieder einmal die Dramaturgie von Geschäften in Erinnerung rufen.

Geschäfte sind das Abgleichen von Zielen in beiderseitigem Einverständnis. Daraus folgen diverse Rechte, die man besser nicht in Ich-Form erzählt, denn dann würden sie zu deutlich.

Hier in Probe-Ichform formuliert:

– Wenn ich einen Gipfelsieg kaufe, will ich auf den Gipfel, und nicht von Wiederbelebungsversuchen an fremden Personen gestört werden.
– Wenn ich den Abschuss von einem Hirschen kaufe, will ich nicht vom Gejammer über Gatterjagd und Tierleid aufgehalten werden.
– Wenn ich einen Spa-Urlaub buche, will ich keine Demonstrationen wegen Wassermangel oder Energiekrise, sondern mein mir zustehendes Wellness-Becken, das ich gebucht habe. Dasselbe gilt auch für diverse Klimakleber, die mich auf dem Weg zum Spa stören.

Ein Geschäft ist nie ein humanistisches Honiglecken, es ist brutal und voll von Faustrecht. Das können kleine Samariter-Einlagen eines kletternden Hotelier-Politikers am K2 nicht übertünchen.


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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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