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Helmuth Schönauer bespricht:
Kurt Lanthaler
Vorabbericht in Sachen der Zona Cesarini
Roman

Eine Biographie wird umso genauer, je mehr Abschweifmöglichkeiten und Seitenthemen sich entlang des Heldencharakters entwickeln.

Kurt Lanthaler gilt als Meister der Delta-Beschreibung. Im Roman Das Delta (2007) verliert sich ein Held im Zwielicht der Po-Landschaft, feste Materie geht in Schlamm über, Lungenatmung weicht über Kiemen-Konstrukte aus, der Erzählfaden geht verloren, während sich Geschichten um einen schwimmenden Standpunkt versammeln.

Im Vorabbericht in Sachen der Zona Cesarini bringt Kurt Lanthaler diese vage Erzähllage zur Perfektion, indem er zwischen Argentinien und Italien, den Zauberkünsten Zirkus und Fußball, und den fixen Heldenposen und entgleisten Fan-Gesten einen Vorbericht installiert.

Die Figur Renato Cesarini geht 1907 als Baby in Buenos Aires von Bord, es ist von der Atlantiküberquerung nur mäßig beeindruckt und schlüpft zum Aufwachsen gleich einmal in die Schuhe des Vaters, der als Schuhmacher aus Neapel sofort Fuß gefasst hat und Schuhe produziert wie am alten Kontinent.

Dieses nützliche Handwerk verschafft dem heranwachsenden Renato jede Menge Halt, indem sein Vater ihm jeweils die passenden Schuhe zusammennagelt, mit denen er als Kicker und Zirkusartist standfest bleibt. Da in Europa und Südamerika das gleiche Fuß-Maß herrscht, kann er in der Folge ständig zwischen den Kontinenten hin und her pendeln auf der Suche nach dem ihm angemessenen Lebensstil. Dabei legt er eine außergewöhnliche Karriere als Fußballer der Nationalmannschaften Argentiniens und Italiens hin.

Hin und hergerissen zwischen dem Argentinischen und dem Italienischen stellt er schließlich fest, dass es das Flüchtige dazwischen ist, das die letzte Festigkeit ausmacht. Womit wir wieder bei der Delta-Kultur des Kurt Lanthaler angelangt wären.

Das große biographische Spiel flunkert denn auch zwischen den beiden Grenzpositionen hin und her: Gibt ein fulminantes Abenteuerleben Auskunft über die vorherrschende Lebenskultur der Nicht-Abenteurer? Oder leitet sich aus der Exzentrik des Helden erst die breite Mitte der zeitgeschichtlichen Kultur-Follower ab?

Der Roman hält sich an die Stationen Buenos Aires, Genua, Turin und wiederum Buenos Aires. Der vorgestellte Held erkundet dabei die Massenphänomene, die ihn als Fußballgott umgeben. Gekonnt bringt er Fußball, Nachtleben und Zirkus unter einen Hut (78), heißt es einmal zusammenfassend.

Unter diesem Hut kommt es natürlich zu innigen Begegnungen mit ähnlichen Lebenskünstlern und Zeitgeist-Protagonisten. Argentinien und Italien werden fallweise von rechtsextremen Positionen aus politisch gestaltet, und Helden stehen dabei immer im Mittelpunkt der Machtprojektionen.

Um dieses vage Gerüst biographischer Daten sind unzählige Zeitungsnotizen, politische Kommentare, familiäre Anekdoten und geflunkerte Bar-Storys herumgeflochten.

Der Roman ist sauber in fette Überkapitel und kleinere Dünn-Kapitel gegliedert, oft setzt eine Sequenz mit einer Banalität oder Abschweifung ein. Drei Meldungen, eine Zeitung / Nach ausgedehntem Nachmittagsschlaf / Man kann Geschichte insgesamt / Da gehen die Geschichten […] Alle diese Aufmacher reißen den Leser jeweils neu in den Text hinein, die Andockstellen machen neugierig, egal wie elementar die daraus folgende Aussage sein wird.

So muss dann auch die Leserschaft am Schluss bewerten, was für das Heldenleben wichtig und was ein erzählenswerter Schnörkel ist. So wechseln die Eltern bei der Auswanderung noch schnell das Schiff, weil das geplante Schiff untergegangen ist, dafür hält sich Renato bei seiner ersten Rückfahrt nach Italien einen Affen namens Scimmi.

Hinter der ungewöhnlich barocken Beschreibung eines Fußballgottes tut sich freilich das Hauptthema auf. Wie kann ich postmodern erzählen, ohne dass es die Leser für postmodern halten? – In dieser Erzählform ist bekanntlich der Leser der letzte Erzähler, der das Gelesene für sich realisiert.

Der Leser ist also zwingend zur Mitarbeit eingeladen, indem er den vorgestellten Roman für sich vollendet. Der Ausdruck Vorabbericht deutet auf diese Absicht hin. In einer Einbegleitung wird ein wenig die Quellenlage gesichtet, nach Planung eines Dokumentationsprojekts taucht tatsächlich eine Schuhschachtel voll von Tonbändern auf, die man abhören müsste, wenn man ihre Authentizität überprüft hat. Hier sitzt der Quellenlage noch der Schock der gefälschten Hitlertagebücher im Nacken.

Am Schluss taucht ein Zettel auf, der nach Lektüre vernichtet werden muss. Darauf ist von der ominösen Zona Cesarini die Rede, die bis 2031 unter Verschluss gehalten werden muss. Beim Helden handelt es sich also nicht um eine Person, sondern um eine Zona, man könnte auch Mythos dazu sagen.

Fans von Kurt Lanthaler muss man nicht lange erklären, was für groteskes Gedankengut hinter der hin und her flitzenden Bio-Materie rund um Cesarini steckt. Schelmenroman, Künstlerepos, Fußballgott-Saga, alles ist richtig bei der Bewertung dieses Werks.

Gut versteckt hat der Autor überdies selbst seine Arbeit eingeschätzt: Eine Notiz so gut wie ein Epos. / Mein Großvater war mit acht Jahren allein emigriert und hatte den Atlantik überquert. Kennzeichen: „unbegleitet!“ stand auf seiner Karteikarte im Einwanderungsbüro des argentinischen Staates. Eine Notiz so gut wie ein Epos. / Paolo Rumiz, Der Leuchtturm 2017 (92)

Kurt Lanthaler: Vorabbericht in Sachen der Zona Cesarini. Roman.
Bozen, Wien: folio 2024. 257 Seiten. EUR 25,-. ISBN 978-3-85256-896-6.
Kurt Lanthaler, geb. 1960 in Bozen/Bolzano, lebt seit 1987 in Berlin.
Renato Cesarini, geb. 1906 in Senigallia, starb 1969 in Buenos Aires.

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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