Helmuth Schönauer bespricht:
Hannes Hofinger
Die Leiche in der Löwengrube
in St. Johann in Tirol
Ein Fall für Dr. Seeber
Krimi

Der Krimi ist als Genre und Gesellschaftstreiben die am häufigsten verwendete Kategorie, um sich purem Vergnügen oder Verbrechen hinzugeben. Die literarische Sorte Krimi spendet unter Garantie einen Roman mit Handlung, der wegen seiner klugen Gliederung ein ständiges Absetzen und Wiederaufnehmen von Lektüre ermöglicht.

Da die meisten Krimis heutzutage mit KI geschrieben werden, wird es nicht mehr lange dauern, bis auch die Leser eine KI verwenden, um möglichst viele Krimis ohne Aufwand zu bewältigen.
Hannes Hofingers Krimi von „Der Leiche in der Löwengrube“ wird von zwei Zugängen gespeist:
a) das Genre Krimi wird an die Grenze der Groteske und der süffisanten Überschätzung geführt,
b) das Treiben der Gemeindeführung wird als Hotspot krimineller Machenschaften gezeigt, die als Tagesgeschäft getarnt sind.Dem fiktionalen Plot ist eine Theorie übergestülpt, wonach Overtourismus ähnlich auftritt wie eine Explosion – und in beiden Fällen kriegen es die Beteiligten nicht mit, dass sie tot sind.

Dramaturgisch sauber in drei Akte unterteilt tun sich rund um die Löwengrube Abgründe auf, von denen die Baugrube mitten im Ort als Opferareal für eine unheilige Zukunft angesehen wird. Seit Jahren ist das Ortszentrum umzäunt und mit Grundwasser gefüllt, Spekulanten haben sich daran die Zähne ausgebrochen, Künstler und Zukunftsplaner ihre Projekte dazu entworfen.

Einer dieser Ideenspender ist der Bibliothekar des Ortes, der ein Kulturzentrum aller Sparten entwickelt hat, um dem Overtourismus im Land Paroli zu bieten. Wenn die Einheimischen sich um Kultur kümmern würden, statt um bloße Nächtigungen, könnte der Ausverkauf des Landes abgewendet werden. So in etwa seine These, die ihn freilich zum Außenseiter stempelt.

Im Krimi-Plot wird in der Baugrube eine Leiche gefunden, ein Kommissar aus Wien wird forensisch objektiv hinzugezogen und stellt bald fest, dass es sich um einen Immobilientypen handelt, der in der Löwengrube abgelegt worden ist. Statt den Fall zu recherchieren, entgleist der Kommissar freilich hormonell und beginnt eine Liebesgeschichte nach dem Motto: In der Literatur laufen Liebe und Tod auf das Gleiche hinaus, warum kann nicht mein Fall zu einer Liebesgeschichte ausarten?

Es kommt zu berührenden Liebesszenen im Almdirndl-Milieu, die Geliebte stirbt standesgemäß bei einem Absturz, und der Kommissar kann sich der weiteren Aufklärung widmen.

Als Unterhaltungselement ist in den Krimi ein Kapitel über Tiroler Widerstandskämpfer eingeflochten. Diese legen in Manier alter Andreas-Hofer-Mythen Straßen mit Steinfallen lahm, sprengen illegale Camping-Areale und streuen an giftigen Kurven Nägel, damit es die lästigen Biker von der Fahrbahn fegt.

Diese Geschichten sind nach jedem Wochenende als Unfallberichte zu lesen und wirken durchaus glaubwürdig, ohne dass man den Informationshahn zu Verschwörungen aufdrehen müsste. Herzzerreißend ist vor allem jene Episode, wonach eine Schwangere bei der Notgeburt stirbt, weil ihr im allgemeinen Verkehrsstau im Land keine Hilfe zuteil werden kann.

Die Löwengrube spuckt bei genauerem Absuchen ein weiteres Geheimnis aus. Ein kompletter Sarg mit eingeschweißter Botschaft wird freigelegt: eine Kunstaktion des Bibliothekars, womit er die Kultur des Ortes entlarvt und begraben hat.

Der Fall Löwengrube endet als professionell gestalteter Krimi.
a) die Sachlage wird aufgeklärt, darf aber in der Rezension nicht verraten werden, um die Spannung zu erhalten,
b) der Kommissar eröffnet dem Publikum, dass er Aufklärungsblut geleckt habe und an einem zweiten Fall zu arbeiten gedenke,
c) der Bibliothekar als indirekter Erzähler steigt aus dem Medienbetrieb aus und wird in der Justizanstalt Stein Anstaltsbibliothekar. Dort ist er frei, während sein Publikum eingesperrt zum Lesen gezwungen ist.

Hannes Hofinger verwendet das Genre des grotesken Ortsromans voller Hintersinn, um Einheimischen und Gästen, Touristikern und Künstlern, ja wahrscheinlich der gesamten KI im Netz zu sagen, dass es genug ist, wie sich die Alpenmenschen aufführen und sich selbst als kollektive Spekulation im nächstbesten Loch versenken.

Hannes Hofinger: Die Leiche in der Löwengrube in St. Johann in Tirol. Ein Fall für Dr. Seeber. Krimi.
St. Johann: Verlag Hannes Hofinger 2024. 98 Seiten. EUR 10,-. ISBN 978-3-9505593-1-6.
Hannes Hofinger ist Buchhändler, Verleger, Autor und Bibliothekar in St. Johann/Tirol.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Schreibe einen Kommentar