Helmuth Schönauer
Weltübertreibungen
Stichpunkt
Seit gut hundert Jahren wird diskutiert, ob Osttirol eine Ex- oder Enklave Tirols ist.
Das Rätselraten hat mit der Zeit zu einem eigenen Menschenschlag geführt: Die Osttiroler leiden einerseits an Größenwahn, indem sie alles, was bei ihnen geschieht, für ein Weltereignis halten, und andererseits an Minderwertigkeitskomplexen, weil das Land zu klein ist für fast alles, was darin geschieht.
Die knapp 50.000 Einwohner (auf kanadisch „First Nation Inhabitants“) fiebern bereits in der Adventszeit dem Jahresende entgegen, indem sie ihre Bilanzen vorzeitig vollenden aus Angst, ihre Verdienste könnten geschmälert werden, wenn man sie erst zu Silvester mit jenen anderer Länder vergleicht.
So werden auch für heuer wieder Ereignisse vorgestellt, die Weltformat haben. Sei es, weil sie auf der ganzen Welt diskutiert werden, oder die Geisteswelt des Bezirks weltbewegend verändert haben.
1. Bronze-Bullen trauern um Dosengott.
Als der reichste Österreicher in diesem Herbst die Augen schließen musste, weil ihm nicht einmal mehr die eigene Rezeptur aus der Dose Energie verschaffen konnte, wurden Nation, Sport, Kapital und Klimawandel in ein riesiges Loch gestürzt. In all diesen Gebieten blieb sprichwörtlich keine Dose mehr auf der anderen.
Auch an den Osttirolern ging dieser Umsturz im Dosenreich nicht ungenutzt vorbei, konnte man doch noch einmal vor den Kameras dieser Welt jene Bullen aus Bronze zeigen, die im Stile Hollywoods in einem künstlichen Wassergraben rund um die Weltzentrale in Fuschl postiert sind. Und der Schöpfer dieser Weltskulptur, ein L-OST-Tiroler, der die Welt gesehen hat und behauptet, nirgendwo kommen kleine Dinge so groß heraus wie in Osttirol, hängte bei dieser Gelegenheit gleich seinen 95-sten Geburtstag dran.
2. Aufregender Verlag warnt vor sich selber.
Seit vierzig Jahren bereichert der Osttiroler Haymon-Verlag die diversen Buchregale mit allerhand Skurrilitäten, Kleinodien der Heimat und vor allem Triggerwarnungen.
Ursprünglich mit einem historischen Fundament des Verlagsgründers unterlegt ist der Verlag im neuen Jahrhundert (also zur Halbzeit seiner Existenz) von einem Buchhändler übernommen worden, der auf Lausbub macht.
Wie in einem Auszählreim warnen am Umschlag sogenannte Trigger-Hinweise vor dem Inhalt, vor den Schreibenden und schließlich gar vor den Lesenden. Fehlt nur noch die Warnung: Wer dieses Buch liest, ist ein A*! (In jedem zweiten Wort muss übrigens ein Sternchen vorkommen.)
In dieser Aufmachung ist der Haymon, der nach einem aufgeblasenen Zwerg benannt ist, tatsächlich ein Weltverlag geworden.
3. Eine Volks-Banda findet die echte Klassik.
Geradezu jung ist die Osttiroler Volks-Banda Franui, die es gerade auf dreißig Jahre Konzertkultur bringt. Konzert dient dabei als Überbegriff für alle möglichen Situationen, in denen ein Instrument gehalten, eine Stimme losgelassen oder ein Geräusch eingefangen werden kann. So sieht man einen Trompeter neben einem Bagger blasen, eine Holzbläserin aus einem Dachstuhl hervorlugen und eine Käseharfe sich ins Leere drehen.
Begleitet wird diese Installation jeweils von der größten Moderation der Welt. Der Banda-Moderator soll von den dreißig Jahren, die Franui zusammenspielt, zwanzig Jahre im Alleingang moderiert haben.
Der ORF überschreibt die Jubiläumsvorstellung übrigens mit der sinnlichen Banderole: Die Klassik schlich durch Plüsch & Bordell. (17.11.22)
4. Katastrophenmanager werten den Uni-Campus Lienz auf.
Die Ausschreibung verheißt Gutes und ist punktgenau auf den Enklaven-Bezirk zugeschnitten:
Am Campus Lienz können sich leitende Personen aus Unternehmen, Organisationen und öffentlichen Stellen ab 16. Dezember ausbilden lassen: In sechs Modulen mit 150 Unterrichtseinheiten wird theoretisches und praktisches Wissen für das Managen von Krisen und Katastrophen von Praktikern vermittelt. (ORF, 21.11.22)
Über genauere Modul-Inhalte ist noch nicht alles bekannt. Vermutlich wird man nicht umhin können, den Regionalredakteur Happy Hippi ins Curriculum einzubauen, punktet er doch schon seit Jahrzehnten mit seinen Video-Clips, die als die besten Katastrophenanalysen der Welt gelten.
5. Der größte Schafriss der Welt passt auf Wimmelbild.
Umgerechnet auf die Inhabitants muss Osttirol mit den größten Schafrissen der Welt zurechtkommen. An manchen Tagen kommt die lokale Jägerschaft mit dem Zählen der toten Tiere nicht nach, weshalb sie alle Vorfälle in einem Wimmelbild zusammengefasst hat. Darauf können sich betroffene Schafbauern ihren persönlichen Riss herauslesen.
Nun rächt es sich freilich, dass man vor Jahrzehnten die letzten Wilderer erschossen hat. Die wären nämlich jetzt gut zu gebrauchen, um die Wölfe gegen EU-Richtlinien einfach zu schießen. Echte Jäger nämlich tun sich die Wolfsentnahme nicht an, weil sie dann womöglich zusammen mit Kriegsverbrechern in Den Haag landen.
6. Heimische Holzhändler düpieren heimische Patrioten.
Der größte Coup Osttirols fand freilich von der Welt entkoppelt unter den First-Natives statt. Anlässlich der Energiekrise griff man im gesamten Talkessel auf heimische Kalorien zurück und schwärmte von der Autarkie, die Fernheizung und Pellets bieten. Dabei kam die geheime Osttiroler Tugend ins Spiel, wonach ein Geschäft erst dann perfekt ist, wenn man jemand Einheimischen über den Tisch gezogen hat.
Die Osttiroler Pellets-Macher verlangten von den Einheimischen plötzlich gigantische Weltmarktpreise, indem sie verkündeten, der Heizwert hänge mit dem Preis zusammen.
Tatsächlich wurden die Preise ins Monströse erhöht, und der Heizwert der Holzschnitzel schnellte glaubhaft in die Höhe. Arbeiterkammer und Konsumentenschutz im fernen Innsbruck schütteln den Kopf, setzen aber keine Maßnahmen gegen den Preiswucher, denn man will das Glück der Inhabitants nicht stören, wenn sie sich gegenseitig ausnehmen.
Vorschau:
Oberstes Ziel für das neue Jahr wird es wieder sein, die Zahl der Zweibeiner auf 50.000 zu halten. Das entspricht etwa einem Stadion, wie es in der deutschen Bundesliga Woche für Woche befüllt wird.
Kluge Zukunftsträumer sprechen sich deshalb auch für das Abhalten sogenannter Enklaven-Spiele in Osttirol aus. Dabei wird in einem Stadion alle vier Jahre die Gesamtbevölkerung in das Schobergruppe-Stadion gelockt, worin allerhand Spiele und Gesänge veranstaltet werden, um ein großes, ovales Gefühl zu erzeugen.
Schobergruppe ist übrigens der einzige Name eines Gebirgsstocks, der noch nicht für ein Stadion vergeben ist. Alle anderen Felsformationen sind schon durch ein Beton-Oval gewürdigt
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