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Helmuth Schönauer
Ratschläge für Räte
Stichpunkt


Seit die Kommunikation aus pandemischen und wirtschaftlichen Gründen ins Netz gewandert ist, ist dort die Hölle los. Ständig werden Chats und Blogs ausgelesen und gerichtlich nachbehandelt.

Selbst was du schon längst als gelöscht betrachtest, kommt eines Tages als Gerichtsakt ums Eck, und du wirst einvernommen, was in Österreich schon eine halbe Hinrichtung bedeutet.

Viele ältere Jahrgänge steigen daher wieder auf den analogen Wortverkehr zurück, aber oh Schreck, die meisten haben vergessen, wie das geht.

Hier die wichtigsten Grundregeln, wie sie im halböffentlichen Bereich für ein Gespräch vorausgesetzt werden.


Betriebsräte:

Nie über jemanden sprechen, der nicht anwesend ist. Wenn etwas diskutiert wird, anonymisiert als Rechtsfall abhandeln. Wenn der Delinquent aus Versehen zur Abhandlung dazustößt, den Fall als historisches Zitat auslegen.

„In den Fünfzigern hat einmal jemand einem anderen eine heruntergehauen und Bazi-Sau zu ihm gesagt.“


Familienräte:

Bei Trinkgelagen und dergleichen nie über die Angehörigen der Partnerin anders reden, als man mit der Partnerin selbst redet. Dabei muss die volle Wertschätzung zum Tragen kommen. Rede über den Schwager wie über einen angesehenen Schriftsteller, voller Bewunderung!

Verpönt sind Sätze wie: „Was hat denn dein Bruder für schräge Chromosome!“

Selbst witzig angelegte Bemerkungen kränken die Partnerin, denn du greifst sie an, indem du irgendwas über ihre Familie, Geschichte oder ihren gesellschaftlichen Status sagst. („Habt ihr zu Hause eigentlich schon Teppiche gehabt?“)


Kinderräte:

Mit Kindern so reden, als ob das Jugendamt zuhörte. Wenn es schiefgeht, zeigt dich das Kind nämlich an, und selbst wenn du freigesprochen wirst, musst du die Verfahrenskosten tragen, weil du ja für das Kind sorgen musst.

Ein modernes, aufgeklärtes Kind wird seine Eltern anzeigen, wo es nur geht.


Tierräte:

Mit dem Hund so reden, dass er dich versteht. Sauber antworten, wenn er nachfragt. Verhalte dich so, als ob gerade der Tierschutzbeauftragte zusähe.


Vorräte:

Immer wieder nachkaufen, statt zu schimpfen, dass sie so zusammengeschmolzen sind. Vorräte sind deine Freunde, und du musst mit ihnen reden, ehe du sie verzehrst.

Sag nie Ablaufdatum zu ihnen, das kränkt sie und lässt sie zur Sozialtafel abwandern. Und du stehst mit der leeren Speisekammer da.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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