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Helmuth Schönauer
Glück aus der Gruft
Stichpunkt


1.
Am Wahlabend gibt es im ganzen Land Gelächter, als in Graz der edel herausgeputzte Bürgermeister abgewählt wird und sogenannte Kommunisten zur stärksten Partei werden.

2.
Die ersten fangen zu googeln an, was es mit den Kommunisten auf sich hat, wer sie sind und wie sie leben. Die nach 1989 Geborenen stehen diesen Ideen, die offensichtlich in einer Gruft aufbewahrt worden waren, neutral gegenüber, ein paar halten es für eine interessante Retro-Bewegung mit alltagstauglichem Dress-Code und einer altmodischen Genossenschaftssprache.

3.
In den Redaktionen der Qualitätsmedien weicht die Schockstarre, und die Chefredakteure rücken mit ihren Kommentaren aus. Die Grazer Wahl ist plötzlich zu einer Zentral-Matura-Arbeit geworden, die jeder schreiben muss, will er als Journalist das Jahr überstehen.

4.
Eine einheitliche Diktion wird gefunden, der Polit-Sprech lautet
ziemlich einheitlich: Achtung vor dem Kommunismus! Er hat keine guten Seiten, sondern ist generell menschenverachtend und böse wie die Nazi-Ideologie. Man muss Faschismus und Kommunismus jeweils als Ganzes ablehnen, da gibt es keine Segmente, die gut sind!

5.
Erste didaktische Fallbeispiele werden erzählt. Ein Landeskommunist ist beim Diktator in Belarus im Fernsehen zu Gast, eine andere Truppe soll in der Ostukraine mit russischen Separatisten Interviews gemacht haben. Erster Rat an die Grazer Kommunisten: Legt wenigstens euren Namen ab, wenn ihr schon eure Gesinnung nicht ablegen wollt.

6.
Allmählich werden Wahlausgang und Erregung analysiert und kanalisiert.
Vermutlich wollte man einfach den Bürgermeister loswerden, und damit er es wirklich kapiert, hat man jene gewählt, die ihm im politischen Spektrum am weitesten entfernt stand. Schöne Deutungen kommen auf: Die Grazer haben nicht den Kommunismus gewählt, sondern den Kapitalismus abgewählt!

7.
Erste philosophische Erwägungen werden ins Spiel gebracht.
Nach gängiger Lesart der Geschichte macht es keinen politischen Sinn, ein soziales Hilfswerk wie in Graz kommunistisch zu nennen. Dahinter steckt vermutlich so etwas wie die Sehnsucht, eine Idee, an der hundertfünfzig Jahre lang die Genossen aller roten Schattierungen gescheitert sind, vielleicht in einem kleinen Asterix-Dorf noch einmal auszuprobieren. Dafür nimmt man auch den furchtbaren Ausdruck Stalin-Graz in Kauf.

Und tatsächlich gibt es ja schon eine Menge Jahrgänge auf dem politischen Markt, die nach dem Fall der Kalt-Kriegs-Mauer auf die Welt gekommen sind und Stalin für einen Vorläufer der Popkultur halten. Hinter dem Festhalten am Begriff Kommunismus könnte aber etwas ganz anderes stecken: Eine religiöse Facette!

Nicht umsonst werden totalitären Regimen Ähnlichkeiten mit Religionen nachgesagt, was Führerkult, Einheitspresse und radikalen Dogmatismus betrifft.
Das Gegenteil von Demokratie ist nicht unbedingt Faschismus oder Kommunismus, es kann auch Religion sein.

8.
Plötzlich ist der Begriff Kommunismus Anlass für weit ausgreifende Diskussionen.
Wenn Kommunismus und Nationalsozialismus gleichrangige Facetten böser Ideologien sind, warum ist dann nie vom Austrofaschismus die Rede? War der Ständestaat einfach too small, um als anerkannte Diktatur firmieren zu können?

Und wenn es um die Toten geht, die eine Ideologie hinterlässt und verwerflich macht, warum lässt man dann die Kirchen aus dem Spiel. Ein Blick in die „Kriminalgeschichte des Christentums“ von Karlheinz Deschner zeigt, dass diese Religion spielend mit sämtlichen bösen Ideologien mithalten kann.

9.
Wenn jetzt alle verbale Munition verschossen ist und alle Kommentare ins Archiv gewandert sind, wird man wieder in den stummen Sitzkrieg zurückkehren, der rund um den Kommunismus Platz genommen hat.

10.
Die Grazer Kommunisten aber werden kein Leiberl reißen in ihrer Stadt, man wird sie politisch aussitzen wie die AfD in Deutschland.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Ralph Holtfeuer

    Nun, in Tirol über die negativen Aspekte der katholischen Kirche, sprich Inquisition, Ablasshandel, Kinderschändung zu schreiben, grenzt wohl an eine Todsünde. Im heiligen Land Tirol ein Sakrileg. Das nur nebenbei.
    Die Wahl einer bekennenden Kommunistin zur stärksten Partei in Graz wird wohl zum größten Teil aus Protest passiert sein. Fr. Kahr hat sich ja immer um die Probleme des kleinen Mannes/Frau gekümmert und hat deshalb auch verdient die Wahl gewonnen. Ob sich irgendeine Partei oder Liste mit ihr einlässt sei dahin gestellt.
    Es zeigt sich allerdings, dass Menschlichkeit, arbeiten und dienen für die Menschen doch noch Sinn hat.
    Beim Großteil unserer Politiker von höchster Stelle bis zum Gemeinderat wird leider das Dienen für die Bevölkerung VERGESSEN und MISSACHTET!!!!
    Schande über euch. Der momentane Zustand um Kurz und Konsorten spricht wohl Bände.

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