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Helmuth Schönauer
Aufarbeitungen – klassisch, feig, indirekt!
Stichpunkt

An manchen Tagen kommen Meldungen anders beim Publikum an, als die Meldungsmacher es sich ausgedacht haben. Das hängt oft mit der Witterung zusammen (eine Föhnnachricht wirkt meist verblasen), mit der Konkurrenz des Stoffes oder mit der Kreativität des Publikums, das sich die Nachrichten so aussucht, wie sie für den Tag als passend erscheinen.

Das Thema „Aufarbeitung“ ist noch lange nicht gegessen, weshalb es ununterbrochen zu künstlerischen Aktionen, historischen Forschungen oder archäologischen Grabungen kommt.

Tatsächlich ist die Nazizeit bei weitem nicht auf- und abgearbeitet, die Erkenntnisse und Haltungen verändern sich, und jeder nachwachsende Jahrgang sollte mit dem größten denkbaren Verbrechen zumindest in Umrissen vertraut gemacht werden.

Zu Sommerbeginn packen daher die Kommissionen, Jurys und Austellungsdesigner ihre Tätigkeitsberichte aus und informieren die Bevölkerung, was jüngster Stand der Forschung, Archäologie und Kunst auf diesem Sektor ist.

Für Tirolernde Pressebeobachter gab es dieser Tage drei interessante Aufarbeitungs-Zugänge, die man in klassisch, feig und indirekt unterteilen könnte.


1. klassisch

Der polnische Gedächtnis-Beauftragte Tomasz Jankowski stellt die jüngsten Grabungsarbeiten vor.

„Nahe einem ehemaligen deutschen Konzentrationslager in Polen sind rund 17,5 Tonnen menschlicher Überreste von Opfern der NS-Besatzung gefunden worden. Die Asche der Nazi-Opfer wurde in einem Waldgebiet in Ilowo-Osada gefunden, 150 Kilometer nördlich von Warschau und nahe dem ehemaligen NS-Konzentrationslager Soldau im früheren Ostpreußen.

Die Zahl der in Soldau getöteten Menschen lässt sich bis heute schwer feststellen, Schätzungen gehen von bis zu 30.000 Opfern aus. Die nun entdeckten Überreste „erlauben uns die Feststellung, dass hier mindestens 8.000 Menschen gestorben sind“, sagte IPN-Vertreter Jankowski. Die Zahl wird anhand des Gewichts der gefundenen Asche festgestellt. Zwei Kilogramm menschlicher Asche entsprechen etwa einer Leiche.“

red, ORF.at/Agenturen; 13. Juli 2022

Die Darstellung entspricht einem klassischen Grabungsbericht, wie er seit Schliemann immer wieder aus der Bodenforensik aufsteigt. Durch die Aktualität der jüngsten Massaker in der Ukraine wird die Wichtigkeit dieser Arbeiten erneut hervorgehoben, gilt doch der Ausgrabungsgrundsatz seit Menschengedenken: „Wenn du aufhörst, in deinem Boden zu graben, gehst du dir selbst verloren.“


2. feig

Die feige Methode kommt meist dann zur Anwendung, wenn etwas den Machtinhabern nicht ins Programm passt oder sie vielleicht gar vor einer Landtagswahl stehen.

Das Tiroler Landhaus gilt in Architekturkreisen weltweit als Gebäude, das man zwar verstohlen als Nazi-Bau nützt, von dem man sich aber nicht zu sagen getraut, dass die Nazis den Bau irgendwie gut hingekriegt haben. Der Zweckbau kommt bei den Insassen nämlich gut an, weshalb man die Erinnerung an seine Entstehungszeit möglichst klein halten möchte.

Manchmal muss man der aufgewühlten Historiker-Szene freilich einen kleinen Finger zum Abschlecken hinhalten, damit sie mit ihren Recherchen nicht zu tief in die vermeintlich ruhig gestellte Landespsyche vordringt. Zur historischen Aufklärung wurde daher (wieder einmal) ein Wettbewerb ausgelobt, wie man den Nazi-Kontext des Landhauses für die Gegenwart sichtbar machen könnte.

Kurz vor Beendigung der Regierungstätigkeit ist jetzt eine kleine Ausstellung in den Sommer entlassen worden. Neben dem Haupteingang sind einige Balken wie zur Montage angelehnt. Sie sind den Balken des Gauleiter-Zimmers nachempfunden und zeigen unter anderem Totenkopfmotive, Runen und andere alpine Schnitzereien.

Die Ausstellung ist am ehesten mit feig zu beschreiben. Das Provisorische zeigt, dass man am Monumentalgebäude nichts auszusetzen hat, höchstens ein Architektur-Gadget wird isoliert und als Gedächtnis an die Außenmauer gelehnt.

Der Kommentar der Flanierenden fällt denn auch sehr makaber aus: Schöne Balken sind das, so eine Bauernstube hätte ich auch gerne bei mir daheim. Die Nazis und die Ausstellungsmacher scheinen also den Geschmack des Volkes halbwegs getroffen zu haben.

Vollends als feig einstufen muss man die Aktion, als bekannt wird, es handle sich dabei bloß um den zweitbesten Entwurf. Der erste nämlich, der Sieger des Gedächtniswettbewerbs, ist wieder einmal zu radikal ausgefallen. Im Projekt des Künstlers Franz Wassermann wäre nämlich ein Wort-Fries unterhalb der Dachkante angebracht worden.

„Wir haften für unsere Geschichte!“

Dieser Satz hat es in sich, wenn man ihn wirken lässt. Das ist auch den Wettbewerbs-Abwicklern bald einmal aufgefallen, weshalb sie ihn nicht über ihren Köpfen angebracht lesen wollten. Zumal im anstehenden Wahlkampf wieder Parolen zu hören sein werden, die angesichts eines solchen „Haftungssatzes“ sofort als hohl entlarvt würden.


3. indirekt

Die sogenannte indirekte Art der Aufarbeitung geht meist auf einen Lesefehler zurück. Das Publikum ist etwas unkonzentriert bei der Lektüre wertvoller Nachrichten und stellt dadurch assoziative Zusammenhänge her, die natürlich so nie gemeint sind, wiewohl sie meist einen Sinn hätten.

Zum Schulschluss ist der aktuelle Bildungsminister Martin Polaschek in Tirol und gibt diverse Statements ab. Unter anderem zeigt er sich überrascht, dass im Herbst so viele Lehrer fehlen werden. Aus seinem Lebenslauf wissen wir, dass er Rechtshistoriker und ein ausgesprochener „Entnazifizierungsfachmann“ ist.

Könnte es sein, dass der Entnazifizierungsfachmann in den letzten Monaten zu viel entnazifiziert hat, und deshalb im Herbst die Lehrer fehlen? Man erschrickt über die Nähe dieser beiden Wortgruppen und den daraus aufsteigenden indirekten Schluss!

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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