H.W. Valerian
Autoritär?
Notizen
„Bei den vorangegangenen Befragungen waren die autoritären Einstellungen recht eindeutig der Mittelschicht und dem rechten Spektrum zuordenbar“, erfahren wir im Standard vom 2. Februar 2022; nun hätten aber auch „Kreise im linken Spektrum autoritäre Haltungen“. Zumindest gehe das aus einer Studie hervor, welche der Soziologe Wolfgang Aschauer von der Uni Salzburg gemeinsam mit Janine Heinz vom Sora-Institut durchführte.
Mit den soziologischen Ergebnissen werde ich mich hier gewiss nicht auseinandersetzen. Ich möchte nur auf einen interessanten Begriff hinweisen: die „autoritären Haltungen“. Die sind insofern von Bedeutung, als im selben Artikel auch von „konventionell Autoritären“ die Rede ist. Was, bitte schön, soll man sich darunter vorstellen? Wer gehört da dazu? Was muss ich sagen oder denken, um dort eingeordnet zu werden?
Zum Beispiel: Dass ich für die Impfpflicht bin? Dass ich mir ein festeres Auftreten, ein entschlosseneres Handeln unserer Regierungen auf Bundes- und Landesebene wünsche? Dass ich mir mehr Disziplin, mehr – sagen wir’s ruhig – mehr Gehorsam meiner werten Mitbürger und Mitbürgerinnen erwarten würde?
Es stimmt schon, ich teile jenes Demokratieverständnis nicht, welches derzeit grassiert: die Demokratie als Veranstaltung zur individuellen Selbstverwirklichung – also das, was ich einmal die Ego-Demokratie genannt habe (schoepfblog, 23. März 2021). Ich habe immer die Notwendigkeit eines ausreichend starken Staates betont, und ich werde das auch weiterhin tun. Ich vertrete nicht bloß das Recht dieses Staates, Gesetze und Anordnungen zu erlassen, sondern auch seine Pflicht, diese durchzusetzen. Notfalls mit Polizei.
Bin ich deswegen autoritär?
Ich behaupte Nein: Denn dieser Staat, den ich da im Sinn habe, ist durch und durch demokratisch. Ein Rechtsstaat, der die so genannten bürgerlichen Freiheiten garantiert und entsprechende Sicherheit vermittelt. Dementsprechend wäre die Polizei an Gesetze gebunden, an rechtsstaatliche Vorgangsweisen. Und wenn sie sich nicht dran hält, gäbe es die Möglichkeit, dagegen einzuschreiten, sich zu wehren (theoretisch zumindest). Plus natürlich eine unabhängige Presse, eine öffentliche Meinung.
Wie man sieht, halte ich den Staat keineswegs von vorneherein und unvermeidlich für böse. Leider weiß ich aus Erfahrung, dass eben diese Sichtweise – der böse Staat – unter den Lehrkräften an unseren Schulen zu meiner Zeit weit verbreitet war, man könnte durchaus sagen: endemisch.
Da wurde so viel Holocaust und Nazi-Zeit unterrichtet – Geschichtsunterricht, bemerkte ein Kollege einmal bissig, habe sich auf Faschismus und Feminismus reduziert –, dass es selbstverständlich wurde, Gesetzen äußerst misstrauisch zu begegnen.
Das hat mir einmal sogar ein Direktor gestanden: Er befolge Gesetze und Verordnungen nur, wenn er unbedingt müsse, und dann lege er sie so milde und so nachsichtig aus wie nur möglich. Mir schien, als seien hinter seiner Stirn jene Güterzüge auszumachen gewesen, welche vollgestopft mit Juden in Richtung Auschwitz rollten.
Man weiß ja: Die Banalität des Bösen (wie’s immer heißt, nicht ganz zutreffend). Folglich machte sich, wer die Gesetze nicht einhielt, keineswegs eines Vergehens schuldig, vielmehr wurde da Widerstand geleistet – höchste Tugend, höchste Heldentat!
Bei Jugendlichen wirkt so etwas wie eine Droge. Und kritisch zu sein, zu hinterfragen, das ist praktisch zum kategorischen Imperativ geworden, zum „kritischen Imperativ“. Sei kritisch gegen jeden und gegen alles, gleichgültig ob’s Sinn macht oder nicht, gleichgültig ob der kritisierte Sachverhalt gut, also nützlich ist oder nicht. Du musst hinterfragen! Fragen und hinterfragen. Nur ja kein Gehorsam, um Himmels Willen – das wäre Kadavergehorsam!
Das mag ja alles schön und gut sein – mit den Vertretern und vor allem Vertreterinnen solcher Weisheiten werde ich mich bestimmt nicht anlegen –, aber Staat lässt sich so auf die Dauer keiner machen. Das dürfte wohl einleuchten. Ob Sie, werte Leserin, werter Leser, das begrüßen oder bedenklich finden, das sei Ihnen überlassen. Wenn ich jedoch mit meiner Denkweise wirklich „autoritär“ sein sollte – nun, so sei’s.
Heinrich Payr. Der kritische Imperativ. Zur Psychologie von Intellektuellen , ein Essay. Wien : Turia und Kant, 1997
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