Elias Schneitter
Reform bedeutet nicht immer Verbesserung.
Notizen

Kürzlich benötigte ich eine medizinische Behandlung. Mein Hausarzt (Wahlarzt) war auf Urlaub. Ein anderer Arzt mit Vertrag in meinem Dorf nahm mich nicht, weil es sich um keinen Notfall handelte. Dann versuchte ich es noch bei einem Facharzt (Wahlarzt) in der Stadt. Dort hätte ich in einer Woche einen Termin bekommen.

Blöderweise musste ich am nächsten Tag nach Wien. Dort angekommen, meldete ich mich per Mail bei einem Facharzt (Vertragsarzt) in der näheren Umgebung. Eine Viertelstunde später bekam ich Antwort, ich konnte noch am gleichen Tag vorbeikommen.

Ich staunte auch nicht schlecht, als ich in die Ordination kam, sehr nobel, sehr schön und pünktlich. Wie angemeldet, kam ich an die Reihe. Die Untersuchung durch den jungen Arzt war sehr ausführlich, ebenso wie das einleitende Gespräch. 

Ich erhielt eine Verschreibung und mit den Worten Sollte es nicht besser werden, dann bitte wieder melden.

Das alles, mit Verlaub, mit e-card und ohne zusätzliche Kosten.

Natürlich ist das eine persönliche Erfahrung, die man nicht verallgemeinern kann. Keine Frage. In Tirol würde man dazu sagen „Glück gehabt.“

Und jetzt möchte ich einen großen Bogen nach Tirol schlagen und zur großen Strukturreform der österreichischen Gebietskrankenkassen kommen, die die Regierung Kurz/Strache zu verantworten hat.

Der Gesundheitsbereich ist ein sehr sensibler, denn es geht hier um Krankheit, um die Befindlichkeit der Menschen, und da ist der persönliche Kontakt, die Nähe zu den Patienten sehr sehr wichtig.

Mit der Zusammenlegung der Kassen wurde ein zentrales System eingeführt. Die Länderkassen wurden entmachtet und auf Wien konzentriert, wo ein 32-köpfiges Managerteam alle Fäden in der Hand hat. Die Agenden der Kassen wurden völlig ausgehebelt. Stichwort: Finanz- und Vertragshoheit, Selbstverwaltung ade.

Die einzelnen Kassen sind nur noch Befehlsempfänger. Das hat zum Beispiel dazu geführt, dass bei uns in der ehemaligen TGKK inzwischen ein Personalwechsel stattfindet, wie es ihn noch nie gegeben hat. 

Die guten Jobs sind in der Zentrale, es gibt keine Aufstiegsperspektiven. Vor allem hatte die Reform zur Folge, dass die Tiroler Versicherten keine unmittelbaren Vertreter (Selbstverwaltung) mehr im Land selbst haben, die ihre Interessen vertreten würden.

Die Auswirkungen kann man in Tirol inzwischen sehr gut sehen. Während es in Wien und Umgebung bereits mehr als 30 Primärversorgungszentren gibt, ist in Tirol noch keines umgesetzt worden. Hier fehlt der Druck im Sinne der Versicherten.

Und jetzt noch einmal zurück zum Beginn mit der Frage: War mein Wiener Glück mit dem Arzt nur Zufall? 

Könnte es nicht sein, dass durch die Zentralisierung in Wien, wie auch in vielen anderen Fällen, die Belange der Tiroler zu sehr außer Sichtweite geraten sind und niemand mehr ausreichend Druck macht, wenn es Probleme gibt.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Elias Schneitter

Elias Schneitter lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Civetta“ (baes) und der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Zirler Blues“ (baes). Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), in der ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) bis 2023 in Hall, seit 2024 in Kufstein.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar