Elias Schneitter
Lawrence Ferlinghetti nachgerufen

Vergangenen Montag, den 22.2.2021, ist der Autor, Verleger, Maler und politische Aktivist Lawrence Ferlinghetti im Alter von 101 Jahren in San Francisco verstorben. Letzten Sommer hatten wir vom internationalen Tiroler Literaturfestival sprachsalz aus noch Kontakt mit ihm, da wir ihn zur digitalen Ausgabe unserer Veranstaltung einladen wollten. Er sagte zu, aber dann im September, als sprachsalz stattfand, war er gesundheitlich nicht mehr in der Lage daran teilzunehmen. Wir erhielten eine Aufzeichnung, in der er mit schwacher Stimme Gedichte vortrug.

Lawrence Monsanto Ferlinghetti wurde 1919 in New York City geboren. Seine Jugendjahre verbrachte er dort und in Frankreich, wo er ein Studium an der Sorbonne abschloss. Seit 1951 hatte er seinen Wohnsitz in San Francisco.

Lawrence Ferlinghetti gehört zu jenen, die das Beat-Movement entscheidend mitgeprägt haben. Ihren Ausgang nahm diese Bewegung in den 1940-er Jahren im Osten der USA, ehe sie in den Fünfzigern nach San Francisco übersprang. Dort gründete Ferlinghetti 1953 in der Columbia Avenue den inzwischen legendären City Lights Verlag mit der gleichnamigen Buchhandlung.

In seinem Verlag publizierte er alle Größen der Beatliteratur von Kerouac, Ginsberg, Corso über McClure bis zu Cassidy. Als Autor wurde er vor allem mit seinem Frühwerk “Coney Island of the Mind“ bekannt, in dem er das Leben der Menschen mit einem Ringelspiel verglich. Er erreichte mit diesem Werk eine Millionenauflage. Zu seinem hundertsten Geburtstag erschien „Little Boy“, seine Kindheitserinnerungen.

Die Beat-Bewegung erlebte in den 1950-er Jahren ihre größte öffentliche Aufmerksamkeit. Startschuss war die legendäre Dichterlesung in der Galerie 6 in der Filmore Street. Lawrence Ferlinghetti chauffierte (man könnte das auch symbolisch sehen) Ginsberg und Kerouac in seinem Auto dorthin. Ginsberg las zum ersten Mal aus dem Gedicht „Howl“, ein Meilenstein nicht nur der Beatliteratur, sondern der amerikanischen Lyrik überhaupt.

„Howl“ wurde zur „holy bible“ der Hippies in den 1960-ern. Dieses Langgedicht publizierte Ferlinghetti 1956 und es brachte ihm nicht nur Erfolg ein, sondern auch zahlreiche Anzeigen, eine Verhaftung und einen Gerichtsprozess wegen des Verstoßes gegen den Obszönitätsparagraphen.

Vor knapp zehn Jahren haben wir von sprachsalz (M. Kauz, Heinz D. Heisl und ich) Ferlinghetti, für uns bald Lawrence, mehrmals getroffen. Im legendären Caffé Trieste oder in The Ramp, einem Restaurant in Fisherman´s Wharf. Er war ein sehr ruhiger, aber aufmerksamer Zuhörer, der über einen feinen Witz und viel Humor verfügte. Im Ramp, zum Beispiel, erzählte er uns von seiner eben erfolgten Trennung von seiner langjährigen Freundin. Auf die Frage, warum er sich für diesen Schritt entschieden habe, antwortete er lapidar, die Beziehung wäre ihm schlicht zu langweilig geworden.

Einmal lud er uns zum Essen in seine Wohnung im North Beach ein. Er hatte seinen Lieblingsplatz am Küchentisch neben dem Fenster. Hier erzählte er uns, verbringe er Stunden, um das besondere und einmalige Licht von San Francisco zu genießen, ebenso wie er die Vögel am benachbarten Baum beobachte, die er inzwischen alle kenne und mit denen er eine große Freundschaft geschlossen habe. Nach dem Essen – und das habe ich in den Künstlerkreisen von San Francisco öfters erlebt – forderte er uns auf, eigene Gedichte vorzulesen.

Jack Kerouac hat über Ferlinghetti geschrieben, dass er gern über eine solche Lebensfreude verfügen möchte wie sein Freund. Am 22.2.2021 hat Lawrence für immer seine Augen geschlossen und mein erster Gedanke war, er hätte gut und gern noch ein Jahr zuwarten können: Nicht nur wegen des Datums!

Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

Schreibe einen Kommentar