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Diethard Sanders
Ostalpenländisches bzw. westalpenländisches
Fahrverbotsmanagement
Eine vergleichende anthropologische Studie
1. Teil

Als ich, meines Zeichens gelernter Ostälpler, das erste Mal in den Westalpen auf einer Alm unterwegs war, stieß mir etwas Verstörendes zu. Nachdem wir unseren Wagen geparkt hatten und aufgebrochen waren, steuerten wir den Weg an, der laut Karte auf die Alm führte. Am Beginn des Wegs stand ein Fahrverbots-Zeichen aus der Familie der Nackten Verbotszeichen, also solche, die geradezu exhibitionistisch einfach dastehen, wie Gott sie schuf, ohne weitere Spezifikationen oder Einschränkungen. Ich sah es und nahm erstmal nicht weiter Notiz davon. 

Entlang des Wegs fiel mir allerdings auf, dass alle Spuren häufiger Befahrung fehlten – als Ostälpler hat man Übung darin, diese zu lesen, da sie einem auch ohne exakte Verkehrszählung wenigstens semiquantitative Auskunft über die Frequenz der Befahrung geben. Beispielsweise weisen Spurrinnen mit Querriffeln mit viel feinstem Staub darauf sowie ein weißlicher Staubbelag auf allem, das sich in einem Streifen von etwa 20 m Breite neben dem Fahrweg befindet, auf häufige Befahrung hin.

Nicht so bei diesem Weg. Er war trotz Hochsommers, eine Zeit, in der man sich bekanntlich besonders gern auf Almen herumtreibt, sichtlich vom Regen abgespült, und in seinem Mittelstreifen wuchs ein wenig Gras und Breitwegerich, mit sattgrünen Blättern bar jeden Staubs. 

Das ferne Gebimmel verriet aber, dass diese Alm doch bestoßen sein musste. Als wir schließlich dort ankamen, fanden wir vier junge Leute (2M, 2F) vor, die laut eigener Auskunft den Laden am Laufen hielten, mit allem, was so dazu gehört, also morgens früh raus, dann jede Menge Muh, und abends todmüde ins Bett, dafür viel Landluft. Noch immer konnte ich kein Fahrzeug erblicken. 

Ich fragte die Youngsters, ob sie denn nicht gelegentlich ins Tal fahren würden und wo ihr Jeep stünde. Sie sagten, da wäre kein Jeep, denn am Weg ist uneingeschränktes Fahrverbot. Ich sagte jaaa jaaa, da ist Fahrverbot, ich weiss, und fragte dann mit einem Augenzwinkern – also, wo steht der Jeep? Sie schauten mich befremdet an und wiederholten ihre Auskunft. Ich blieb verstört zurück. So was gibt’s ja wohl nicht. . . na ja, das sind wahrscheinlich so Öko-Fundis, man weiß ja, wie verbissen die alles sehen.

Anderentags stand am Weg zu einer weiteren Alm erneut ein Fahrverbots-Schild. Dieses allerdings hielt seine Blöße schamhaft bedeckt mit einem kleinen Zusatzschild Ausgenommen Anstösser (mit doppeltemS). Für Ostälpler: Anstösser ist westälplerisch für Anrainer. Also gut, dachte ich, endlich wenigstens mal ein ganz normaler Fahrweg und wir gingen los. 

Doch auch dieser Weg präsentierte sich meinem erfahrenen Auge in fast jungfräulicher Unberührtheit. Der Verkehr wird schon noch losgehen, dachte ich. Doch als wir nach zwei Stunden Marsch die Alpgebäude erreicht hatten, war noch immer nicht ein einziger Geländewagen an uns vorbeigedonnert, ja nicht einmal ein ergrauter Seventy-Plus war unter dem melodischen Gesäusel seines E-Bikes an uns vorbei gehechelt.

Immerhin: vor einer der Almhütten stand ein Jeep. Wenigstens ein bisschen Normalität. Es gab eine kleine Wirtschaft, in der man sich erquicken konnte und vom Senn, der einen sehr bodenständigen Eindruck fern von Öko-Funditum machte, bedient wurde. Da beschloss ich, ihn ganz frech und direkt zu fragen, wieso hier so wenige Geländewagen herumstünden. Er antwortete, leicht verwundert über meine Frage, dass hier Fahrverbot sei, und er sei der Anstösser, sonst niemand. Also stünde auch nur sein Jeep da. 

Und Mountainbiker?, meine Frage. Wieso Mountainbiker?, seine Gegenfrage, immerhin sei hier nun mal Fahrverbot. Endlich winkte ich ab, Schon gut, schon gut, danke, und blieb irritiert zurück. Anscheinend sind die hier alle so radikal eingestellt. Bei uns in den Ostalpen dagegen hat die Auslegung eines Fahrverbotes einen deutlich weiteren Spielraum.

. . . und der sieht in etwa so aus: 

Es ist ein wunderschöner Frühsommertag, ideal für eine Bergwanderung. Umsichtig, wie ich nun mal bin, habe ich das Ziel vorher ausgesucht und ein wenig Planung walten lassen. 850 Höhenmeter Aufstieg zu einem kleinen Gipfel, davon die ersten 500 Höhenmeter auf eine hochgelegene Alm. Wie romantisch aber auch! Wir parken in einem kleinen Dorf (12 Euro Tagesgebühr, fast geschenkt und ideal für die jungen Familien, die von der Touristik-Werbung aufs Korn genommen werden) und gehen los. 

Am Beginn des Wegs zur Alm, der ein Fahrweg ist (der alte Fußpfad ist längst verwachsen), prangt ein prächtiges Fahrverbots-Zeichen mit dem Zusatzschild Ausgenommen Anrainer. Na ja, so viele Almen gibt es da hoch droben ja nicht mehr, so weiß ich bereits vom Studium der Karte, also wird sich der Verkehr in Grenzen halten. Frohgemut stapfen wir los. 

Doch nach wenigen Minuten vernehme ich von ferne ein vertrautes Brüllen: Ein Blechsaurier nähert sich. Hoffentlich kein Fleischfresser. Wir treten zur Seite und das hoffnungslos übermotorisierte Renommier-Geländemonster rast röhrend an uns vorbei – Glück gehabt, wenn man von all dem Staub und Feinstaub absieht, den wir trotz schnell vors Gesicht gerissener Staubtücher trotzdem einatmen müssen. Ja ja, die gute Bergluft. Innerlich verzeiht man dem Fahrer vorerst. Das wird der Anrainer gewesen sein, der heute an diesem schönen Sonntag mitsamt Familie auf seine Alm auffährt, um sich dortselbst vereint mit seinen Lieben ein wenig von den Strapazen des Daseins zu erholen. 

Als sich der Staub halbwegs verzogen hat gehen wir weiter, doch gleich darauf ein erneutes fernes Brüllen vom Tale her. Also Staubtücher vors Gesicht gezogen, zur Seite treten, Monster passieren lassen, Staub + Feinstaub so gut es geht aus der Atemluft filtern, dann weitergehen. Die kleine Gruppe von E-Bikern, die trotz des Zusatzes zum Fahrverbot Ausgenommen Anrainer mit unverkennbar bayrischem Seawusss an uns vorbeizieht, haben wir kaum bemerkt, denn nur wenige Minuten später ist es wieder so weit: fernes Brüllen, nächstes Monster, nächste Staublawine; dann ein paar Züge halbwegs saubere Luft, dann wieder fernes Brüllen . . .

. . . und irgendwann der Zweifel: 

Sind das alles wirklich Anrainer? Oder schmeißt hier der Eigentümer der Alm eine Art Frühsommer-Party, zu der alle aus dem ganzen Tal eingeladen sind, wobei man durchaus auch Platz für ein paar Biker-Touristen hat, die ganz sicher kein Deutsch lesen und Fahrverbote schon gar nicht als solche erkennen können. Es hilft aber alles nichts. Die Alm ist noch immer 200 Höhenmeter entfernt, also muss man weitere Attacken über sich ergehen lassen. 

Endlich erblicken wir die Alpe. Um die Hütte ist weiträumig alles zugeparkt. Wild verteilt sind manche Autos auf steilem Gelände geparkt (vermutlich braucht man zu diesem Zweck einen riesigen Jeep), und der Zaun vor der Hütte ist mit einem dichten Flor aus E-Bikes geschmückt. Man vernimmt Stimmengewirr und immer wieder lautes gemeinsames Auflachen als Künder fröhlichen Zechens. Und spätestens jetzt dämmert es einem: Man war weit und breit der einzige Idiot, der das Fahrverbot ernst genommen hatte. Das kommt vermutlich vom Aufenthalt in den Westalpen.

Oberhalb der Alm waren weder Geländewagen noch Biker mehr zu erblicken. Hier begann also die unberührte Wildnis. Es wäre ab diesem Punkt schön gewesen, noch weiter zu gehen, doch hartnäckige krampfartige Hustenanfälle hinderten uns daran, das Vorhaben, zum erwählten Gipfel zu gelangen, auch auszuführen. Aber irgendwie war uns auch die Lust vergangen, uns zu den fröhlichen Almlern zu gesellen, sodass wir schließlich am Wegrand hastig ein wenig von unserem Proviant verspeisten, bevor wir uns an den staubigen Rückweg machten.

Es soll inzwischen Kliniken und Pflegeheime geben, die eigene Abteilungen unterhalten, um die Feinstaub-Schäden all jener unvorsichtigen Touristen und naiven Einheimischen auszukurieren, die einen Urlaub in den Ostalpen gemacht haben und sich dort auf Wegen mit Fahrverbot bewegten.

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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

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