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Diethard Sanders:
Das ostalpenländische Fahrverbot
Teil 3
Der Grundkurs
Satire

Wer – etwa weil er Westälpler oder Norddeutscher ist – glaubt, das Thema Fahrverbot wäre mit den vorangegangenen Ausführungen erschöpfend behandelt, unterschätzt die existentiellen Tiefen und Verästelungen, in denen sich derjenige zurechtfinden sollte, der in den Ostalpen sein Dasein fristen muss. Denn in den Ostalpen gilt: Fahrverbot ist nicht gleich Fahrverbot ist nicht gleich Fahrverbot.

Für den, der so wie ich beruflich bedingt oft mit Fahrverboten zu tun hat, empfiehlt es sich, wenigstens einen Grundkurs in ostalpenländischer Fahrverbots-Kunde zu absolvieren (Zertifikat OFK), um die schlimmsten Anfänger-Fehler zu vermeiden. Ich möchte zur Begleitung des Untenstehenden in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, dass die folgenden Ausführungen auf vieljähriger intensiver Feldforschung beruhen, unterlegt durch zahlreiche Diskussionen mit Landwirten, Forstarbeitern, Jägern sowie mit mal mehr mal weniger gereizten Einheimischen und mal mehr mal weniger ungehaltenen Touristen jeglicher Provenienz.

Für Anfänger empfiehlt sich zum Einstieg die kleine ostalpenländische Fahrverbots-Kunde, oder kurz: Wie deute ich Fahrverbotszeichen? 

Beginnen wir mit einem einfach gelagerten Fall. Sie fahren frohgemut bergan, da erblicken sie ein Fahrverbotszeichen, das reichlich schräg zur Fahrtrichtung – also aus einem bergan fahrenden Auto kaum sichtbar – an einen Baum genagelt ist. Darunter steht nichts. Aus Erfahrung weiß ich, dass man dann unwillkürlich scharf in die Bremse steigt und sich denkt Mist, Fahrverbot. 

Eine eindeutige Überreaktion, konditioniert aus dem Stadtverkehr. Doch hier gilt es, sich gleich einem Archäologen, der aus Artefakten die Glaubensüberzeugungen irgendwelcher Anatolier vor 11.000 Jahren zu rekonstruieren versucht, ein wenig in die Situation einzufühlen. Während man mit laufendem Motor dasteht, beginnt man sich zu wundern, weshalb trotz reichlicher Auswahl an Bäumen mit wohlgerundeten Stämmen das Schild so hingenagelt wurde, dass man es fast nur durch Zufall sehen kann. Merkwürdig. Man entdeckt eine stille Botschaft dahinter, und diese lautet: Nun denn, wenn hier schon Fahrverbot ausgewiesen werden muss, dann werden wir es eben ausweisen. . . was denn auch mit jenem passiven Widerstand getan wurde, auf den sich die Landbevölkerung des ganzen Globus bestens versteht. 

Für uns bedeutet das: Weiterfahren.

Der nächste Fall ist im Grunde genommen ebenso harmlos wie der erste. Man trifft auf ein deutlich sichtbar angebrachtes Fahrverbotszeichen unter dem ein Zusatzschild steht Ausgenommen Anrainer. Was so ein Fahrverbot wert ist, weiß der geneigte Student, der die vorangegangenen Ausführungen zur ostalpenländischen Variante gelesen hat. Es ist eines aus der Gruppe der domestizierten Fahrverbote, die harmlos sind und an sich nichts weiter bedeuten. 

Sollte man sich unsicher sein, studiert man den Boden des Fahrwegs. In den allermeisten Fällen ist er von mit Staub bedeckten, mehr oder weniger tiefen Fahrrillen gekennzeichnet. Bedeutet: kein Schwein hält sich daran. Und falls er keine derartigen Spuren aufweist, sondern im Gegenteil einen dichten Bewuchs mit Breitwegerich, Seggen (siehe Kurs Alpengräser!) und vielleicht sogar jungen Ahornbäumchen und kleinen Kiefern, dann wird er eben nur sehr selten befahren, was im Umkehrschluss wiederum heißt, dass die Wahrscheinlichkeit, weiter droben auf irgendeinen Ostälpler zu treffen, der einem die Befahrung so richtig krumm nimmt, sehr gering ist. 

Also auch in diesem Falle grünes Licht.

Etwas mehr Vorsicht ist geboten bei Zeichen, die unter ihrem rot-weißen Kringel eine längere und recht präzise Belehrung stehen haben: Gilt nicht für landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge gemäss §33a/Abs.3 StVO (2015) sowie nicht für Anrainer der Allmenden-Liegenschaften Vordergrub und Hohefreud, gemäss §33b,c/Abs.4,5,6 StVO (3. Novelle 2019).

Das klingt vorerst einmal nach einem endgültigen Partystopper. Jeder unerfahrene Westälpler oder andere Bewohner dieses versauten Planeten wird angesichts solcher zur Schau gestellter Kenntnis der Rechtslage kapitulieren. Und wieder macht sich der Grundkurs Ostalpenländische Fahrverbots-Kunde bezahlt. Denn was lernen wir dort? 

Richtig, erst mal cool bleiben, rechts ranfahren, Handy rausholen und eine digitale Karte aufrufen. Während die Karte hochlädt, hechelt ein Biker-Pärchen an einem vorbei: ein sehr gutes Zeichen! Seid mir ausnahmsweise gegrüßt, ihr Künder ostalpenländischer Flexibilität! Nachdem die Karte geladen hat, erblickt man, dass sich wenige Hundert Meter südwestlich der Hohefreud-Alm die Jausenstation Rohrer befindet. Und noch während man dieses Faktum erfreut feststellt, zieht sirrend ein kleiner Schwarm von 60+ E-Bikern an einem vorbei. 

Entwarnung

Erhöhte Vorsicht wäre allerdings geboten, falls sich auf der Karte weder Almgasthaus, Jausenstation, Berghotel oder ähnliche gastronomische Unterkünfte finden, die als letztes Argument einer Befahrung des Weges herhalten könnten UND falls sich keine Biker einfinden. Zwei diagnostische Kriterien, die zumindest mehrdeutige Aussichten ankündigen. 

Doch, wie weiter unten für Fortgeschrittene ausgeführt: selbst in diesem Fall braucht man noch nicht zwingend von einer weiteren Befahrung des Wegs, mitten in die Fahrverbotszone hinein, abzusehen. Ab hier jedoch beginnt die gefährliche Zone, dessen sollte man sich jedenfalls bewusst sein.

Wirklich bedrohlich, sogar in den Ostalpen, sind jene seltenen Fahrverbotszeichen, die mit einem mehr oder weniger verwitterten handschriftlichen Zusatzschild versehen sind, auf dem etwa steht Gilt ausnahmslos oder Gilt für alle oder so ähnlich. Die sind so gut wie immer völlig unflexibel ganz einfach ernst gemeint. Vermutlich gehört der Grund einem Westälpler, den ein widriges Schicksal in die Ostalpen verschlug. Wie auch immer: in diesem, und nur in diesem Fall, empfiehlt es sich, sein Fahrzeug gottverdammt nochmal abzustellen. Wer dennoch weiterfährt, tut dies auf eigenes Risiko. 

Es wird keine wie immer geartete Haftung übernommen. . .

. . . wie aus obigen Ausführungen ersichtlich, ist die Wahrscheinlichkeit, trotz Befahrung eines Wegs mit Fahrverbot dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, sehr gering. Doch echte Profis sind auf alles vorbereitet, also auch für diesen Fall. 

Hier also die Anweisung für die Fortgeschrittenen.

Man fährt den Fahrweg mit jenem herrlichen leisen Kribbeln im Bauch entlang, etwas Verbotenes zu tun (je nach Kategorie des Fahrverbots), da trifft man auf ein Fahrzeug, das mitten am Weg steht, und der Fahrzeughalter steht gleich daneben. Man muss also anhalten. Jetzt wird es richtig interessant, jetzt wird es psychologisch, ab jetzt kann auch ein kleiner Fehler zu einer Anzeige mit saftiger Geldstrafe führen. Ab jetzt zählt jede Kleinigkeit.

Noch während man im Auto sitzt: Sonnenbrille abnehmen, aber niemals ohne Kopfbedeckung (Schildkappe, Hut, was auch immer) aus dem Auto steigen! Dann aussteigen, aber nicht sogleich in Hochdeutsch Grüß Gott rufen, sondern ruhigen und gemessenen Schrittes auf den anderen zugehen und erst, wenn man genau vor ihm steht, sagen: Griaß di! (ich begrüße dich) und ihm die Hand hinhalten. Wichtig: Dabei seinem Gegenüber fest in die Augen schauen. Das signalisiert: Man hat nichts zu verbergen. 

Der so Gegrüßte wird seine Hand eher beiläufig schräg knapp über seinen Körper hin geben (steht für Skepsis) und gleichzeitig fragen, was man hier macht. Nun muss man im Brustton der Überzeugung erklären, dass man ein Geologe von der Universität von Hierzuland ist und dass man hier in einem Forschungsauftrag unterwegs ist, sowie dass das Ganze absolut nichts mit den Grünen zu tun hat. Man sollte bestimmt und seiner Mission bewusst, aber nicht herrisch auftreten. Denn obwohl es die Ostälpler historisch vorgezogen hatten, ihre adligen Herren nicht rauszuwerfen (jemand musste den ganzen Papierkram ja schließlich erledigen), blieben sie doch bis zum heutigen Tage allergisch gegen Bevormundung oder was als solches empfunden werden könnte. 

Ab diesem Zeitpunkt beginnt der Widerstand des anderen fast immer aufzuweichen. Wie schnell, hängt vom individuellen Typus ab. Hier sei zur Verteidigung der Elastizität des Ostälplers festgestellt, dass solche Worte doch meist auf ein grundsätzliches Verständnis stoßen, dass hier ein Mensch steht, der doch nur seinen Job machen will.

Sollte sich der Angesprochene aber als hartköpfig erweisen, kann man weitere Geschütze auffahren. So ferne man nicht alleine unterwegs ist, empfiehlt es sich, einen Studenten oder eine Studentin, mit dem oder mit der man unterwegs ist, aussteigen zu lassen und sie zu ermuntern, sich mit gebührendem Zeitabstand ins Gespräch einzumischen. Bei sehr hübschen Studentinnen genügt meist die reine Präsenz, die brauchen gar nichts zu sagen, sollten aber den Verstockten mit großen Augen befremdet anschauen. Man kann die Situation natürlich auch gemeinsam durchspielen, bevor man losfährt. 

Ebenso wirksam sind ausländische Kollegen, die mit einem mitfahren. Bemerkenswerterweise hat der Autor dieser Zeilen die Erfahrung gemacht, dass das reine hannoveranische Hochdeutsch auf Ostälpler sedierend wirkt, aus welchen (vielleicht im Bereich des Tourismus) angesiedelten Gründen auch immer. Nicht schlecht ist auch, wenn ein Kollege oder eine Kollegin aussteigt, die zuerst Englisch redet, dann aber im Zwiegespräch mit einem auf Spanisch, Italienisch oder Französisch wechselt. Solch internationalem Flair können nur äußerst wenige Ostälpler widerstehen und also applanieren sich eventuelle Klagsandrohungen fast immer zu großzügigem Durchwinken kraft eigener Herrlichkeit, mitsamt Glückwünschen für gutes Gelingen.

Und nun die letzte Einweihung in die Mysterien des ostalpenländischen Fahrverbots. 

Die folgende Episode ist ohne jegliche Überzeichnung 1:1 aus dem Leben genommen. Ich kenne einen Fahrweg, an dessen Beginn prangt ein besonders großes, aufdringlich unübersehbar angebrachtes Fahrverbotszeichen – am Ende dieses mehrere Kilometer langen Weges aber befindet sich ein Parkplatz, ordentlich eingefriedet und ausgewiesen mit einem weißen P auf blauem Grund, und dementsprechend vollgeparkt. 

In lediglich etwa 500 m Entfernung vom Parkplatz eine Hütte, auf der man sich an legendär schmackhaften Kuchen von den Strapazen des motorisierten Aufstiegs erholen kann. Nun wollte ich doch ein wenig Auskunft über den etwas befremdlichen Umgang mit einem Fahrverbot einholen. Also sagte ich, nachdem ich pflichtschuldig eines ihrer Kuchenstücke verdrückt hatte, zur Wirtin, dass ich das schon ein wenig sonderbar finde, dass drunten ein riesiges Fahrverbotsschild prangt und sich droben am Ende des Wegs ein ordentlich eingerichteter Parkplatz befindet. 

Wie geht das zusammen?
Ach so, ihre fröhliche Antwort, das ist, damit nicht jeder rauffährt!

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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

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