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Corvus Kowenzl
Auf Exkursion
Ostalpenländische Universitätssatiren
Folge 9

Folgende bescheidene Zeilen präsentieren einige der markantesten Erinnerungen meines Berufslebens als Lehrer und Forscher an einer Universität mitten in den Ostalpen, im Lande des Grüß Gott. Die meisten dieser Erinnerungen stammen aus meiner Zeit als Leiter eines Instituts, jedoch war diese Position nicht in jedem Fall ausschlaggebend, sondern ganz einfach die Tatsache, dass ich ein Angehöriger der Universität bin.


In einem Fachgebiet wie dem meinen ist es unumgänglich mit den Studenten auf Exkursionen zu gehen. Warum, sei hier an einem Beispiel erläutert. Nehmen wir ein Gestein, das fast alle Leute vom Namen her kennen: Das Konglomerat. Es besteht aus lauter lustig runden Geröllen, die wie durch Zauberhand miteinander zu einem Gestein verbacken sind.

Ich zeige also in der Vorlesung mehrere Fotos von Konglomeraten, natürlich ausgesucht gute Fotos, die ich im Laufe meiner weitgereisten Tätigkeit aus aller Herren Länder zusammengetragen habe. Daher sollte eigentlich klar sein, was ein Konglomerat ist. Falsch!

Beim ersten echten Konglomerat, vor dem die Studenten stehen, frage ich dann:
„Und hier haben wir. . . ?“
Schweigen, betretene Gesichter.
Ich, aufmunternd: „Na was denn, was ist denn das für ein Gestein? Haben wir schon in der Vorlesung gesehen.“
Manche schauen nun unschuldig in den Himmel, andere beginnen auf ihren smartphones herumzuwischen, nur nichts anmerken lassen. Jetzt muss nachgeholfen werden. Also ich wieder: „Ein Kong. . . ein Kong . . . na?- ein Kong?“
Ich hoffe noch immer auf einen lauten Zuruf „LOMERAT“ aus der Studentenschaft, doch diese bleibt stumm.
„Ein Konglomerat!“ rufe ich endlich, und ich merke, wie die Studis erleichtert aufatmen.

Aha, das also ist ein Konglomerat! Jetzt ist es in der Wirklichkeit angekommen, und jetzt wissen sie auch, liebe Leserin und lieber Leser, wozu es Exkursionen braucht. Mir ist es auch nicht anders ergangen.

So weit, so didaktisch bekannt. Exkursionen mit sagen wir 10 bis 30 Studierenden bedürfen natürlich guter Planung und sind stets eine Quelle für Erlebnisse aller Art einschließlich der dritten.

Es beginnt schon beim Einsteigen in den Bus. Alle Studierenden sind rechtzeitig gekommen und stehen neben meiner Wenigkeit als fröhlich schnatternde Gruppe neben dem Gefährt. Nur der Herr Fachkollege, der die Exkursion begleiten soll, ist noch nicht erschienen.

Also Handy aus dem Rucksack holen und seine Nummer wählen, aber der Anruf wird nicht angenommen. Mehrere Versuche, dazwischen abwarten. Inzwischen regt sich der Busfahrer auf:
„Was ist los? Ich kann hier nicht ewig stehen!“
„Ich weiss, aber wir warten noch auf meinen Kollegen, er wird bald da sein!“

Ich verkürze mir die Zeit, in dem ich ein wenig mit den Studenten scherze. Dann ein erneuter Anrufversuch, wieder negativ. Wo steckt der Kerl? Langsam werde ich nervös. Nach einem weiteren Rüffel des Busfahrers überlege ich ernstlich, ohne den Kollegen zu fahren. Vielleicht ist ihm etwas zugestoßen, da hilft hier Rumwarten auch nichts mehr, R.I.P. Bald würde ich eine Entscheidung treffen müssen.

Da trifft der liebe Kollege ein. Er nuschelt irgendetwas von einem Bankomaten, das ich nur halb verstehe, ist mir auch egal, Hauptsache, er ist jetzt hier und wir können endlich losfahren. Ich sage dem inzwischen nachhaltig missgelaunten Busfahrer, dass es jetzt losgeht. Ich stelle mich neben die Eingangstüre des Busses und rufe laut:
„Aaaufbruch, alle einsteigen!“
„Jawohl, Aufbruch!“ höre ich sofort zwei Studenten in Lederhosen rufen und sogleich steigen sie ein.

Andere gehen miteinander redend an mir vorbei und beachten mich kaum; andere drücken sich scheu an mir vorbei (ich lächle aufmunternd, ich bin ja im Grunde ein Netter); wieder andere passieren mich wortlos, rauchend und mich ostentativ ignorierend, scheitern aber am Busfahrer, der das Rauchen strikt untersagt. Noch immer stehen Studenten in kleinen Grüppchen redend neben dem Bus und nur zähflüssig füllt sich sein Inneres.

„Los, los, einsteigen, bisschen flotter, wenn ich bitten darf, wir sind eh schon verspätet!“ rufe ich.
„Ääeei, Mann, sooo geht das aber nicht!“ höre ich hinter mir eine Stimme. Ich drehe mich um. Da steht ein Student mit Rasta-Locken.
„Wir sind doch hier nicht beim Militär. . . also so was von aggressiv, das ist doch selten. . .“ mokiert er sich.
„Ich bin nicht aggressiv, ich möchte nur, dass wir jetzt mal weiterkommen“, sage ich, doch das war anscheinend das Falscheste, was ich tun konnte.
„Schon wieder dieser Kommandoton. . . also bei diesen Aggressionen . . . total vergiftet, das Klima hier. . . also ich weiss nicht. . .“
„Bitte – steigen – Sie – nun – ein!“ ich, dezidiert.

Seine Antwort, kopfschüttelnd mehr zu sich selbst als zu mir gewandt: „. . .kann nur rumschreien und kommandieren. . . (schaut hinauf zum Bus) . . . nein, also das tu ich mir nicht an . . . da trieft ja schon das schlechte Karma raus. . . kann einen nur kaputtmachen. . . also neee, ich fahr da nicht mit.“
Ich, nun wirklich ungeduldig: „Also was ist? Fahren Sie nun mit oder nicht?“

Schon wieder habe ich einen schlagenden Beweis für meine negativen Energien und meine Aggressivität geliefert. Er schaut mich mit grossen Augen an und schüttelt den Kopf:
„Nein . . .nein . . . um nichts in der Welt werde ich in dieser Aggressionsschüssel mitfahren, um nichts in der Welt.“
Und er geht. Das darf er, auf eigene Verantwortung. Wir sind hier schließlich auf der Universität und nicht in der Grundschule. Ich steige ein. Es kann losgehen.

Nachdem ich auf der Fahrt die Studis ein wenig über das Mikrophon zur Geologie, die man im Vorbeifahren sieht, beschallt habe, ist das Ziel erreicht und alles steigt aus, viel Genestle mit Rucksäcken, Rascheln von Windjacken, dann mit Gelächter und Gekicher nur noch schnell ein paar Selfies gemacht und einige Nachrichten verschickt.

Es folgt eine kurze Einführung mit großer bunter geologischer Karte zur Exkursionsroute. Es beginnt zu tröpfeln. Dann Karte zusammenfalten und los geht’s. Die Karawane setzt sich in Bewegung. Alle schwatzen miteinander, die ersten Regenschirme werden aufgespannt, doch das tut der guten Laune keinen Abbruch.

Bald gehe ich an der Spitze der Gruppe, mein Kollege sichert die Nachhut. Während ich so still in mich gekehrt dahingehe, fällt mir nach einer Weile das Geräusch eines Gleichschritts hinter mir auf. Ich drehe mich um und sehe die beiden Lederhosenträger wie sie mir in schneidigem Marsche dichtauf folgen. Ich bleibe stehen, da bleiben auch sie sofort stehen. Der Rest der Gruppe ist ein wenig abgefallen, daher warte ich kurz, dann gehe ich weiter, bis zum ersten Exkursions-Stop.

Warten bis alle da sind, dann geht’s los und ich beginne mit der Erklärung. Die beiden Lederhosenträger stehen etwa 1.5 Meter vor mir, die anderen mit etwas mehr Abstand. Nach meinen einführenden Worten kommt der Übungsteil für die Studenten. Jetzt müssen sie erst mal selber ran und hinterher wird das Ergebnis diskutiert.

Während die Studis sich zögerlich dem Gesteinsaufschluss nähern, als könnte er beißen, sehe ich meine Chance. Ich muss nämlich pinkeln. Dezent trete ich durch die Gruppe hindurch in Richtung Busch, gehe noch ein kleines Stück und dann bleibe ich stehen. Aber da höre ich knapp hinter mir ein Geräusch. Es sind die beiden Lederhosenträger.
„Lassen sie mich in Ruhe, ich muss pinkeln!“
„Ah so, tschull’n se!“ beide unisono, dann machen sie kehrt und gehen trapp – trapp – trapp zurück zum Aufschluss.

Der Rest des Tages verlief ohne besondere Zwischenfälle. Bald hatte es in Strömen zu regnen begonnen und ich begrüßte die Gelegenheit, den Halsstarrigen, die trotz ausdrücklichem Hinweis keinen Regenschirm mitgenommen hatten, nochmals zu erklären, wieso ein Geologe, aber auch die Geologin, bei Schlechtwetter mit einem Schirme gut beraten ist: damit das Feldbuch und die Karte nicht nass werden.

Ob der/die GeologIn selbst nass wird, ist egal. Als wir schließlich sechs Stunden später alle mehr oder weniger durchnässt (aber mit trockenen Karten) wieder beim Bus standen, hörte es auf zu regnen, die Wolkendecke riss bereits da und dort auf und die Abendsonne lugte gelegentlich hindurch. Wie gesagt, eine ganz normale Exkursion.

Etwa eine Woche später bekam ich einen Brief von einem Rechtsanwalt. Gegen mich sei Anklage wegen Nötigung erhoben worden. Kläger war der Student mit den Rastalocken, der so um sein Karma besorgt gewesen war. Gelassen legte ich den Brief vor mich hin und rief gleich bei der Gewerkschaft an. Immerhin bin ich seit über 20 Jahren zahlendes Mitglied, und jetzt werde ich den Rechtsbeistand in Anspruch nehmen, der einem in fast jedem der Hefte versprochen wird, die man vierteljährlich zugestellt bekommt.

Nachdem mir im ersten Telefonat viele Fragen gestellt worden waren, wurde ich an eine zweite Stelle verwiesen, die mir noch mehr Fragen stellte und dann, bitte sehr, sollte ich den Sachverhalt in einer Email ausführlich darlegen und dann noch eine weitere Nummer anrufen.

Nachdem die Email schließlich geschrieben und abgeschickt war, rief ich noch bei der dritten Nummer an. Dort meldete sich ein bereits bei Gesprächsbeginn hörbar schlechtgelaunter Herr, der immer schlechter gelaunt schien, je mehr ich ihm den Vorfall schilderte. Er teilte mir dann ziemlich unumwunden mit, dass es eine Frechheit sei, für so etwas Rechtsbeistand anzufragen, wo doch – wie er kaum verklausuliert sagte – eh bekannt sei, dass diese Uniprofs alle im Geld schwimmen und noch dazu samt und sonders arrogante elitäre Säcke seien. Ohne auf seine Verabschiedung zu warten legte ich auf und suchte mir selbst einen Rechtsanwalt. . . und die Sache nahm ihren Lauf.

Bereits fünf Jahre später wurde ich in einem Strafprozess der Nötigung für schuldig befunden und zur Zahlung von zehn Tagsätzen zu je 75,- Euro an den Herrn mit den ehemaligen Rastalocken verurteilt (inzwischen hatte er sich eine normale Frisur zugelegt und arbeitete in einem Büro für Angewandte Geologie), dazu die Gerichts- und Anwaltskosten.

In der Urteilsbegründung stand unter anderem: „Der Beklagte Herr Dr. K. hat für das Befinden des Gerichts nicht überzeugend darlegen können, etwaige nötige Vorkehrungen verbaler oder sonstiger Art getroffen zu haben, die vor dem Eintreten schockartiger oder traumatischer Erlebnisse ausreichend gewarnt hätten. Die Tatsache, dass es sich beim in Streit gestellten Ansinnen um einen alltäglichen Vorgang, gegenständlich das Besteigen eines Reisebusses, gehandelt hat, hat den Beklagten nicht von seiner Sorgfaltspflicht entlastet…“ et cetera, et cetera.

Seitdem fordere ich zum Besteigen des Busses auf wie folgt: „Sehr geehrte Damen und Herren, wie Sie wissen, sind wir heute hier zusammengekommen, um gemeinsam auf eine Exkursion zu gehen. Um gemeinsam die Anfahrt zum Exkursionsziel zu bewältigen, ist es unumgänglich, dass wir alle gemeinsam diesen hinter mir stehenden Reisebus besteigen (drehe mich um, zeige auf den Reisebus. Drehe mich wieder zu den Studenten). Bitte Vorsicht! Der nun folgende Aufruf könnte die Erinnerung an traumatische Erlebnisse wecken oder unangenehme Empfindungen hervorrufen! Wer sich nicht sicher ist, ob er oder sie sich dem Einstiegsvorgang aussetzen will, der hat nun Zeit, sich von der Gruppe zu entfernen.“

Ich zähle innerlich langsam bis dreissig, dann fahre ich fort:
„Also Achtung, jetzt kommt der Aufruf: Bitte alle einsteigen!“

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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

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