Print Friendly, PDF & Email

Bettina Maria König
Mutterliebe
oder
Leben im Eigentlich-Stadium
Fortsetzungsroman

Es war die allererste Nacht, in der Julian bis zum Morgen bei mir blieb. Und sie war wunderschön. Dabei hatten wir nicht mal Sex. Dazu war ich viel zu aufgewühlt und emotional erschöpft, und Julian traute sich nach allem, was er bei mir verbockt hatte, offensichtlich nicht, sofort auf Körperlichkeit zu bestehen.

Bevor wir Arm in Arm einschliefen, redeten wir noch stundenlang, denn ich hatte tausend Fragen. Ich wollte wissen, wieso er immer wieder abgetaucht war, obwohl er doch ständig behauptet hatte, dass er mich liebe? Wovor er eigentlich Angst hatte, wieso er sich trotz allem immer wieder gemeldet hatte und warum er sich mit seiner Antwort auf meinen letzten Brief so lange Zeit gelassen hatte, dass ich diesen fast schon wieder vergessen hatte?

Die Antworten waren nicht sehr befriedigend. Meist zuckte Julian mit den Achseln und murmelte nur: „Ich weiß es nicht…“ oder: „Ich konnte einfach nicht“, wenn er nicht überhaupt schwieg. Die frustrierendste Antwort war: „Weil…“, begleitet von einem besonders starken Achselzucken. Und auf die Frage wegen des Briefes meinte er einfach nur: „Ich brauchte Zeit, um deine Vorwürfe zu verdauen, bevor ich irgendetwas tun konnte.“ Als er meinen irritierten Blick bemerkte, fügt er schnell noch hinzu: „Dass ich dich zurückwollte, war mir aber immer klar!“.

Ich zuckte irgendwann innerlich selbst mit den Achseln und sagte mir, dass ich diesen Kerl wohl nehmen müsse, wie er war – das mit dem Männer-Ändern funktioniert sowieso nicht, wie ich schon damals sehr gut begriff. Für ihren Partner verbiegen sich nur Frauen, und das leider permanent.

Laut sagte ich: „Ist schon gut. Hauptsache, du bist jetzt da und bleibst auch.“

Über den letzten Punkt war ich mir allerdings gar nicht sicher. Die Geschichte mit dem gebrannten Kind, Sie wissen schon! Und so befand ich mich vom gemeinsamen Frühstück am nächsten Morgen an im Eigentlich-Stadium.

EIGENTLICH hätte ich das traute Brötchenstreichen, Kaffeeschlürfen und dabei Zusammenkuscheln und Ratschen in Zweisamkeit genießen müssen; EIGENTLICH hätte ich mich freuen müssen, dass Julian bei der Verabschiedung ankündigte, er würde sich abends telefonisch melden, morgen für mich kochen und anschließend wieder die Nacht bei mir verbringen; EIGENTLICH hätte ich triumphierend im Quadrat hüpfen müssen, als er das dann tatsächlich machte. Und zwar nicht nur in der nächsten Nacht, sondern auch an den Tagen und in den Nächten, die darauffolgten.

Es war auf einmal unerwartet idyllisch mit ihm – zu idyllisch, wie mir ein gemeines, ziemlich kleines Stimmchen aus meinem Inneren permanent zuflüsterte. Natürlich war da noch eine andere Stimme – die, die vor Glück außer sich war, weil der lange vergebens herbeigesehnte Geliebte nun endlich sein Leben mit mir teilte und offenbar gewillt war, das auch künftig zu tun.

Aber trotz dieser scheinbar positiven Entwicklung wartete ich immer auf den nächsten Schlag, so wie ich das bei Julian eben gelernt hatte. Bei jedem verzögerten Anruf, bei jeder Verspätung mit nicht ganz nachvollziehbarer Erklärung und bei jedem Blick, der plötzlich zerstreut in die Ferne und von mir abschweifte, meldete sich das verletzte Kind in mir zu Wort und flüsterte: „Siehst du, jetzt kommt’s! Ich hab’s ja gewusst! Jetzt haut er wieder ab!“.

Um der Wahrheit Ehre zu geben, gab es da noch eine andere Stimme, die zur Vorsicht mahnte. Und bei der war von Flüstern keine Rede, diese Stimme schrie. Und zwar laut. Es war die von Bea, der ich natürlich von den jüngsten Entwicklungen mit dem Mann meines Lebens erzählt hatte.

Als ich zu dem Passus kam, wo Julian gesagt hatte, ich sei nun nicht mehr alleine, rollte sie die Augen nach oben und fuchtelte mit den Armen vor ihrem Bauch herum, was ihr ob der mittlerweile beängstigenden Leibesfülle kaum gelang.
„Gott, Alma!“, stöhnte sie, „das haben wir doch alles schon einmal gehört! Kurz bevor der Kerl wieder abgehauen ist… Lass bitte die Finger von dem Typen, der ist bindungsunfähig und nicht normal!“. Letzteres sagte sie nun in einer nicht zu überhörenden Tonstärke.

Vielleicht hatte Bea ja recht. Und meine innere Stimme auch. Aber ich bin vom Charakter her an sich ein vernünftig denkender, einigermaßen intelligenter Mensch. Und deshalb weiß ich, dass man sich lieber auf Fakten anstatt auf diffuse Wahrnehmungen und Ahnungen verlassen sollte. Die Fakten schienen derzeit für Julian zu sprechen, trotz kleiner Ungereimtheiten, die ich immer wieder bemerkte. „Menschen können sich ändern“, dachte ich dann aber, vor allem, weil ich das auch glauben wollte, „gib ihm Zeit!“.

Um mich von weiteren unangenehmen Einflüsterungen von innen und außen abzulenken und meine Gedanken wieder in vernünftige Bahnen zu lenken, stürzte ich mich mit voller Wucht auf meine Dissertation. Mit dem Ergebnis, dass ich wirklich zügig vorankam, weil mir das Schreiben mittlerweile richtig Spaß machte, und ich so etwas wie eine Koryphäe geworden war in Sachen Jane Austen.

Mein Professor staunte nicht schlecht, als ich ihm in kürzester Zeit mit schlecht verhehltem Stolz einen ganzen Packen eng beschriebenen Papiers in die Hand drückte – meine fertige Doktorarbeit. Die Fertigstellung war etwas mühsam gewesen, da mein Ungetüm von einem Computer im Halbtagesrhythmus abzustürzen pflegte. Aber ich hatte es geschafft und das verschaffte mir ein seltenes Glücksgefühl.

Das hier war etwas, was ich nur mir verdankte und selbst geleistet hatte, ganz alleine. Und dafür hatte es keinen Mann gebraucht.

Nun hieß es auf die Rückmeldung des Professors zu meinem Kunstwerk warten, und gleichzeitig auf meine Abschlussprüfungen lernen. Weil somit aber ein bedeutender Teil meiner Beschäftigungstherapie wegfiel, wurde die skeptische Stimme in meinem Inneren wieder zunehmend lästig. Auch deshalb, weil mir in einer Art „Self-fulfilling prophecy“ immer öfter Dinge an Julians Verhalten auffielen, die darauf schließen ließen, dass er ab und zu wieder in alte Muster zurückfiel.

So kam es etwa immer häufiger vor, dass er nicht anrief, obwohl er das angekündigt hatte, dass er kurzfristig ein Abendessen absagte mit in meinen Augen fadenscheiniger Begründung oder dass er nach dem abendlichen Sex aufstand, sich anzog und meinte, er müsse morgen früh raus und hier schlafe er nicht so gut wie zuhause. Solcherart gut gefüttert, wuchs mein innerer flüsternder Giftzwerg zu einem richtigen Riesen heran, und mein vernünftiges Ich, das dem Mann an meiner Seite selbstverständlich seinen Freiraum und ein eigenes Leben zugestehen wollte, hatte Mühe, diesen im Zaum zu halten.

Nur gut, dass ich eines Abends Anfang Dezember einen Anruf von Bea erhielt, der jeden Gedanken an Julian und seine Rückfälle für einige Zeit total wegfegte. „Alma!“, schnaufte sie in den Apparat und musste vor Anstrengung eine Pause machen, „es koooommt!“
„Was kommt?“, fragte ich blöde und bereute die naive Frage postwendend.
„Das Babyyyy!!!“, brüllte sie, sodass mir das Telefon vor Schreck aus der Hand fiel. „Komm!!! Jetzt!!!“, hörte ich ihre Stimme aus dem Hörer quäken, der nun am Boden lag.
Mit zitternden Händen angelte ich mir den Apparat wieder und stotterte: „Wie…wieso ich? Wo ist Paul denn?“
„Auf Dienstreise, der Idiot!“, brüllte Bea. „Du musst kommen und mich ins Krankenhaus fahren.“ Dann machte sie erschöpft eine Pause. „Sofort!“, befahl sie noch, dann legte sie auf.
Ich? Als Geburtshelferin? Was war, wenn das Baby schon im Auto zur Welt kommen wollte? Mir wurde himmelangst, aber noch viel mehr fürchtete ich mich davor, wie Bea reagieren würde, wenn ich ihren Anweisungen nicht sofort Folge leistete. Also war klar, was zu tun war.

Ich nahm mir nicht die Zeit, mich anzuziehen – ich war schon im Pyjama – und schlüpfte so, wie ich war, in Jacke und Stiefel. Dann stürzte ich los. Bea war schon im Mantel und wartete an der Tür, rhythmisch atmend. In der Hand trug sie ihre Krankenhaustasche, die bereits seit Wochen gepackt im Flur gestanden hatte, wie ich wusste. Bea ist ein sehr organisierter Mensch. Ich weiß nicht, ob ich das schon erwähnt habe.

Ich hievte meine Freundin auf den Beifahrersitz, knallte die Tasche in den Kofferraum und brauste los. Bea schnaufte und stöhnte die ganze Fahrt lang, und es war das erste Mal, dass sie meine Fahrkünste nicht permanent kommentierte und kritisierte, so sehr war sie mit sich selbst beschäftigt. Deshalb ließ sie es auch klaglos zu, dass ich für sie die Anmeldung vornahm und organisierte, dass sie im Rollstuhl von einem Pfleger auf die Geburtenstation gebracht wurde. Bevor sie hinter der Tür verschwand, drehte sie sich noch einmal zu mir um und sagte leise – so leise, dass ich sie fast nicht verstanden hätte: „Danke, Alma!“.

Ich wartete draußen vor der Tür. Lange. Sehr lange. Aber vielleicht kam es mir aber auch nur so vor, denn Geduld gehört ja nicht zu meinen herausstechendsten Charaktereigenschaften. Dazu kam, dass ich noch nie so hautnah einer Geburt beigewohnt hatte, und schon gar nicht der meiner besten und engsten Freundin. Das machte mich supernervös.

Zudem wurde mir bald bewusst, dass ich ein ziemlich lächerliches Bild abgeben musste, wie ich so dasaß in meinem Uralt-Pyjama mit den verblichenen Herzchen und Schokoladeflecken darauf. Nachdem ich ein paar amüsierte Blicke von vorbeieilenden Ärzten und Pflegern eingeheimst hatte, zog ich die Jacke enger um mich, sodass man wenigstens nur mehr meine mit Herzchen bestückten Beine sah.

Nach geraumer Zeit kam eine Krankenschwester zu mir und informierte mich, dass Bea jetzt im Kreißsaal sei und es wohl nicht mehr lange dauern könne. Lange ist, wie gesagt, relativ. Nach einer weiteren Ewigkeit – ich hatte inzwischen die Fingernägel meiner rechten Hand abgenagt – tauchte die Schwester wieder auf und verkündete die frohe Nachricht, dass das Kind jetzt da sei. Sie winkte mir, ihr zu folgen, und gleich darauf stand ich vor Beas Bett.

Sie sah sehr erschöpft aus, ihre Haare waren verklebt und ihr stand noch der Schweiß auf der Stirn. Aber sie strahlte von einem Ohr zum anderen, während sie unverwandt auf den kleinen Menschen in ihrem Arm hinunterblickte. „Das ist Laurin“, hob sie den Kopf zu mir, und dann wieder zu ihm: „Sag Hallo zu Alma, mein Kleiner! Sie ist meine liebste und beste Freundin!“

So etwas aus Beas Munde und dann noch der Anblick des kleinen Flohs – das war zu viel für mich. Ich heulte wieder mal Rotz und Wasser, während ich mich hinunterbeugte und Mama und Kind überglücklich umarmte.

Es war bereits früher Morgen, als ich wieder in mein Auto stieg und nach Hause fuhr. Die neugierigen Blicke auf meinen Pyjama auf dem Weg zum Wagen waren mir vollkommen egal, denn ich hatte heute etwas erlebt, was unbezahlbar war. Und mir war in dieser Nacht eines sonnenklar geworden: Ich wollte auch so ein Baby. Mindestens eines. Und das bald.


!

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Bettina Maria König

Bettina König wuchs als Tochter eines tüchtigen Apothekers im sehr fernen Außerfern auf, wo es ihr aber bald zu kalt und provinziell wurde. Sie flüchtete nach Innsbruck und mutierte via Studium zum Dr. phil., um postwendend in die Riege der „Tirol Werber“ aufgenommen zu werden. Als das Bedürfnis nach Wärme noch größer wurde, nahm sie eine Stelle als Presseverantwortliche in Bozen an – nicht ahnend, dass es dort mit der Provinzialität noch schlimmer bestellt ist als im heimatlichen Reutte. Dem Berufsbild des professionellen Schreiberlings treu bleibend, durchlief sie in Südtirol mehrere Positionen und war zwischendurch auch freiberuflich als PR-Fachkraft, Journalistin und Texterin tätig. Das Bedürfnis nach kreativem Schreiben befriedigte sie unter anderem durch die Herausgabe eines Kinderbuchs („Die Euro-Detektive“) für eine Südtiroler Bank. Derzeit zeichnet sie für die Unternehmens-Pressearbeit von IDM Südtirol verantwortlich, hat die kreative Schreiblust aber immer noch nicht gebändigt. Zwei erwachsene Kinder.

Schreibe einen Kommentar