Alois Schöpf
Über die verlogene und missbräuchliche Verwendung
des Wortes “Demut”
Notizen

Fallweise ist das Wort bereits im Wahlkampf gefallen. Am Wahlabend nach geschlagener Schlacht wird es bestimmt inflationär gebraucht werden. Mit den Hängebacken des frömmelnden Gesichtstonus werden sich manche unserer Politiker und Politikerinnen, doch hoffentlich nicht alle, bei den Wählern für ihr Vertrauen bedanken und versprechen, dass sie die großen Aufgaben, die nun auf sie warten, mit Demut angehen werden.

Wie ein guter Musiker, der in einem Musikstück nicht nur die falschen Töne heraushört, sondern auch punktgenau sagen kann, ob ein Ton im Verhältnis zur Funktion, die er innehat, zu hoch oder zu tief intoniert wurde, entwickeln auch Journalisten, die lebenslänglich Texte schreiben und vor allem redigieren, ein geradezu schmerzhaftes Unwohlsein, wenn ein Wort verwendet wird, das gerade deshalb so falsch klingt, weil es im ersten Augenblick genau richtig zu sein scheint.

Wiktionary beschreibt den Begriff Demut: [1] Religion: vor allem religiös geprägte Geisteshaltung, bei der sich der Mensch in Erkenntnis der eigenen Unvollkommenheit dem göttlichen Willen unterwirft. Und [2]: das Zurücknehmen der eigenen Interessen gegenüber einer höheren Macht oder gegenüber einer Gemeinschaft.

Duden wiederum schreibt, Demut bestehe in der Einsicht in die Notwendigkeit und im Willen zum Hinnehmen der Gegebenheiten begründete Ergebenheit. Ich für meinen Teil begreife diese verschwurbelte Definition nicht!

Tatsache scheint jedenfalls zu sein, dass Politiker, die Demut versprechen, das Wahlvolk in den Rang von etwas Göttlichem heben, oder zumindest in den Rang von etwas Schicksalhaftem, das in seiner Dimension die Kleinheit dessen, der sich unterwürfig dafür bedankt, gewählt worden zu sein, übersteigt.

Nun stimmt weder das eine noch das andere mit der Konstruktion unseres Staates überein: Die repräsentative Demokratie versucht nämlich gerade im Gegenteil durch die Verfassung, durch die Gewaltenteilung und durch eine unabhängige Justiz die Gefahr der Vergottung des Volkes hintanzuhalten und ermöglicht es dem gewählten Mandatar, sich nicht demütig dem Volk zu unterwerfen (Dein Wille geschehe!), sondern seinem Gewissen zu gehorchen, indem ihm in der Ausübung seines Mandats Entscheidungsfreiheit und Immunität garantiert werden. 

Es sei in diesem Zusammenhang nur an das wichtige und durchaus bewundernswerte, für Österreich jedoch äußerst seltene Abstimmungsverhalten von Leonore Gewessler im Zusammenhang mit den Renaturierungsverordnungen der EU erinnert, eine Gewissensentscheidung, gegen die die Klage der ÖVP, wie nicht anders zu erwarten, chancenlos blieb.

Demut gegenüber dem Volk ist also mitnichten als Tugend, denn schon eher als populistische Gefährdung der repräsentativen Demokratie zu betrachten.

Ein weiterer Aspekt im Hinblick auf die Verlogenheit des Demutsgeschwafels ergibt sich aus dem Wahlkampf selbst, der auf Plakaten und in allen nur verfügbaren Medien die jeweiligen Kandidaten schon einmal vom Äußeren her von ihrer schönsten und bestens frisierten Seite präsentiert. Zusätzlich haben sie sich bei Diskussionen und in Interviews als jene Heilsbringer darzustellen, die ein durch und durch verrottetes Staatsgebilde nun endlich auf den richtigen Weg des Wohlstands für alle zurückzuführen versprechen.

Diese im Wahlkampf stets notwendige und zugleich unfassbar peinliche Selbstüberhebung von oftmals durch lähmendes Mittelmaß gekennzeichnete Personen steht im krassen Gegensatz zur wenige Stunden später nach der Wahl erfolgenden Selbsterniedrigung, aus der heraus sich der Gewählte in schleimigen Windungen der Dankbarkeit im Augenblick des Triumphs seinen Wählern anbiedert.

In Wahrheit müsste er nämlich sagen: Es freut mich außerordentlich, sehr geehrte teilnehmende Berechtigte, dass ihr gescheit genug wart, meine Qualitäten zu erkennen, und diese Einschätzung durch eure Stimme bestätigt habt. Und ich kann euch versichern, dass ich kraft meiner Intelligenz, meines Charmes und meiner Energie genau jene Erfolge erzielen werde, die ich euch versprochen habe, weil sie die Grundlage meiner weiteren politischen Karriere sein werden.

Wenn also in der Definition von Demut von Zurücknehmen der eigenen Interessen gegenüber einer höheren Macht oder gegenüber einer Gemeinschaft die Rede ist, so erweist sich die Verwendung des Worts auch unter diesem Aspekt als verkitschte Heuchelei. Leute, die heute noch unter den gegebenen medialen Bedingungen und Sicherheitsaspekten hohe Ämter in der Politik anstreben, müssen nicht nur über Rücksichtslosigkeit verfügen, um im Sinne ihrer eigenen Interessen nach oben zu kommen, sie müssen auch von brennendem Ehrgeiz erfüllt sein. Und ihre Begeisterung für die Macht muss so groß sein, dass zuletzt nur ein narzisstischer Charakter befähig ist, all die Torturen der Entblößung und Erniedrigung, denen Politiker heute ausgesetzt sind, zu ertragen.

Auch in diesem Zusammenhang ist das Wort Demut also ein Fehlgriff.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Jenewein

    Sie dienen in Demut dem Volk.
    So heisst es korrekt.
    Dienen!
    Kein Fehlgriff, sondern ein Treppenwitz!

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