Alois Schöpf
„Small is beautiful.“
Hochwertiges Musizieren mit kleinem Orchester

Bei den Innsbrucker Promenadenkonzerten 2021 fanden einige, zumindest für mich, sehr denkwürdige Konzerte statt. So etwa ein Auftritt der berühmten Egerländer-Musikanten, deren Performance mich enttäuschte, weshalb ich sie kritisierte, was mir wiederum einen gewaltigen Shitstorm in den sozialen Medien eintrug.

Am Donnerstag den 22. Juli 2021 konzertierte aber auch die Blasmusik der Münchner Philharmoniker im Innenhof der kaiserlichen Hofburg. Neben böhmischen Polkas und Walzern spielten sie Werke von Suppé, Smetana, Fučík und dem Lokalmatador Sepp Tanzer. Sie präsentierten damit genau jenes Programm, mit dem Tiroler und Südtiroler Trachtenkapellen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs im aufkommenden Tourismus ihre Gäste bei Platzkonzerten verwöhnt und womit sie sich in einem gelungenen Übergang von der klassischen Kunstmusik hin zur alpenländischen und altösterreichischen Militärmusik ein europaweit unverwechselbares Alleinstellungsmerkmal errungen haben.

Dass die Münchner ein solches Programm anboten und es dann auch noch mit merklichem Engagement exekutierten, war eine Liebeserklärung an die Veranstalter und das Land Tirol, wie sie wohl nicht größer ausfallen kann. Es war aber auch eine mahnende Erinnerung an die heimische Blasmusikszene, die sich in den letzten Jahren im Bestreben, etwas für die „Jungen“ zu tun, lieber im peinlichen Nachspielen kommerzieller Popmusik ergeht, als sich ihrer Tradition, ihrer Aufgabe innerhalb der musikkulturellen Landschaft und vor allem eines Publikums zu besinnen, dessen Programmwünsche mit jenen der spielenden Musikerinnen und Musiker nicht immer identisch sind.

Kapellmeister, die es etwa in ihrem Vorstellungsgespräch als besondere Aufgabe von Musikkapellen definieren würden, sich des beliebten klassischen Repertoires des 19. Jahrhunderts zu bedienen, laufen derzeit unweigerlich Gefahr, als mit den Mannschaftserwartungen unvereinbar wieder heimgeschickt zu werden. Man kann nur hoffen, dass die Münchner mit ihrem sehr ansprechenden Konzert in diesem Punkt zu Nachdenklichkeit angeregt haben.

Ein anderer, möglicherweise noch bedeutenderer Lerneffekt ergab sich aus der Besetzung des kleinen Orchesters, das zwar alle notwendigen Stimmen aufbot, jedoch mit 32 Musikerinnen und Musikern eher schon ein Ensemble repräsentierte. Lediglich bei den Klarinetten waren Positionen doppelt besetzt.

Damit jedoch wurde nicht nur aufgezeigt, dass man auch mit wenigen Musikern vollgültig Blasorchester-Werke aufführen kann, wie sie einem traditionellen Repertoire entsprechen, es wurde auch der klingende Beweis angetreten, dass ein kleines Orchester über mehr Transparenz und damit über größere künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten verfügt. Dies alles naturgemäß unter der unleugbaren Bedingung, dass bei den Münchnern an jedem Pult hervorragende und professionell ausgebildete Musikerinnen und Musiker saßen.

Dennoch kann dies wohl niemals als Ausrede dafür herhalten, in einer Zeit, in der immer weniger Zeitgenossen bereit sind, sich langfristig an einen Verein zu binden, unbeeindruckt am Ziel festzuhalten, ein möglichst großes Orchester aufzubauen und auf kleine Orchester herabzuschauen. Dient doch, seien wir uns ehrlich, die Aufgeblasenheit der personellen Besetzung neben der Befriedigung der Eitelkeit der Dirigenten und Obleute vor allem dazu, um im Falle von Ausfällen oder aufgrund mangelnden Könnens über ausreichend Reserven zu verfügen. Nach dem Motto: Von fünf 2. Klarinetten werden doch zumindest drei anwesend sein und davon zwei ihren Part einigermaßen beherrschen. Dies ist in vielen Fällen heute gelebte Realität!

Wer wundert sich da noch über einen unbeherrschbaren und viel zu lauten Klangbrei abseits aller Möglichkeiten für den Dirigenten, durch Agogik, Dynamik und sensibles Spiel ein Klangbild zu erreichen, das ohne Abstriche und ohne auf den Amateurstatus verweisende Entschuldigung gegenüber anderen musikalischen Angeboten in der Öffentlichkeit bestehen kann.

Die Blasmusik der Münchner Philharmoniker hat eindrücklich unter Beweis gestellt, dass gerade im Hinblick auf die Musikkapellen kleinerer Dörfer und Stadtteile durchaus die Chance besteht, sofern die Musikerinnen und Musiker den Part, den sie zu spielen haben, so ernst nehmen, dass sie ihn im Zweifelsfall auch alleine übernehmen können, mit einer Musikkapelle von ca. 30 Personen ein künstlerisch befriedigendes Konzert traditionellen Zuschnitts zu realisieren.

Ein solches Bekenntnis zu „small is beautiful“ ist jedoch nur dann möglich, wenn auch alle davon betroffenen Musikerinnen und Musiker – durch Arbeit an einem solistischen Ton und mit in Kammermusikpraxis erworbener Nervenstärke und Sicherheit – sich einer Musizierfreude hingeben, die auch die Blasmusiker der Münchner Philharmoniker hin und her schwingen ließ, die aber nur dann hörbar wird, wenn man es gewöhnt ist, obgleich Amateur, ohne Unterstützung von nebenan seine Noten alleine zu spielen.


Die Egerländer-Kritik: https://schoepfblog.at/alois-schoepf-wie-kann-einem-diese-musik-nur-gefallen-die-egerlaender-musikanten-gastierten-bei-den-innsbrucker-promenadenkonzerten-essay/


Die Besetzung der Blasmusik der Münchner Philharmoniker:
Dirigent: Alfred Osterhammer
1 Oboe, 1 Piccolo-Flöte, 1 Große Flöte, 1 Es-Klarinette, 6 B-Klarinetten (optional 1 Bassklarinette), 4 Flügelhörner (opt.), /2 Trompeten (opt.), 4 Hörner, 3 Posaunen, 2 Tenöre, 2 Tuben 4 Schlagzeuger

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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