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Alois Schöpf
Gender-Zentrum Universität
Mit ihrer Sprachverstümmelung beweisen
die akademischen Eliten nicht Fortschrittlichkeit,
sondern miesen Opportunismus.
Essay

Weitere hochqualifizierte Wissenschaftler/innen können jederzeit ein formloses Ansuchen an den/die Sprecher/in zur Aufnahme als Mitglied in das DK (Doktoratskolleg – Anmerkung des Autors) stellen. Die Aufnahme setzt die Einbringung zumindest eines Dissertanten/einer Dissertantin in das DK voraus. Bewerbungen sind über den/die Betreuer/in an den/die Sprecher/in des DKs zu richten. Die Auswahl und Aufnahme der Dissertant/innen erfolgt durch die Mitglieder des DKs in nichtöffentlicher Sitzung nach den festgelegten Kriterien. Die/Der Dissertant/in scheidet (i) auf eigenem (sic!) Wunsch, (ii) mit Beendigung des Doktoratsstudiums oder (iii) nach Exmatrikulation – je nachdem, was zuerst eintritt – aus dem DK aus.

Wer es nicht glaubt: Die Homepage der Universität Innsbruck ist voll von solch absurden und unverständlichen Texten. Sie führen unmittelbar zu den Fragen hin, mit denen sich die vorliegenden Überlegungen beschäftigen.

1.
Was ist eigentlich das Irritierende an einem Gendern, das nicht in den Fließtext eingebunden ist, indem es beispielsweise elegant von Musikern und Musikerinnen oder von Wählern und Wählerinnen spricht, sondern durch einen Schrägstrich, ein Binnen I, ein Gender Gap, ein Sternchen oder einen Doppelpunkt mit einem eigenen Schriftzeichen also oder Knacklaut darauf hinweist, dass es zwei Geschlechter gibt, selbst wenn die Feststellung mit den im Text behandelten Inhalten absolut nichts zu tun hat?

Dass die Menschheit aus Männern und Frauen besteht, ist in gleicher Weise eine Trivialität wie die Tatsache, dass dem Tag die Nacht folgt. Sollte nun dennoch, etwa durch die Wendung Musiker und Musikerinnen oder Wähler und Wählerinnen die Existenz zweier Geschlechter eigens hervorgehoben werden, so ist dies bestenfalls damit zu begründen, dass das weibliche Geschlecht eben erst in jüngster Zeit in die Orchester und Wahlzellen einrücken konnte, ein Umstand, der durch die Nennung beider Geschlechter sozusagen von Seiten des Autors oder der Autorin(!) diskret gutgeheißen wird.

Ganz anders verhält es sich hingegen bei der Rolle eines Instituts-Sprechers, dessen Aufgabe als Sprechender einen geschlechtsneutralen Konnex nahelegt, weshalb keinerlei Notwendigkeit besteht, hier auf die Trivialität hinzuweisen, dass Sprecher zwangsweise, zumindest aus biologischer Sicht, entweder Männer oder Frauen sind, wobei im Irrenhaus der westlich-liberalen Gesellschaften unweigerlich bald die Frage auftauchen wird, wie in Zukunft die Existenz von Transpersonen sprachlich emanzipativ zum Ausdruck gebracht werden soll.

Von geradezu grotesker Miserabilität wiederum ist die Marotte von Autoren sogar des hoch angesehenen Reclam Verlages, die in ihren Abhandlungen von Fußballerinnen, Chirurginnen und Bandleaderinnen sprechen, was angesichts der Geschlechterverhältnisse in den einschlägigen Formationen nur noch als peinliche Anbiederung an den Zeitgeist angesehen werden muss.(1)

Texte, welche die aufgezählten drei Aspekte respektieren – die Widerspiegelung einer gesellschaftlichen Entwicklung, die Geschlechtsneutralität einer Rolle und das Einkalkulieren realer Zahlenverhältnisse, was zum Beispiel rechtfertigt, von Richterinnen statt von Richtern zu sprechen, da die überwältigende Mehrheit der in diesem Beruf Tätigen inzwischen weiblichen Geschlechts ist – werden wohl niemals Gegenstand einer Ablehnung sein, wie sie die Bevölkerung zu 80 Prozent dem sogenannten Gendern entgegenbringt.


2.
Damit jedoch ist die Suche nach dem Irritierenden einzugrenzen auf die Symbole des Schrägstrichs, des Binnen I, des Sternchen, des Gender Gaps und des Doppelpunkts, Zeichen, die, wie im oben zitierten Text auf der Homepage der Universität Innsbruck, auch dort eingesetzt werden, wo abseits jeden konkreten Sinnzusammenhangs eine im weitesten Sinne Geschlechterdifferenz und damit eine fiktive Unterdrückung der Frau durch den Mann imaginiert werden kann.

Das Unangemessene bei der Verwendung dieser Symbole ist die radikale Verweigerung, auf den jeweils konkret abgehandelten inhaltlichen Aspekt eines Textes oder einer Rede einzugehen. Vielmehr wird dieser mit einem davon unabhängigen Sinnzusammenhang überlagert.

Dass der aktuelle Zeitgeist dabei auf bedeutende Vorbilder in der Geschichte verweisen kann, geht neben den Bemühungen von Kaiserhäusern und Kirchen, welche ihre Exklusivität in der Sprache durch Großschreibung oder spezifische Adjektive durchzusetzen vermochten, sehr eindrucksvoll aus dem Werk Die Sprache des Dritten Reichs, Beobachtungen und Reflexionen aus LTI ( Lingua Tertii Imperii – Anmerkung des Autors) von Victor Klemperer hervor.(2)

Nicht nur die Vorliebe für Abkürzungen (SS, SA, HJ, BDM etc.), die offenbar auch von den heimischen Universitäten der Gegenwart, siehe DK, geteilt wird, kennzeichnet die Versuche des Dritten Reiches, sich als alternativlos im täglichen Sprachgebrauch zu implementieren. Worte wie Rasse, Arier, Judenstern, Jüdischer Krieg, Volljude, Privilegierter, Halbjude, Mischling und vieles mehr begleiteten sprachlich die Katastrophe des Holocaust und überlebten noch jahrzehntelang die Nachkriegszeit bis heute.


3.
Ursprünglich war ich der Ansicht, dass nur ein emanzipatorisch gut gemeintes, in Wahrheit jedoch absolut unsinniges Gesetz die Macht haben könne, der akademischen Elite des Landes dadaistische Texte wie den eingangs zitierten aufzuzwingen.

Auf eine entsprechende Nachfrage beim Rektorat der Universität Innsbruck hin, um welches Gesetz es sich dabei handele, antwortete jedoch Mag. Uwe Steger vom Büro für Öffentlichkeitsarbeit mit einer gewissen für seine Institution typischen Süffisanz, dass ich offenbar einer klassischen Ente aufgesessen sei:

Es gibt an unserer Universität keine speziellen Erlässe, Verordnungen oder Vorschreibungen in der von Ihnen skizzierten Form. Als Einrichtung des Bundes halten wir uns jedoch selbstverständlich an die entsprechenden Empfehlungen und Vorgaben des Bundeskanzleramts bzw. der Bundesverfassung.

Dabei ist hervorzuheben, dass in der zitierten Empfehlung des Bundeskanzleramtes im Hinblick auf die sprachliche Gleichbehandlung von Männern und Frauen die von einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung als provokant empfundenen oben angeführten Sonderzeichen mitnichten im Zentrum von Empfehlungen stehen, welche die Gemeinverständlichkeit von Texten einfordern, sondern lediglich als mögliche Varianten kurz Erwähnung finden.

Dies bedeutet jedoch, dass unsere Universitäten und unsere Lehrerschaften, die sich vor lauter Gendern nicht einkriegen, ohne Not, also vollkommen freiwillig die Indienstnahme der Sprache und dadurch die Behinderung eines ungestörten Lese- und Sprachflusses, aber auch einer ungestörten Sinnvermittlung in Kauf nehmen. Warum stellen sich ausgerechnet unsere akademischen Eliten nicht die Frage, ob der zeitgeistige Feminismus – angesichts der zumindest in Mitteleuropa bereits großen Fortschritte im Hinblick auf die Emanzipation der Frau – nicht längst totalitäre Züge angenommen hat und das Dogma der Unterdrückung durch den Mann zum Medium einer Selbstviktimisierung missbraucht, um damit ganz andere, mit Emanzipation nur in loser Verbindung stehende Machtinteressen durchzusetzen.

Beliebt ist das Gendern aber auch außerhalb der Universitäten, und das ausgerechnet in reaktionären und dem Gestern verhafteten Gesellschaftskreisen, was etwa im Falle des Österreichischen Blasmusikverbandes in einem meiner eigenen, von der Redaktion der österreichweiten Vereinszeitung ÖBZ verschlimmbesserten Artikel dazu geführt hatte, dass durch die hirnlose Einführung des weiblichen Genus plötzlich im 19. Jahrhundert Kapellmeisterinnen in Garnisonen einrückten und später im Dorf ihres Amtes walteten, ein historischer Unsinn. Oder dass in einem Buch, das im stockkonservativen Tyrolia Verlag erschien und von einem ebenso stockkonservativen Blasmusikkomponisten aus Osttirol handelt, die Einwohnerzahl Osttirols plötzlich aus 54.000 Osttirolerinnen und Osttirolern besteht. (3)

Vielleicht wäre es angebracht, dass unsere Universitäten zeitnah ein eigenes Institut gründen, um der Frage nachzugehen, ob es Eitelkeit ist oder die Angst um die Reputation, verblasene Abgehobenheit oder die Chance, sich billig als fortschrittlich zu gebärden, um hinter dieser Fassade umso ungestörter rückschrittlich zu sein, ob es Feigheit ist oder schlechtes Gewissen ob der Irrelevanz der eigenen Tätigkeiten oder doch nur die gut gemeinte Karl Kraus´sche Verblendung, die Gesellschaft über die Sprache zum Guten zu wenden – was es also sein könnte, dass sich ausgerechnet die Geisteseliten eines Landes einer Anbiederung an den Zeitgeist hingeben, durch die sie gegen den Willen der Bevölkerung, von deren Steuergeldern sie leben, die Veredelung des Deutschen von Luther über Goethe bis hin zu den zeitgenössischen Sprach-Virtuosen rückabzuwickeln versuchen.

1 Georg W. Bertram / Michael Rüsenberg: Improvisieren. Lob der Ungewissheit. Reclam 14164
2 Victor Klemperer: Die Sprache im Dritten Reich. Beobachtungen und Reflexionen, Reclam 14065
3 Peter Kostner: Florian Pedarnig. Dem Land Tirol die Treue. Ein Leben für die Musik. Tyrolia Verlag 2022

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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