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Helmuth Schönauer bespricht:
Hellmut Bruch
"Licht und Unendlichkeit".

Am besten liest man Bücher über Hellmut Bruch im Freien, denn die abgebildeten Zeichen und Texte brauchen Luft, um das zu ermöglichen, was den Künstler ausmacht: Progression.

Hellmut Bruch verdankt seine Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit der Realisierung von Progression. Diese mathematische Operation kann üblicherweise nur als Kalkulier-Maßnahme durchgeführt werden. Grob gesprochen handelt es sich dabei um einen Rechenvorgang, der als Ergebnis so etwas wie den goldenen Schnitt zu Tage fördert. Für das gemeine Volk ist die Progression unter dem coolen Ausdruck „Steuerprogression“ bekannt, dabei erhält der damit Beglückte immer weniger netto, je mehr er brutto arbeitet.

Hellmut Bruch kümmert sich schon seit Jahrzehnten um seine Progression, dabei setzt er die Materialien Stahl, Glas und Acryl in progressive Schwingung. Eine Skulptur in freier Natur aufgebaut, wird von dieser in Schwingung gebracht.

Ähnliches geschieht auch mit Graphiken, die im Buch in Aufregung geraten, sobald dieses geöffnet wird. Aus diesem Resonanzverhältnis zur Umgebung erklärt sich die Notwendigkeit, warum man das Buch im Freien lesen sollte.

„Licht und Unendlichkeit“ ist vordergründig ein Geburtstagsgeschenk zum 85er, in der Hauptsache aber der dritte Teil der Bruch-Verfestigung, wie man die Aufsätze, Thesensammlungen und Werkabbildungen bezeichnen könnte. Letztlich sind die drei Bücher unverzichtbarer Bestandteil des Werkes. Ohne die Beschreibungen, Vermutungen und Erklärungen der Fachleute wäre die Arbeit nicht vollständig. Der Künstler hat seine Materialien nämlich als KFZ-Handwerker studiert und sie vorerst in irdischen Berufen angewendet. Gleichzeitig sind im Atelier ständig theoretische Überlegungen zum Material entstanden, die wortlos in Kunst transformiert worden sind.

Hellmut Bruch spricht durch das Material, wenn er über seine Kunst spricht. Es bleibt dem Publikum überlassen, mit einer Metasprache das Geschaute zu dokumentieren. In einem kühnen Vergleich könnte man sagen: Er kümmert sich um Licht und Unendlichkeit wie beim Bau einer gotischen Kathedrale, nur dass er diese weglässt. Das Begreifen der Kunstwerke mündet selbst in eine Progression, die man als das Voranschreiten mit Zugewinn interpretieren könnte.

Der für sich selbst sprechende Bildband ist mit sechs Aufsätzen hinterlegt, die wesentliche Elemente des Lebenswerkes herausarbeiten und beleuchten.

Günther Dankl weist darauf hin, dass die Werkbescheibungen ähnlich dynamisch zu sehen sind wie das Werk selbst, die drei Meta-Konvolute (Bruch 1969-2011 | Für Bruch 2016 | Licht und Unendlichkeit 2021) überlappen sich, bauen auf einander auf, und nehmen dazu immer das Gesamtwerk als Anlass für die Reflexion. Früh- Haupt- und Spätwerk werden so zu einer Einheit, die der Biographie des Künstlers entspricht.

Markus Neuwirth erklärt anhand einer Gästebucheintragung, die ein aufgeschnittenes Ei zeigt, wie das Offene aus dem Material heraussteigt, ohne es zu verlassen. Eine schwere Stahlarbeit aus der Frühzeit dient dabei als Beleg, wie durch die Gestaltung von Stahlblättern zu einem offenen Buch das Trägermaterial geöffnet wird.

Andreas Hapkemeyer stellt in seinen Anmerkungen eine Verbindung zu den Wort-Skulpturisten Gomringer und Gappmayr her, und erklärt anhand der Fibonacci-Progression die unausgesprochene Arbeitsweise des Künstlers.

Gaby Gappmayr widmet sich der Ästhetik des Affirmativen und erläutert anhand des diffizilen Vorgangs der Materialwahl, wie eine bestimmte Stahlsorte bestimmte Emotionen auslöst.

Peter Quehenberger räsoniert als Physiker über das Licht, welches Welle und Teilchen sein kann, aber nicht beides zugleich. Er nennt seine Überlegungen „nüchtern betrachtet“, weil das Licht automatisch in das Reich des Rausches führt, wenn es philosophisch eingesogen wird.

Wolfgang und Hildegard Neuner stellen die Kunst des offenen Lichtmeisters anhand seiner Plakate vor. Hellmut Bruch hat nämlich alle seine Ausstellungen mit Plakaten begleitet, die er meist selbst entworfen hat. Im Bild der Literatur gesprochen handelt es sich um eine Sammlung von Klappentexten, die ein Schriftsteller im Idealfall selbst verfasst.

Man schaut und schaut, und die Stimmung wird besser, egal von welchem Empfindungspegel aus man gestartet ist. Vieles lässt sich nicht aussprechen, was so beim Bruch-Schauen passiert. Aber eines ist gewiss: Es geht immer in Richtung Licht, sprich: Optimismus.

Hellmut Bruch: Licht und Unendlichkeit. Mit Texten von Günther Dankl, Gaby Gappmayr, Andreas Hapkemeyer, Wolfgang und Hildegard Neuner, Markus Neuwirth und Peter Quehenberger. Abb.
Wien, Bozen: folio 2021. 184 Seiten. EUR 29,-. ISBN 978-3-85256-846-1.

Hellmut Bruch, geb. 1936 in Hall, lebt in Hall in Tirol.


Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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