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Elias Schneitter
Zerstörung und Vernichtung ist alles!
Notizen

In meiner Gymnasialzeit wurden wir von unserer Lehrerschaft sehr auf kritisches Bewusstsein und selbständiges Denken geschult. So zum Beispiel wurden wir im Deutschunterricht stets aufgefordert, nach der Lektüre von Weltliteratur auch unsere kritischen Bemerkungen zu formulieren.

Eine kurze Zeit versuchte ich mich recht erfolglos als Student an der Universität. Damals, Mitte der 1970-er, geisterten auch bei uns in der Provinz noch die Achtundsechziger herum. In der Eingangshalle verteilten jede Menge radikal linker Gruppierungen (Marxisten, Trotzkisten, Leninisten, Maoisten) ihre Flugblätter mit der Forderung nach einem revolutionären, gesellschaftlichen Umsturz. (Interessanterweise konnte man viele der damaligen Protagonisten dann Jahre später als Direktoren von Banken und Versicherungen oder als hohe Beamte entdecken – eben der Marsch durch die Institutionen!)

In dieser Zeit und unmittelbar danach – zumindest hab ich das so wahrgenommen – hat es begonnen, dass sich zahlreiche Bürgerinitiativen formierten. Gegen Atomkraft, gegen Autobahnen, gegen Naturzerstörung, gegen den Obrigkeitsstaat etc. Man hatte den Eindruck – und das ist ja nicht von der Hand zu weisen – dass jener, der Kritik übt, auch im Recht ist.

Mit der Verbreitung von Social Media, so kommt mir vor, hat sich das kritische Verhalten völlig verselbstständigt. Es wird munter drauflos geschimpft, diffamiert, wild aufeinander eingedroschen ohne Rücksicht auf Verluste. Dabei geht es nicht um Diskussion, sondern um Rechthaberei.

Eine differenzierte Betrachtung ist nicht gefragt. Fundamentalkritik auf Teufel komm raus. Dabei sitzen die vermeintlichen Obermoralisten zumeist recht gemächlich und fußfrei – und ohne irgendwelche Konsequenzen fürchten zu müssen – in der ersten Reihe. Es gibt nur noch Trottel und A…löcher, besonders in der Politik, was noch die freundlicheren Bezeichnungen sind. Natürlich ist man nicht bereit, selbst in den Ring zu steigen. Harsche Kritik ist der einzige Beitrag, den man zu leisten bereit ist. Viele glauben, mit Fundamentalkritik auf der sicheren Seite zu sein, also unangreifbar.

Oft habe ich den Eindruck, dass es heute nur noch darum geht, jede Idee, jede Neuerung, jede Aussage, sofort zu vernichten. Es scheint, dass der Großteil der Energie dafür verwendet wird, aufzuzeigen, warum etwas nicht funktionieren kann, anstatt konstruktiv zu argumentieren und etwas vorwärtszubringen.

Zerstörung und Vernichtung ist alles!

Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. In https://www.derstandard.at, mithin der Online-Version des STANDARD, ist – seit 28. Mai 2021 – ein Beitrag mit dem Titel „Gschissenes Arschloch: ÖVP-Politiker Hanger fordert Entschuldigung von Brandstätter“ zu finden. Der Nationalrat (NEOS) und Doktor iuris Helmut Brandstätter, weiland (1977-79) ÖH-Vorsitzender an der Uni Wien, hat sich demnach zu dieser „netten“ Charakterisierung bemüßigt gefühlt.

    Traurig und beschämend genug, aber ebenso bedenklich und demaskierend sind die nicht gerade seltenen Meinungen von (beinahe immer anonym bleibenden) Teilnehmern des an diesen Artikel angefügten Forums, in dem teils vehemente Zustimmung zu dieser Wortwahl geäußert wird. Dabei sollte man wissen, dass sich in diesem Forum bis zum 29. Mai, 21.30 Uhr, sage und schreibe 2.323 Leser zu Wort gemeldet hatten!

    Ich „konnte nicht anders“ und habe dort ebenfalls eine Wortspende von Stapel gelassen und das Folgende geschrieben:

    „Wer sich derart ultraprimitiver Ausdrücke bedient, beweist die eigene charakterliche — und bis zu einem gewissen Grad auch intellektuelle — Inferiorität.

    Dass in eben nicht wenigen Kommentaren Verständnis für diese Wortwahl geäußert wird, erachte ich als Beleg für die zunehmende verbale Brutalisierung von Teilen der Gesellschaft.

    Ich weiß – Appelle kommen nicht gut an; dennoch: Gutes Benehmen soll kein Auslaufmodell sein! Oder bin bloß ICH, ein Angehöriger der 70+ Generation, in dieser Hinsicht „aus der Welt gefallen“?“ ZITATENDE.

    Damit will ich, sehr geehrter Herr Schneitter, kundtun, dass Sie – leider! – mit Ihrer Kritik Recht haben…

    Beste Grüße,

    Ronald Weinberger, Zirl

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