Christoph Themessl
Die Gesprächsverweigerer
Ergänzung zu Alois Schöpfs Beitrag
„Verpflichtung zum Miteinander“
Notizen

Ich bin zwar nicht unbedingt der Ansicht, dass es eine Verpflichtung zum (gesellschaftlichen) Miteinander gibt, wie Kollege Alois Schöpf dem Philosophen John Stuart Mill entnimmt, aber es steht zweifelsfrei fest, dass der Mensch (wie übrigens die meisten anderen Tiere) ein soziales Wesen ist und lautliche Übereinkünfte, Zeichen, Kommunikation die Fäden zum persönlichen, verbindlichen Band zwischen den Individuen knüpfen (auch dies dürfte für die meisten anderen Tiere gelten).

Dass dieses Band in der modernen Anonymität der Gesellschaft beschädigt ist, hat schon Konrad Lorenz bemerkt, und ein Soziologe wie Richard Sennet hat in den Siebzigern der Problematik eines falschen Individualismus, der aus Konsum, Recht auf Privatsphäre und eben Anonymität besteht, sein mächtiges und einflussreiches Hauptwerk gewidmet (Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Anonymität, 1977).

Dann kam noch Corona hinzu, wie Alois Schöpf bemerkt. Freundschaften zersplitterten, ideologische Mauern wurden noch gründlicher errichtet. Bestimmt hat auch die österreichische Regierung mit ihrem autoritären Auftreten, ihren fast diktatorischen Erlässen, welche in manchen politischen Gesichtern sogar eine Spur sadistischer Freude verrieten, wie mir persönlich zumindest schien, vieles falsch gemacht. Und dass sich hernach herausstellte, wie viele Millionen und in Summe Milliarden an bestens Betuchte an Corona-Hilfen gingen, hat den einfachen und wichtigen Glauben des Bürgers an Gerechtigkeit und Rechtsstaat, der ohnehin schon längst erschüttert war, gewiss nicht bestärkt. 

Wenn hierzulande so viele Menschen an der Objektivität oder, was noch schlimmer ist, am guten Willen der Justiz zu Objektivität zweifeln, und der Ansicht sind, dass die da oben es sich schon richten, so darf man das als direkten Ausdruck gefühlter Ohnmacht und tiefer Verdrossenheit verstehen. Was auch immer ich tue oder sage (schreibe), es wird nichts ändern, es hat keinen Einfluss auf den Verlauf der Dinge.

Dennoch glaube ich nicht, dass hier die Hauptgründe dafür liegen, dass Gegensätze nicht mehr ausdiskutiert werden, wie Kollege Schöpf es fordert. Mit politischem Frust stehen wir in Österreich nicht alleine da. Ungleichbehandlungen allerlei Art, Entlohnungsungerechtigkeit, elitäre Freunderlwirtschaft usw. gehören weltweit zum politischen und gesellschaftlichen Alltag und prägen – oder leider muss man inzwischen fast sagen prägten – gerade in einem Land wie Österreich den typischen Wirtshaus-Stammtisch-Diskussions-Flair. Denn worüber sonst, wenn nicht über die Korruption, hätte man Witze reißen, sich anschreien oder auch gegenseitig beipflichten sollen? Der Niedergang der Wirthausstammtisch-Kultur darf durchaus auch als ein Symptom der kriselnden Demokratie betrachtet werden.

Reden sollte dem Menschen eigentlich eine Freude sein. Das wird zu oft vergessen. Mehr noch als die anderen Tiere charakterisiert uns das Sprechen. Als redendes Lebewesen hatte Aristoteles den Menschen definiert, Haus des Seins nannte Heidegger die Sprache, in ihrer (der Sprache; Anm.) Behausung wohnt der Mensch. Ein Mensch ohne Sprache wäre vergleichbar einem Vogel ohne Flügel, einer Katze ohne Tatzen. Wenn basale, konstituierende Funktionen verkümmern, droht der Gattung der evolutionäre Rückwärtsgang, sie retardiert auf ein früheres Stadium ihrer Entwicklung. Ob ein solcher Prozess beim Menschen wirklich schon eingesetzt hat, lässt sich in so kurzer Zeit nicht sagen.

Aber wo ist die Freude an der Kommunikation, am guten Argument, am ironischen Sprachspiel, am bösen Witz hin? John Stuart Mill, ein echter Super-Individualist des 19. Jahrhunderts, verwehrte sich meines Wissens gegen staatliche Eingriffe in die schulische Bildung des Volkes. Der Staat sollte für soziale Gerechtigkeit und Schutz der Bürger sorgen, aber kein vereinheitlichendes Bildungsprogramm vorschreiben (da sonst das Individuum auf der Strecke bliebe). 

Das ist uns heute, wo in den Schulen längst derselbe Stoff gelehrt werden muss und die Universitäten mit ihren streng vordefinierten Studienprogrammen und Lernergebnissen selbst verschult sind, unvorstellbar. Vielleicht ist es die Langeweile an monotonen, staatsgetreuen Nachrichten, die Sinnlosigkeit und Anti-Sinnlichkeit des Tratsches in den sozialen Medien, die alltägliche Bevormundung durch Technologie und Wissenschaften, die Digitalisierung der Wirklichkeit bei gleichzeitiger Zerstörung der Natur, ein Leben vor omnipräsenten Überwachungskameras, zwischen Radarfallen und verlässlich die Häuserblocks und Fußgängerzonen abfahrenden Polizeiwägen – ein Dasein in unabänderlichen Schablonen der Bürokratie, welche den Verdruss an lebendiger Kommunikation in die Wege leitete?

Auf jeden Fall aber ist es brandgefährlich, wenn wir Wort und Gehör nur noch Politikern, Wissenschaftlern und Juristen überlassen und schenken. Keine Demokratie ohne Diskussion. Die Fachtrottel aller Arten sind gar nicht immer so klug, wie es gerne den Anschein hat. 

Von daher, in diesem Sinne, ist es eine Verpflichtung, die Dinge auszudiskutieren, wie Herr Schöpf meint. Mehr Mut zur eigenen Meinung, auch wenn man immer wieder falsch liegt, ist das, was man der Gesellschaft wünschen möchte. Es geht nicht um die Wahrheit, es geht nicht um das letzte Wort, es geht um den Kompromiss, der im Sinne von Aristoteles ein bestmögliches Zusammenleben der größtmöglichen Anzahl erreicht.

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Christoph Themessl

Christoph Themessl, Dr., geb. 1967 in Innsbruck, ist Schriftsteller, Philosoph und Journalist. Er arbeitete für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften und war mit seiner Firma PR-Zeitungen Themessl als Magazin-Produzent fünfzehn Jahre lang selbständig. Zu seinen Publikationen zählen: „Der Tod kann warten“ (Roman; 1997), „Bewusstsein und Mängelerkenntnis; Philosophische Psychologie für die Praxis“ (studia Verlag, 2013), „Als die Seele denken lernte“ (studia Verlag, 2016) und „Sinn- und Sinnlosigkeit. Die Entscheidung des philosophischen Praktikers“ (LIT Verlag, 2021). Themessl betreibt in Lans eine philosophische Praxis namens „Safe House – das Sorgendepot“ und arbeitet in der Behindertenhilfe des Landes Tirol.

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