Alois Schöpf
Gescheiter als Shakespeare, Mozart, da Ponte und Nestroy
Apropos

Durch die Aufführungen in Bregenz, Verona, Salzburg, München und in den eigenen Häusern in Innsbruck und Erl inklusive der Festwochen der Alten Musik ist das reisefreudige Tiroler Publikum sehr theatererfahren. Die Ursachen, dass es nach einer ersten Erkundungsphase vom Landestheater in diesem Ausmaß abgewandert ist, sind also ernst zu nehmen und können nicht auf einen Konflikt zwischen der Intendantin und dem Finanzdirektor reduziert werden, wobei letzterer ja nur seiner Aufgabe nachkam, vor einer finanziellen Schieflage zu warnen.

Die Ursachen sind, zumindest aus meiner Sicht, neben der globalisierten Medienkonkurrenz, die allen Theatern zusetzt und sie zugleich durch ihren Livecharakter massiv aufwertet, mit einem Wort zu umschreiben: mit “Regietheater” – jene speziell im deutschsprachigen Raum nun auch in die Provinz verschlagene künstlerische Selbstüberhebung, die nur möglich ist, weil die einschlägigen Institutionen hierzulande zu 80 Prozent von Subventionen leben und ihre Einnahmen nicht selbst erwirtschaften müssen.

In diesem vom Steuerzahler geschaffenen Freiraum haben sich nun Leute breit gemacht, die sich, frei nach Schiller, als Angestellte einer moralischen Anstalt begreifen und ihre Aufgabe darin sehen, das dumme Publikum mit Methoden zu belehren, die Autoren und Komponisten, sofern sie überhaupt noch notwendig sind, zur Knetmasse eines zeitgeistigen Predigertums machen.

Statt, wie es etwa in der Musik üblich ist, die Frage zu stellen, was Autoren von Theaterstücken oder Komponisten von Opern ausdrücken wollten und dies dann unter optimalen Bedingungen dienend und werktreu umzusetzen, halten die RegisseurInnen des Regietheaters sich mit ihren oft öden Ideen für gescheiter als die Genies der Literatur- und Musikgeschichte.

Letzteres sah das Publikum vollkommen anders. Daher ist es in Scharen davongelaufen.

Erschienen in der Tiroler Tageszeitung vom 14.09.2024

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 10 Kommentare

  1. Gert und Rosmarie Fankhauser

    Lieber Hr. Schöpf,
    wieder einmal haben Sie nicht nur einen, sondern unzählige „Nägel“ auf den Kopf getroffen.
    Ich kann Ihnen gemeinsam mit meiner Gattin nur versichern, wie sehr uns dieses“ Regietheater“ auf die Nerven geht. Wir empfinden es regelrecht als zerstörerisch, der Zauber des Theaters geht verloren.
    Herzlichen Dank.
    Liebe Grüße und auch zum wiederholten Mal: Bleiben Sie uns möglichst lange erhalten.

  2. Ulrike Lob

    Sg. Herr Schöpf!
    Wenn ich so brillant wie Sie formulieren könnte, wären das meine Worte! Die selben Gedanken habe ich schon seit vielen Jahren, denn ich habe keine Lust mehr, mich im Theater veräppeln zu lassen.
    Bei der wunderbaren romantischen Oper „La Boheme“ das gesamte Bühnenbild auf eine graue Ziegelwand zu beschränken u. bei der „TOSCA“ dem Publikum im Hintergrund eine Autobahnschleife mit permanent aufblitzenden Scheinwerfern zuzumuten, ist einfach letztklassig.
    Und wer möchte schon in einem Shakespeare Stück einen Schauspieler sehen, der in der rosa Badehose über die Bühne radelt? Das Publikum läßt sich solche Entgleisungen leider schon viel zu lange gefallen!
    Moderne Interpretation hin oder her, es ist einfach inakzeptabel, dass die Regisseure sich heutzutage offensichtlich für Gott Vater halten u. sich auf Grund ihrer Selbstüberschätzung über jedes klassische Stück gnadenlos hinwegsetzen.
    Der Regisseur sollte meiner Meinung nach ein Diener des Stückes sein, sein übersteigertes Geltungsbedürfnis im Hintergrund halten u. versuchen, das zu verwirklichen, was der Komponist oder der Dichter mit seinem Stück ursprünglich sagen wollte.
    Eine Vorgabe der Theaterdirektion in Richtung einer vernünftigen Regie u. etwas mehr Demut der Regisseure wäre heutzutage dringend nötig und würde sicher helfen, das Publikum zu erfreuen. Es tut offensichtlich nicht gut, wenn man den Regisseuren vollkommen freie Hand lässt. Hauptsache neu, unkonventionell, anders u. möglichst schräg ist auf die Dauer wohl kein Rezept für die Zufriedenheit des Publikums.

  3. Bernhard Moll

    Sehr geehrter Herr Schöpf,
    ich habe Ihnen den Ausrutscher von der 10., oder war es die 11. KW – Sie wissen schon, Hallo FPÖ und so weiter – ja längst verziehen.
    Um so mehr freue ich mich heute über Ihr Apropos, in dem Sie diesen Angestellten einer moralischen Anstalt, wie Sie sagen, mit sensationeller Intellektualität und Eloquenz eine Lehrstunde erteilen. Alleine die Wortwahl – Knetmasse eines zeitgeistigen Predigertums –
    ist schon beinahe nobelpreisverdächtig.
    Fragt sich nur, ob die Adressaten, überhaupt etwas kapieren.

  4. Andreas Haller

    Sehr geehrter Herr Schöpf, lieber Alois
    Mit deinem heutigen „Apropos“ hast du wieder einmal voll ins Schwarze getroffen.
    Wie so viele andere Abonnenten hat auch meine Frau Ihr Abo angesichts des „zeitgeistigen woken Predigertums“ gekündigt.
    Ich freue mich um so mehr über deine Worte, als ja auch die gesamte TT-Redaktion von diesem Zeitgeist getrieben ist. Der TT-Gründer KR Stephan Moser würde angesichts der heutigen Blattlinie wohl im Grab rotieren.

  5. Manfred Malli

    Sehr geehrter Herr Schöpf,
    Wir lesen Ihre Artikel regelmäßig, aber dieser letzte spricht uns so aus der Seele, dass ich zurück schreibe.
    Wir sind auch „davongelaufene“, und teilen Ihre Meinung zu 100%.
    Leider wird es so sein, dass der Finanzdirektor keinen neuen Vertrag mehr bekommen wird.
    Diese zur Selbstüberhebung neigende Intendantin wird uns erhalten bleiben.
    Schade, wir wären gerne wieder ins Theater gegangen, um uns einen schönen, feierlichen Abend zu machen, oder uns einfach nur gut zu unterhalten.
    Ihnen jedenfalls großen Respekt, sie haben sicher nicht nur mir aus der Seele gesprochen.
    Mit freundlichen Grüßen

  6. Helmut Leisz

    Sehr geehrter Herr Schöpf –
    HERZLICHE GRATULATION zu ihrem Beitrag – das Tiroler Landestheater betreffend! Sie schreiben auch unsere Gedanken perfekt nieder! Schon die „Ära Dominique Mentha“ zeigte auf, wie schnell es mit den Publikumszahlen bergab
    gehen kann – wenn „Mann“ ( … jetzt „Frau“) nur provozieren und belehren will! Ein Kulturgenie wie der grüne Bürgermeister G. Willi aber auch die „kompetenten Leute“ in der Landesregierung haben wohl das gegenwärtige Desaster zu verantworten ….! Aber da hört der interessierte Theaterfreund nichts – jetzt sind´s alle schmähstad! Das war wohl ein satter Griff ins Fettnäpfchen – diese Intendantinnenwahl!

  7. Helmut Dworak

    Werter Herr Schöpf!
    Herzlichen Dank für Ihren scharf analysierten und brillant formulierten Beitrag zum leidigen und peinlichen Thema Landestheater.
    Treffender geht’s nicht!
    Mit freundlichen Grüßen

  8. Wolf Gschwandtner

    Sehr geehrter Herr Schöpf,
    mit „Gescheiter als Shakespeare,….“ haben sie, wie meist, den Nagel auf den Kopf getroffen.
    Ich denke mir oft, wenn es nur ein Gremium gäbe, das unsere ehrwürdigen Komponisten der Vergangenheit vertreten und Inszenierungen, die sich total vom Werk entfernen, verbieten könnte. Es geht ja beim Regietheater so weit, dass der Text überhaupt nicht mehr zur Inszenierung passt, wenn ich z.B. an eine Elektra denke, wo eine moderne Wohlstandsgesellschaft ständig mit ihren Handys hantiert und von „Prinzessin“ und „Tetrarch“ gesungen wird. Peter Stein, verantwortlich für den wunderbaren Simone Boccanegra in Wien, soll gesagt haben: „Inzwischen kann ja am Theater jeder machen, was er will, aber in der ganzen Welt wird das deutsche Regietheater verlacht“.
    Wenn das stimmt, kann man nur hoffen, dass dies endlich Konsequenzen nach sich zieht, damit man wieder Freude daran hat, sich eine Oper anzuschauen, ohne befürchten zu müssen, dass sie durch die Regie total entstellt ist. Besonders ärgerlich ist es, wenn man eine Einführung des Regisseurs braucht, um seine Deutung des Werkes zu verstehen.
    Interessanterweise gibt es an der Met, von der man ausgewählte Opern im Metropol sehen kann, keine solchen Exzesse bei den Inszenierungen. Das wird wohl an der privaten Finanzierung liegen.

  9. Christoph Rohrbacher

    Hallo Alois!
    Was ich auch noch loswerden will/muss, nachdem ich die Ankündigung zum schoepfblog gesehen habe: das Regietheater per se ist KEIN Krebsübel. Regie ist am Theater dringend notwendig – es braucht eine gemeinsame Interpretation des Textes, sonst „zerfleddert“ das! Und eine gute Interpretation kann etwas ganz Tolles sein, besonders wenn man im Theater auch gerne mal mitdenkt.
    Die Frage ist, wo endet das „gute“ Regietheater? Meiner Meinung nach da, wo RegisseurInnen ein eigenes Stück zusammenbasteln und etwas hineinlegen wollen, was der Text einfach nicht hergibt.
    Wenn das seriös ausgewiesen ist, so wie diesen Sommer in Salzburg die Orestie 1-4, die bereits als Kompilation aus vier Stücken angekündigt war, dann kanns „durchgeh‘ n“, dann habe ich auch eine andere Erwartungshaltung. Die Orestie hat mir durchaus gefallen, stellenweise sogar sehr gut, aber es war als „Grenadiermarsch“ ausgewiesen.

  10. Thomas Gasser

    Sehr geehrter Herr Schöpf,
    zu Ihrem Beitrag in der TT am SA 14.09.2024 meine volle Zustimmung.
    Es ist bedauerlich, dass die Kulturverantwortlichen es als notwendig angesehen haben, dem Kult des sinnentleerten Regietheaters nun auch hier am TLT eine große Bühne bieten zu wollen. Ein wenig „sich umschauen“ hätte eigentlich ausgereicht, die dadurch landauf landab ausgelöste Publikumsvertreibung zu bemerken.
    Schade um unser schönes TLT ist es allemal. Dass Neues ausprobiert wird und Veränderung bereichern kann, ist das eine, alles bisher Aufgebaute – das gilt ganz besonders für die Opernsparte – über Bord zu werfen, ist das andere.
    Für diese unglückliche Entscheidung ist jetzt natürlich wieder niemand verantwortlich, die Absurdität einer „professionellen Supervision“ für die kollegiale Theaterleitung ist schwer zu toppen. Die Kosten für diese bekanntermaßen nicht billigen Berater darf natürlich wieder … der Steuerzahler übernehmen. Danke! Alles Gute

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