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Elias Schneitter
Ein gutes Pferd zieht noch einmal.
Fortsetzungsroman
Folge 8
Konkurs und neuer Lebenswille

Zwei Menschen auf der Suche nach etwas Glück. Eine Geschichte, getragen von Elias Schneitters – bei aller kritischen Distanz – warmherziger Empathie für die sogenannten einfachen Leute, denen auch noch unter den schwierigsten Umständen die Möglichkeit eines zuletzt guten Lebens erhalten bleibt.

Hintergrund der Erzählung ist die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Krieg. Die Ehe der beiden Hauptpersonen steht unter keinem guten Stern. Trotzdem stellen sie sich den Fährnissen des Schicksals, getrieben von der Sehnsucht nach einem halbwegs menschenwürdigen Dasein, nach etwas Wohlstand, vor allem aber nach ein wenig Freundschaft und Liebe.


8. Kapitel

Ein Jahr nach meiner Geburt übernahm mein Vater die Tischlerei des Großvaters. Die Auftragslage war recht ordentlich und zeitweise beschäftigte mein Vater bis zu zehn Gesellen und Lehrlinge.

Damals begann die Wirtschaft anzuspringen. Besonders der Tourismus, oder der Fremdenverkehr, wie man damals noch sagte, brachte einen Aufschwung mit sich. Mein Vater war in wirtschaftlichen Dingen kein begnadeter Mensch. Dafür war er zu vertrauensvoll und zu großzügig und ohne die notwendige Härte, die einen erfolgreichen Selbständigen ausmacht. Vater war ein Arbeitstier, aber kein Unternehmertyp.

Bei seinen Angestellten war er sehr beliebt. Er erlaubte ihnen großzügig, in den Abendstunden und an den Wochenenden schwarz zu arbeiten. Vater verlangte für die Verwendung von Materialien oder die Benützung der Maschinen meistens nichts. Passt schon, meinte er, geht schon in Ordnung.

Was materielle Dinge anging, war mein Vater ein selbstloser Mensch. Besitz bedeutete ihm wenig. Wenn ihm etwas wichtig war, dann, dass er von den Menschen geschätzt wurde. Darum war es mit der Tischlerei nur eine Frage der Zeit, bis sie in Schieflage geriet, obwohl die Auftragslage zufriedenstellend war. Nur machte der Vater den Fehler, dass er bei den Kalkulationen und der Preisgestaltung zu sehr seinen Kundschaften entgegenkam und vor allem – und das sollte ihm schließlich das Genick brechen – die Eintreibung des Geldes alles andere als hartnäckig verfolgte, sich regelrecht davor drückte.

Er verlangte zwar Voraus- und Teilzahlungen, arbeitete aber unverdrossen an einem Auftrag weiter, auch wenn die Zahlungsvereinbarungen nicht eingehalten wurden. Das sprach sich herum. Und das wurde teilweise schamlos ausgenützt.

So hatte er für drei Hotelbauten in Seefeld den Auftrag für alle Fenster und Türen bekommen. Großaufträge, die viel Arbeit für die Tischlerei bedeuteten, nur die Zahlungen der Herren Hoteliers ließen nicht nur auf sich warten, sondern blieben überhaupt aus.

Damals gab es eine gesetzliche Regelung, die besagte, dass eingebaute Gegenstände, wie Türen und Fenster, nicht wieder demontiert werden konnten, auch wenn sie nicht bezahlt worden waren. Das machten sich die drei Hotelbesitzer im Nobelort zunutze und ließen meinen Vater über die Klinge springen.

Jedenfalls sollte mein Vater mit seinem Betrieb zu den seltenen Unternehmern gehören, die trotz guter Auftragslage in den Konkurs schlitterten. Pikanterweise – zumindest aus späterer Sicht – wurde der Konkursantrag von der Tiroler Gebietskrankenkasse, Mutters späterem Dienstgeber, eingeleitet.

Der Vater meines Vaters war zutiefst enttäuscht von seinem Ältesten, wobei ihn vor allem der Hergang (die Geschäftsuntüchtigkeit) besonders aufbrachte. Einmal meinte er ganz außer sich und unter Einfluss von einigem Alkohol, dass es sein Sohn verdienen würde, unter der Brücke zu landen.

Im Dorf wurde über den Konkurs viel gesprochen. Einige hatten auch Mitleid, vor allem mit uns Kindern. Der Großteil attestierte dem Vater Fleiß und Tüchtigkeit, nur war er, wie es allgemein hieß, eben kein Geschäftsmann.

Natürlich wurde auch der Mutter Schuld am wirtschaftlichen Untergang zugeschrieben. Sie hätte sich um nichts gekümmert, wäre nur faul auf ihrer Haut gelegen und mit ihrer Freundin unterwegs gewesen. Und nicht nur mit dieser! – hieß es. Besonders vonseiten der Familie des Vaters stand Mutter häufig in der Kritik. Das Verhältnis sollte nie besonders herzlich sein.

Meinen Vater traf der Konkurs natürlich besonders hart, aber weniger deshalb, weil wir durch die Zwangsversteigerung alles verloren hatten, vielmehr belastete ihn die Tatsache, dass er im Dorf als Versager angesehen wurde, der nicht in der Lage war, einen Betrieb zu führen und für seine Familie zu sorgen. Diese Schmach machte ihm schwer zu schaffen.

Er flüchtete sich häufig in den Alkohol und in Sätze wie diesen: Gott gebe allen, die mich kennen, zehnmal mehr, als sie mir gönnen.

Einmal wurde meine Schwester auf der Straße von zwei älteren Damen angehalten und eine der beiden steckte ihr eine Kleinigkeit zu, während sie zu ihrer Begleiterin sagte: Das ist das arme Kind, wo die Familie alles verloren hat. Meine Schwester verstand diese Frauen nicht und als sie daheim nach dem Sinn dieser Aussage der lieben Damen, die ihr sogar etwas geschenkt hatten, fragte, traf dies meinen Vater so hart, dass er mit den Tränen kämpfen musste.

Der materielle Zusammenbruch stand mit schweren Belastungen für die Familie in Verbindung. Das Haus in der Franz-Plattner-Straße wurde versteigert. Wir mussten ausziehen und fanden beim Bruder meiner Mutter Unterkunft. Vater selbst fand schnell eine Anstellung bei einer Bautischlerei in Kolsass, wo ausschließlich Akkordarbeiten geleistet wurden.

Der Konkurs bedeutete für Mutter einen der wichtigsten Einschnitte. Er war der große Wendepunkt in ihrem Leben. Immer wieder kam sie darauf zu sprechen und stets meinte sie: Der Konkurs war aus heutiger Sicht betrachtet das größte Glück, das mir passieren konnte. Und jedes Mal hellten sich dabei ihre Gesichtszüge auf, wenn sie selbstzufrieden den Satz äußerte. Die Zeit vor dem Konkurs war die unglücklichste Zeit meines ganzen Lebens. Ich lebte in den Tag hinein, ohne Ziel und ohne Motivation.

Sie fühlte sich in ihrer Tristesse gefangen, wusste keinen Weg, um diesem Unglück zu entkommen. Der Konkurs holte sie aus ihrer Lethargie heraus. Mit einem Schlag veränderte sich die gesamte Lebenssituation. Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass sie das Heft in die Hand nehmen musste, wenn sie ihre Familie aus dieser misslichen Lage herausholen wollte, und damit nicht das eintrat, was der Schwiegervater einst prophezeit hatte.

Sämtliche Energien wurden dadurch in ihr aktiviert. Jetzt wusste sie, in welche Richtung die Reise zu gehen hatte, und nichts und niemand sollte sie von ihrem neuen Weg abbringen können. Sie hatte als Kind miterleben müssen, was Armut bedeutet, und das wollte sie ihrer eigenen Familie ersparen. Der Kampf dagegen, das war ihr Ziel. Über das Arbeitsamt wurde sie, da sie über keine berufliche Ausbildung verfügte, als Hilfsnäherin zur Firma Fohringer in der Meraner Straße vermittelt. Dort war es ihre Aufgabe, Teppiche einzufassen und Vorhänge zu nähen.

Die Arbeit bedeutete für sie einen Befreiungsschlag, ihre Apathie war wie weggeblasen, endlich fand sie die Herausforderung, die ihr bisher gefehlt hatte.
Schon nach kurzer Zeit gingen meine Eltern wieder daran, den Bau eines Eigenheimes in Angriff zu nehmen.

Sie erwarben ein Grundstück und unter großen Anstrengungen wurde der Rohbau aufgestellt, aber sehr rasch mussten sie sich eingestehen, dass sie sich übernommen hatten. So musste alles verkauft werden.

Doch das Feuer, für die Familie etwas Eigenes zu schaffen, brannte in beiden und im Gegensatz zu früher zogen sie jetzt an einem Strang und dies öffnete sämtliche Schleusen in ihnen und gab Hoffnung für die Zukunft. Der unbändige Wille ließ sie jede Mühe und jede Entbehrung auf sich nehmen.

Darum starteten sie bald wieder einen neuen Anlauf, sich eine eigene Unterkunft zu schaffen. Die Umstände waren alles andere als einfach. Aber diesmal stand auch etwas Glück auf ihrer Seite. Sie erhielten Unterstützung von der Großmutter mütterlicherseits, die für die Familie ihrer Enkelin großes Mitgefühl empfand.

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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

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