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Alois Schöpf
Die Festwochen der Alten Musik
Bemerkungen zum Tiroler Regierungsprogramm 2022
Kunst und Kultur
Folge 8

Die ersten Konzerte der Festwochen der Alten Musik fanden 1963 und 1964 im Spanischen Saal auf Schloss Ambras statt. Damals regierte noch die Schriftstellerin Lilly von Sauter als Kustodin über die Ambraser Sammlungen und Prof. Otto Ulf, der Gründervater der Festwochen, bat uns Studenten, die wir in den Ferien als Schlossführer tätig waren, am Abend den Einlass zu kontrollieren und fallweise die Plätze anzuweisen.

Ich kann mich nicht erinnern, dass es in den fünf Jahren, in denen ich ab 1969 die Konzerte begleiten durfte, jemals geregnet hätte. Es waren intime, wunderschöne, für ein neugieriges Publikum organisierte Konzerte, bei denen all jene aufmarschierten, die später zu den internationalen Größen der Alte-Musik-Bewegung aufsteigen sollten: ihnen voran Nikolaus Harnoncourt mit seinem Concentus Musicus. Oder Frans Brüggen, der die Flötensonaten von J.S. Bach auf der Blockflöte spielte. Oder Sigiswald Kuijken mit seinem später weltbekannten Orchester „La Petite Bande“. Nicht zu vergessen weitere internationale Stars wie Sir John Eliot Gardiner, Jordi Savall, Ton Koopman, Gustav Leonhardt oder Alan Curtis.

Wir erlebten Künstlerpersönlichkeiten, die den Klassikmarkt nicht nur in Bezug auf die sogenannte Alte Musik revolutionierten. Dem romantischen Klangideal, um nicht zu sagen, dem auf Glätte getrimmten Klangbrei, wie er von Herbert von Karajan in seinen größenwahnsinnigen Selbstinszenierungen präsentiert wurde, wurde plötzlich auf alten bzw. nachgebauten Instrumenten eine auf den einzelnen Musiker konzentrierte Musizierpraxis entgegengesetzt.

Plötzlich signalisierten schräge Töne nicht falsches Spiel, sondern Lebendigkeit. Bisher eher als Generalbass-Kaffeetanten-Musik einzustufende Werke entwickelten  eine fast schon an die aktuelle Popmusik erinnernde faszinierende Rhythmik. Nicht mehr fix angestellte Orchestermusiker absolvierten aus der sozialen Hängematte ihrer Abgesichertheit heraus dienstliche Klänge, sondern Projektorchester und freischaffende Musiker traten vor das Publikum und beendeten mit Vitalität und Musizierlust die auf Verdrängen des Schreckens konzentrierte Nachkriegszeit und eröffneten die Wirtschaftswunderjahre mit dem Privileg massenhafter Selbstverwirklichung.

Innsbruck und Tirol waren damals tatsächlich das Zentrum einer musikalischen Innovation, einer wissenschaftlichen und auch den Instrumentenbau erneuernden Durchdringung der gesamten abendländischen Musik, ein Umbruch, der in den Folgejahren auf immer mehr internationale Anerkennung und Publikumszuspruch stieß und somit, als Professor Otto Ulf nach Jahrzehnten sein Lebenswerk abschloss, bereits zu zahlreichen neuen Festivals bzw. zur vollwertigen Integration der Alten Musik in bestehende Festivals, wie zum Beispiel in die Programme der Salzburger Festspiele, geführt hatte.

Vonseiten Tirols versuchte man ab 1991 mit dieser Internationalisierung durch die Berufung des Dirigenten und Countertenors René Jacobs, der von Innsbruck aus groß geworden war, als künstlerischer Leiter mitzuhalten. Schon damals jedoch fehlte die kulturpolitische Kompetenz, mit dem inzwischen zum Pult- und Platten-Star avancierten Ausnahmekünstler ein Konzept zu entwickeln, das den Festwochen im Rahmen der internationalen Konkurrenz ein Alleinstellungsmerkmal ermöglicht und damit die Chance geboten hätte, neben den renommierten Festspielen in Salzburg und Bregenz etwas Gleichwertiges von zumindest mitteleuropäischer Bedeutung anzubieten.

Aber es fehlte nicht nur das Konzept, es fehlte naturgemäß erneut die Bereitschaft, die grundsätzliche bäuerliche Verachtung gegenüber der Kultur, sofern sie sich nicht als Adorationsmedium volksmusikalischer Engstirnigkeit missbrauchen lässt, hinter sich zu lassen und entsprechende Budgetmittel locker zu machen. Hierzulande bestehen eben bis heute keine Zweifel darüber, dass Hotels und Lifte, wenn sie konkurrenzfähig sein sollen, ihren Preis haben. Eine ähnliche Rechnung in Sachen Kultur scheitert jedoch immer noch an mangelnder Bildung und intellektueller Überforderung.

Eine Folge der landestypischen Konzeptlosigkeit und bäuerlichen Geizes war daher auch, dass René Jacobs Innsbruck und Tirol zunehmend als Nebenschauplatz seiner internationalen Karriere betrachtete, was darauf hinauslief, dass aus den heimischen Budgets größere Opernprojekte etwa in Aix-en-Provence oder in Baden-Baden mitfinanziert wurden. Und selbstverständlich kümmerte sich Jacobs auch nicht um die ursprünglich einmal wertvolle Marke „Alte Musik“, sondern begann die Opern eines Wolfgang Amadeus Mozart einzustudieren, eines Komponisten, der nun wahrhaft das Ende des Barock und den Beginn der Aufklärung und der Klassik markiert.

Ganz abgesehen davon, dass Jacobs bei all seinen Verdiensten, seinen Entdeckungen in Archiven und der Revitalisierung zuweilen sogar zu Unrecht vergessener Werke die spezifische Erotik der Mozart´schen Musik niemals begriffen hat, auch wenn seine Einspielungen etwa der Da Ponte-Opern noch so viele Preise einheimsen konnten.

Höhepunkt der Vernachlässigung von Innsbruck und seiner Marke „Alte Musik“ war dann Im Jahr 2008 eine Fernsehübertragung von „Don Giovanni“ auf „Arte“, bei der die Tatsache, dass die Innsbrucker Festwochen, bei denen Jacobs eigentlich den Posten eines künstlerischen Leiters innehatte und die daher auch seine Hauptwirkungsstätte hätten sein sollen, nur noch in einem winzigen Satz im Abspann der Übertragung als Co-Produzenten Erwähnung fanden.

Natürlich wagte es auch in diesem Fall keine der heimischen Kulturgrößen, den Maestro zu einem belehrenden Gespräch ins Land- oder Rathaus einzuladen: Frustration und Kritik über die in alpiner Dumpfheit nur unbewusst empfundene Deklassierung trafen vielmehr René Jacobs Geschäftsführerin Sarah Wilson, deren aufwändige Reisespesen zu einem Skandal hochgespielt wurden, sodass über diesen Nebenschauplatz zuletzt die Ära René Jacobs ein unrühmliches Ende fand.

Die inzwischen bereits mehr oder weniger zur Provinzveranstaltung herabgewirtschafteten Festwochen, von denen das selbstverliebte Tiroler Publikum jedoch immer noch annahm und bis heute annimmt, dass sie von internationaler Bedeutung seien, übernahm ab 2010 René Jacobs früherer Assistent Alessandro De Marchi.

Er betrachtete das geforderte Alleinstellungsmerkmal des Festivals vor allem als Gelegenheit, auf Kosten der Tiroler Steuerzahler seine private Diskographie karrieretechnisch aufzumöbeln, was zur Folge hatte, dass eine aus der Versenkung geholte Opern-Skurrilität nach der anderen zu Aufführungsehren gelangte.

Allein die Tatsache, dass ein Johann Adolf Hasse mit seinen 60 Opern fast sämtliche Libretti des Pietro Metastasio vertont hatte, konnte nach einem derartigen Konzept den Spielplan für ein halbes Jahrhundert füllen und dem Publikum ungestört die Gelegenheit geben, in distinktionsgeschwängerter Selbstverblödung die Aufführung einer Oper, die weltweit sonst niemanden interessierte, mit einem bedeutsamen, weil sonst nirgendwo stattfindenden Kulturevent zu verwechseln.

Abseits jeder Aktualität und bestenfalls von exotischer musikwissenschaftlicher Relevanz lamentieren arienlang und koloraturengeschwätzig griechische Götter und Helden auf der verzweifelten Suche nach der Geliebten, was, wenn sie sie schlussendlich ergattern, als Komödie, wenn sie sie nicht ergattern, als Tragödie bezeichnet wird. Begleitet wird eine solche Welt von Vorvorgestern, für die der Staat auf jeden Platz im Theater 260 € an Subventionen hinlegt, von den Grauköpfen eines ob seiner Geduld sich selbst bewundernden Publikums, das sich nicht einmal davon irritieren lässt, wenn ihm durch eine statistische Untersuchung des Tourismusverbandes Innsbruck und seine Feriendörfer zur Kenntnis gebracht wird, dass das Besucheraufkommen aus dem Ausland nahezu null ist, womit die endgültige Bedeutungslosigkeit der Innsbrucker Festwochen gleichsam mathematisch belegt wurde.

Immerhin hat diese Bedeutungslosigkeit im Bereich der Neuaufführung zurecht vergessener Opernwerke und das Abdriften der Ambraser Schlosskonzerte weg vom ursprünglich mit Freude vom Publikum entgegengenommenen barocken Mainstream, der möglicherweise auch der Jugend zu vermitteln wäre, hin zu musikwissenschaftlicher Radikal-Esoterik den Vorteil, dass sich die Kulturbeamtenschaft und Kulturpolitik des Landes und der Stadt endlich befähigt fühlen, ungestört von einer Öffentlichkeit, welche die Festwochen ohnehin längst abgeschrieben hat, die Intendanz selbst in die Hand zu nehmen.

Konkret bedeutet dies, dass eine gewisse Eva-Maria Sens, die bisher nicht einmal in der Lage war, die paar Meisterkonzerte, die sie zu verantworten hat, professionell zu programmieren, die jedoch andererseits den Vorzug hat, der Hauptqualifikation für Kulturjobs der inzwischen in der Versenkung verschwundenen unsäglichen Kulturlandesrätin Beate Palfrader zu entsprechen, nämlich eine Frau zu sein, als künstlerische Direktorin installiert wurde. Dabei werden ihr, damit das Groteske der Berufung nicht allzu sehr ins Gewicht fällt, lediglich Eingeweihten einer winzigen Musiksekte bekannte Dirigenten aus der Alte-Musik-Szene an die Seite gestellt und mit Fünfjahresverträgen befristet, eine Zeitspanne, die jede die heimische Kulturverwaltung überfordernde grundsätzliche Neupositionierung des Festivals ausschließt.

Vielleicht sollte man an dieser Stelle der Ausschreibung gedenken, die vor Jahren zur Berufung von Sarah Wilson als Geschäftsführerin führte und die derartige Kenntnisse einforderte, dass der damals noch lebende Gerard Mortier von den Salzburger Festspielen geradezu unterqualifiziert gewesen wäre. Immerhin reichte zuletzt dann doch die Organisation einer Kammermusikreihe auf Schloss Elmau in Bayern zur Berufung Wilsons aus, was nicht bedeutet, dass sie sich in den Folgejahren nicht zu einer respektablen Kulturmanagerin entwickelt hätte.

Von respektabler Entwicklung kann man in Tirol seit Jahren nicht sprechen. Die Festwochen für Alte Musik hatten weder eine besondere Auswirkung auf die Universität Innsbruck, auf einschlägige Forschungstätigkeiten und die Installierung themenadäquater Lehrstühle. Noch gelang es, wie etwa im Falle des Freiburger Barockorchesters, ein auf Alte Musik spezialisiertes ständiges Ensemble mit internationaler Reputation aufzubauen. Ebenso fehlen, wie bereits beim Tiroler Symphonieorchester Innsbruck vermerkt, Tondokumentationen, Videoaufzeichnungen und regelmäßige Übertragungen im Rundfunk oder Fernsehen.

Jede sich bietende Chance auf diesem Gebiet wurde also wieder einmal bravourös vertan. Und das soll, wenn es nach dem Kulturprogramm der neuen Tiroler Landesregierung geht, fortgeführt werden. Dazu bleibt als Kommentar wieder einmal nur noch: Gratulation!





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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Norbert Hölzl

    Lieber Alois,
    Ich bin zwar weit weg, las aber deinen Beitrag über die Alte Musik seit Ulf. Brillant. Entsetzt war ich, weil ich mich mit einem Kollegen gerade über die Phantasielosigkeit der ORF Programme ausgetauscht hatte. Einige deiner Sätze oder Passagen könnte man 1:1 auf den ORF umlegen.
    Super geschrieben, wenn auch ein Trauerspiel so wie das Maximilian-Jahr.

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