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Walter Plasil
Vorsicht - Kulturelle Aneignung!
Satire

Ja, auch in Europa, waren früher diese verfilzten Haartrachten und die gewundenen Zöpfe zu sehen. Aber das ist alte Kultur, die wir längst abgelegt haben.

Was heutzutage dem Massai seine Braids, dem Hindupriester, dem Afrikaner und Jamaikaner seine Dreadlocks sind, das ist uns eher das blonde Haupthaar.

Die Rastafaris haben gedrilltes und verfilztes Haar. So drückt diese Ethnie ihre Kultur aus. So grenzen sie sich ab von Glatt – und Kurzhaarträgern. Das dürfen wir ihnen nicht nachmachen. Damit würden wir fremdes Kulturgut entweihen, auf das wir kein Recht haben. Diese traditionelle Kultur dürfen wir uns nicht aneignen. Und wirklich wollen tun wir das ohnehin nicht.

Freilich, jede kulturelle Tradition war früher einmal keine. Vor der aktuellen Tradition war eine andere Tradition eine solche. Aber die hat man verlassen. Zugunsten einer Neuerung. Ja, leider: Kulturelle Traditionen entstehen ausschließlich aufgrund von Neuerungen.

Und eine alte kulturelle Tradition wird sie erst, wenn ausreichend viele Menschen behaupten, dass sie nun eine alte ist. Und ab dann gehört sie auch zum Kulturgut. Sie wird geographisch verortet. Und ab dann umweht sie ein Nimbus. Sie erhält einen Schutzstatus. Sie wird behütet.

Dann appellieren die Hüter der mittlerweile oft zur uralten kulturellen Tradition ernannten an das Kulturvolk, dass die Tradition unbedingt gelebt werden muss. Sonst ist sie ja bald keine solche mehr. Wenn sie nicht lebt, dann ist sie ja tot. Und dann hat sie ihren Tod sogar verdient, weil sie ihn selbst durch eigene Vernachlässigung herbeigeführt hat. Somit ist die alte Tradition plötzlich kein Kulturgut mehr, sondern bestenfalls Thema für Reminiszenzen.

Unser Kulturgut ist im Dasein identitätsstiftend. Das ist uns bewusst. Und das darf nicht verschleudert, verkauft oder mutwillig zerstört werden. Auch kulturfremden Elementen darf das Kulturgut nicht überlassen werden. Sonst hat das jeweilige Kulturvolk über seine eigene Kultur die Kontrolle verloren.

Warum wir uns gerade jetzt genau damit beschäftigen sollen? Na ganz einfach: Jetzt ist wieder die Zeit, in der unser Hansi Hinterseer in Tirol mehrere Konzerte plant. Und das ist Anlass genug, um ernsthaft darüber nachzudenken.

Und leider – es gibt unerfreuliche Nachrichten.

Erst vor wenigen Tagen wurde nämlich bekannt, dass es in Bayern – und das liegt bekanntlich nicht in Tirol – gleich mehrere Hansi Hinterseer Klubs geben soll. Möglicherweise existieren solche Klubs auch im Rest Deutschlands. Ja manche meinen, dass auch in den Niederlanden derartige Vereinigungen ihr Unwesen treiben.

Über diese Klubs ist schon einiges bekanntgeworden. Man weiß, was sich da so abspielt. Unter anderem wurde berichtet, dass – man will es kaum glauben – die Mitglieder in Fellstiefeln erscheinen. Mit Fell außen! Aber das ist nur eine der skandalträchtigen Nachrichten!

Der Klubvorsitzende trägt angeblich eine blonde Langhaarperücke. Auch im Alltag, nicht nur bei den Treffen! Die einzelnen Klubaktivisten sind angehalten, es ihm nachzutun. Leidet jemand unter medizinisch nachgewiesenem Haarausfall, wie etwa nach und während einer Chemotherapie, wird auch das Tragen von künstlichen Haarteilen akzeptiert. Auch da ist blond gewünscht!

Man trifft sich in Hinterzimmern von Braugasthöfen. Anlässlich dieser konspirativen Zusammenkünfte werden Lieder ihres Hansis gespielt. Es soll auch zu Gefühlsausbrüchen kommen. Dann wird laut mitgesungen. Es fließt – Beobachtungen zufolge – auch schon mal die eine oder andere Träne der Rührung. Einmal im Monat wird dann auch noch einer der Erfolgsfilme Hansis vorgeführt.

Was hier augenscheinlich vorliegt, ist ein Fall, genaugenommen, sind es sogar viele Fälle, von kultureller Aneignung. Die Werte unserer indigenen Kultur werden zuerst gestohlen und dann noch mit Füßen getreten!

Weitere verdeckte Ermittlungen brachten zutage, dass zum urtümlichen, echten, landschaftsgebundenen Tiroler Liedgut in den stickigen Bierkneipen sogar geschunkelt wird. Aber vor allem die schändliche Imitation ist es, die durch das unechte blonde Haupthaar und die haarigen Stiefel vorgeben soll, es handle sich bei diesen Personen um solche, die genetisch aus der Gegend um Kitzbühel stammen.

Das schlägt dem Fass den Boden aus, so der zuständige Referent der ATEKÜZ, der Alten-Tiroler-Echtheits-Kultur-Überprüfungs-Zertifizierungsbehörde. Kulturelle Aneignung, also Übernahme von bodenständigen Gebräuchen und/oder das Vortäuschen von Aussehen von Tirolern durch kulturfremde Elemente aus Fremdländern ist strafbar. Und respektlos! Die Tiroler sind ein autochthones Volk! Das haben wohl bestimmte skrupellose Elemente der Nachbarländer vergessen.

Aber die groben Verstöße von Kulturdiebstahl werden nicht folgenlos bleiben. Unsere treuen, nimmermüden Beobachter sind bereits seit langem der Szene im bayerischen Untergrund auf der Spur. Nachdem die polizeilichen Anzeigen wegen Zuwiderhandelns in Form illegaler Kulturaneignung im grenznahen Ausland eingebracht wurden, blieb die angemessene Reaktion der Behörden in Bayern leider aus. Aus Tiroler Sicht darf einen das nicht wundern.

Deswegen werden die Kriminalfälle nun von den Tiroler Behörden weiterverfolgt. Zusätzlich wurde eine geharnischte Anzeige bei der AEEKÜZ, der Alten-Europäischen-Echtheits-Kultur-Überprüfungs-Zertifizierungsbehörde deponiert. Schon vorsorglich verlautete, dass man bei allfälliger Ablehnung der Klage durch die EU-Gremien bis zum Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg gehen werde.

Als Strafe droht den bayerischen Funktionären und Mitgliedern des Hansi Hinterseer Klubs in Österreich ein lebenslanges Einreise- und Wanderverbot. Natürlich muss auch eine Schließung der bayerischen Hansi-Hinterseer-Klubs behördlicherseits angeordnet werden. Außerdem soll den Delinquenten lebenslang das Tragen von unechtem blonden Haar in der Öffentlichkeit untersagt werden. Von Fellstiefeln müssen sie sich ebenso für immer verabschieden.

Zusätzlich werden Geldstrafen zugunsten des STBV, des Staatlichen-Tiroler-Brauchtumsvereins fällig. Einzelne kann es da schon mit mehreren Hundert Euro treffen . Man denkt dabei an die Verfolgung von Menschen, die echte Tiroler Tracht tragen, aber jenseits der Grenze beheimatet sind.

Zur Klarstellung wurde verlautbart, dass Hansi-Hinterseer-Klubs nur im Tiroler Hoheitsgebiet – und mit Vorbehalt – in Südtirol zulässig sind. Es bleibt zu hoffen, dass diese billigen Tiroler-Imitatoren aus dem Ausland unsere starke Hand spüren und künftig die Aneignung von Original-Tirolertum gefälligst unterlassen!

Und den Kritikern sei gleich gesagt: Wildes Bergvolk! Nein, wild sind wir schon lange nicht mehr! Berge, ja. Dafür können wir nichts! Das ist aber das Einzige, das schon vor uns da war. Und wir sind in der Lage, das echte Tirolertum zu bewahren und kulturelle Aneignungen aus dem minder zivilisierten Ausland (siehe: Häufiges Betrinken mit einer Maß!) abzuwehren. Dazu haben wir sogar geeignete Waffen im Zeughaus gelagert, vor deren Gerbrauch wir im Ernstfall nicht zurückschrecken.

Am Ende wollen die uns noch ganz rückbesiedeln. In Kitzbühel gibt es ja schon Anzeichen dafür. Die illegalen Wohnsitze der Oktoberfestler sind nur ein Anfang! Und den Hansi, den lassen wir uns nicht nach Bayern entführen! Unser Hansi ist kein Subjekt für eine kulturelle Aneignung! Den bekommt ihr nicht!

Wir gründen ja in Tirol auch keinen Klub für Polt oder gar Ringsgwandl! Wir eröffnen auch keinen bayerischen Biergarten mit Weißwurst und Bretzeln! Das tun wir alleine schon deswegen nicht, weil unsere einheimischen Speisen und Getränke denen von drüben meilenweit überlegen sind! Was sind schon ein paar wässrige bayerischer Semmelknödel(n) gegen einen einzigen, echten Tiroler Knödel!

Und zuletzt: die Volkslieder vom Hansi gehören uns! Wir sind Hansi! Das alles ist längst alte Tradition. Und Tradition ist auch Kultur. Wenn wir das nicht mehr erhalten, käme es zur kulturellen Erneuerung. Und wer von uns will das wirklich?

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Walter Plasil

Walter Plasil, Jahrgang 1946, geboren in München, aufgewachsen in Wien, seit 1971 in Innsbruck. Führte viele Jahre das INGENIEURBÜRO WALTER PLASIL für Technische Gebäudeausrüstung und Energieplanung und war als Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger tätig. Walter Plasil: „Ich war immer ein Vielschreiber und habe nun, nachdem meine bisherige Tätigkeit dem Ende zugeht, Zeit und Lust dazu, auch zu veröffentlichen. Mein neuer Beruf daher: „Literat.“

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