Print Friendly, PDF & Email

Helmuth Schönauer
Trockentraining
Stichpunkt

In der Kunst gibt es etwas, worum uns Politik, Wirtschaft und Sport beneiden: Die konzeptionelle Reduktion. Im Idealfall wird ein Theaterstück, ein Roman, ein Gemälde als Konzept entworfen, ohne dass die Realisation geschehen müsste.
Später kann vielleicht Publikum dazustoßen, es gibt womöglich einen Diskurs, und irgendwo findet sich ein finales Archiv, wo das Konzept gespeichert werden kann.

Das konzeptuelle Kunstwerk ist somit in allen Stadien perfekt, weil unvollkommen.
Außer der urhebenden Person weiß niemand, wann etwas fertig ist. Das erinnert stark an das sogenannte Provisorium, das zumindest in Österreich staatstragend verbreitet ist.

Nichts ist so fix wie ein Provisorium! – Von diesem Diktum leben Handwerkende, Forschungspersonal oder Matura-Jahrgänge.

Konzeptkunst und Provisorium werden wahrscheinlich die gesellschaftlichen Hauptströmungen sein, die uns im nächsten Schritt des Klimawandels begleiten werden.

Bislang lautet die heimliche Denkweise ja:
1872 – volle Verkohlung des Kontinents
1972 – Clube of Rome, Die Grenzen des Wachstums
2072 – Rettung der Erde

Dazwischen liegen jeweils hundert Jahre Tätigkeit (Kohle machen) und hundert Jahre Reden (Kohle ausgeben).

Die Konzeptkunst ermöglicht es uns, ein Kunstwerk zu planen, jedoch bloß in Klima-adäquaten Schritten auszuführen. So können wir im Konzept das volle Programm fahren, in der Ausführung aber die Reduktion von Ressourcen ins Spiel bringen.

Im Welt-Klimaort Ischgl, wo alle aktuellen Trends zusammenlaufen, wurde die aktuelle Wintersaison mit der Eröffnung einer gigantischen Wintertherme gefeiert.
Alle Sportarten, die auf künstliche Art Wärme, Eis, Schnee oder Sportgeräte brauchen, kurz: alle energiefressenden Maßnahmen wurden aufgeboten, um der Menschheit zu zeigen, wie sie ihre verrückten Träume in Realität abarbeiten kann, wenn sie nur als Cashcow nach Ischgl käme.

So ein Unternehmen wie die Therme in Dorfgröße braucht natürlich eine gewisse Vorlaufzeit, weshalb die großen Zukunftsprojekte oft weit in die Steinzeit zurückreichen.

In Ischgl jedenfalls hat man einen Außenpool geplant und gebaut, als ob man in Island zwischen zwei Vulkanen schwämme.

Inzwischen sind Pandemie- und Energiekrise ins Land gezogen und haben das Provisorium ermöglicht: Volle Therme bei trockenem Außenpool. Diese der Energiekrise geschuldeten Maßnahmen werden sich fortsetzen: Einschränkung von Betriebszeiten, Reduktion von Angeboten, Trockentraining statt Badespaß.

In diesem Lichte sollte man genießen, was noch alles in der Pipeline ist.

Die zweite Tunnelröhre Lermoos wird gebaut, obwohl ja demnächst der Verkehr über den Fernpass vollkommen elektrisch wird. Die neue Lueg-Brücke wird auf doppelte Tonnage ausgelegt, wahrscheinlich um die schweren Akku-LKW besser tragen zu können.

Ein 50-Meter-Becken für die drei internationalen Schwimmerinnen aus Tirol soll rasch gebaut werden, damit die Sport-Heroinnen nicht abwandern müssen. Auch wenn man dieses Becken nicht mehr heizen kann, wird es ein Genuss sein, ins leere Becken zu starren.

Die lang als überflüssig erachtete Bobbahn in Igls wird endlich die volle Konzeptkraft entfalten können, wenn die Olympischen Spiele in Mailand wieder einmal einen Abstecher unter den Patscherkofel machen.

In allen diesen Fällen kommt die Konzeptkunst voll zum Tragen. Wir tun einmal so, als ob es volles Programm gäbe, und dann wird uns schon irgendeine Katastrophe heimsuchen, damit wir ohne Gesichtsverlust vom Größenwahn Abstand nehmen können.

Die nächste Sportgeneration wird sich vielleicht schon voll auf Trockentrainings verlegen müssen. Die aktuellen Konzeptkünstler spenden bereits jetzt Trost für die nächsten Jahrzehnte, nicht wenige von ihnen haben beispielsweise als Konzept Romane publiziert, die noch niemand gelesen hat.

Und die um diese Zeit weit verbreiteten Geschenkgutscheine sind ja nichts anderes als ein Trockentraining für das Geschenk. Ich tu so, als ob ich dir was schenke, und du sagst mir später, womit du dich beschenkt hast.

Sollte es sich um ein klimatisches Monstrum wie einen SUV handeln, bist du schuld, denn mein Geschenk ist rein wie eine ungezeugte Kinderseele.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Schreibe einen Kommentar