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Corvus Kowenzl
Guten Morgen
Ostalpenländische Universitätssatiren
Folge 23

Folgende bescheidene Zeilen präsentieren einige der markantesten Erinnerungen meines Berufslebens als Lehrer und Forscher an einer Universität mitten in den Ostalpen, im Lande des Grüß Gott. Die meisten dieser Erinnerungen stammen aus meiner Zeit als Leiter eines Instituts, jedoch war diese Position nicht in jedem Fall ausschlaggebend, sondern ganz einfach die Tatsache, dass ich ein Angehöriger der Universität bin.


Montag morgen. Gut gelaunt und federnden Schritts schreite ich in Richtung Universität, in stiller Vorfreude auf einen weiteren Tag vor dem Bildschirm mit Emails beantworten, Emails schreiben, Online-Administration erledigen und damit beschäftigt zu sein, Leute vielleicht doch noch am Telefon zu erreichen, die per Email wegen Überlastung nicht mehr erreichbar sind oder nie waren.

Das Unigebäude kommt in Sicht. Stolz ragen die Türme geballten Wissens vor den Umrissen ostalpenländischer Berge gen Himmel. Doch als ich näherkomme, sehe ich, dass der Haupteingang gesperrt ist, verstellt mit Bauzäunen, abgesperrt mit Plastikbändern, zugeparkt von Lieferwägen. Hinter dem Zaun ist bereits ein Trupp Arbeiter am Werk. Ein Umbau, wieder einmal!

Ich weiß, was ich zu tun habe. Sogleich lenke ich meine Schritte in Richtung eines Seiteneingangs der Bibliothek. Nach wenigen Minuten bin ich dort angelangt. Eine Menschentraube vor dem Eingang aber lässt mich nichts Gutes ahnen. Ich schlängele mich durch die herumstehenden Studenten. Dann stehe ich vor der großen Drehtüre, über die man die Bibliothek normalerweise betritt. Sie dreht sich aber nicht, also gibt es kein Durchkommen. Wahrscheinlich irgend ein Kabeldefekt, vielleicht wegen des Umbaus am Haupteingang.

Weniger Ortskundige als ich wären nun vielleicht ratlos. Nicht so ich. Ich weiß nämlich, dass man, wenn man um das ganze Gebäude herumgeht, es von der gegenüberliegenden Seite durch einen Nebeneingang der Cafeteria betreten kann. Nach weiteren wenigen Minuten stehe ich vor dem erwähnten Eingang, doch die Türe ist ebenso verschlossen. Was soll das? Normalerweise ist die doch immer offen! Dann erst fällt mir ein, dass gerade Semesterferien sind, und da ist die Cafeteria geschlossen.

Wer glaubt, ich wäre nun mit meinem Latein am Ende, der irrt. Schließlich kenne ich den Laden hier seit der Steinzeit. Ich war immer schon da. Rasch quere ich den großen Vorplatz und gehe stracks auf die große Glas-Schiebetüre zum geisteswissenschaftlichen Gebäudekomplex hinüber. Es handelt sich um eine automatische Schiebetüre mit Bewegungsmelder. Selbstsicher gehe ich darauf zu: einen Augenblick später kann ich grade noch bremsen, denn um ein Haar wäre ich mit vollem Tempo in die Scheibe gekracht. Die Türe hat sich nämlich nicht geöffnet, wie sie eigentlich sollte. Stur und glasglatt bleibt sie zu.

Manchmal liegt das an den Bewegungsmeldern. Ich schaue hinauf, trete genau unter den Melder und fuchtle mit den Armen. Keine Reaktion. Ich trete ein wenig vom Melder weg (manchmal hilft das) und fuchtle wieder. Keine Reaktion. Hm. Vielleicht hab ich mich zu wenig bewegt. Ich springe immer wieder auf und schwenke gleichzeitig die Arme. Doch nichts rührt sich.

Da erst sehe ich, wie mich ein Mitarbeiter des Sicherheitsdiensts von der anderen Seite der Glastüre verwundert anstarrt. Das ist meine Gelegenheit! Ich trete so nahe als möglich an die Glasscheibe heran und rufe:
„Hallo!? Ich will hinein!“
Dazu steche ich mit beiden Zeigefingern in Richtung des Gebäudes, um mein Anliegen zu untermauern. Der Sicherheitsdienstler schaut mich nur leer an.
„Haaallo! Ich arbeite hier! Ich will hinein!“, schreie ich wieder.
Immerhin hat der Sicherheitsdienstler nun die Brauen zusammengezogen. Jetzt darf ich nur nicht aufgeben.
„ICH – WILL – HINEEEEIIIN!“ brülle ich aus vollem Hals.
Er schaut mich an, schüttelt leicht den Kopf, dreht mir den Rücken zu und geht dann in aller Ruhe wieder ins Innere des Gebäudes hinein. Er weiß, er kann sich auf seine Glastüre verlassen. Wenn er nicht will, dass sie aufgeht, dann geht sie nicht auf, und so ist offenbar seine Instruktion: Niemanden reinlassen, verstehen Sie? – Niemanden!

Jetzt wird’s langsam eng. Aber es gibt noch eine Möglichkeit, und die ist verdammt gut. Ich weiss nämlich von einem versteckt gelegenen Seiteneingang, der aus feuerpolizeilichen Sicherheitsgründen immer offen sein muss, auch am 1. Jänner um 8 Uhr morgens. Das ist nun mein Joker.

Ich lasse die blöde Glastüre hinter mir und beginne den Anmarsch zum Leck. Fünf Minuten später finde ich jedoch auch diese Türe versperrt. Zuerst kann ich es nicht glauben. In aufrechter Entrüstung rüttle ich mehrmals kräftig. So ein schwerer Verstoß gegen die Sicherheitsvorschriften aber auch! Da werde ich eine Meldung schreiben, die sich gewaschen hat!

Nachdem ich anschließend ein wenig ratlos herumgestanden bin, versuche ich, meinen nicht dafür gedachten Schlüssel stückchenweise ins Schloss zu drücken, und nachdem ich eine halbe Stunde damit zugebracht hatte, den in Folge festgeklemmten Schlüssel wieder heraus zu ruckeln, begreife ich, dass ein echtes Problem vorliegt.

Ich analysiere die Situation und erkenne, dass jetzt nur noch SIE hilft, SIE, die eine Türe. Das Wissen um diese Türe wird nur von Eingeweihtem zu Eingeweihtem von Ohr zu Ohr geraunt, nachdem man komplizierte und demütigende Initiationsrituale durchlaufen hat. Sie ist garantiert immer offen, sie hat nämlich gar keine Sperrvorrichtung.

Das Problem ist nur, dass sie am Dach liegt. Und wie sollte ich jetzt dorthin kommen? Grübelnd gehe ich langsamen Schritts wieder in Richtung der naturwissenschaftlichen Gebäude zurück. Da kommt mir die rettende Idee! Peter, mein alter Freund bei der Flugrettung, hat immer gesagt, ich solle mich melden, wenn ich einmal etwas brauche. . .

. . . der Kopilot öffnet die Abseilluke. Laut brüllt der Helikoptermotor, kalter Wind bläst mir um den Kopf. Der Kopilot wirft die Leine runter und überprüft noch einmal das Sitzgeschirr, mit dem ich an der Leine hänge. Alles roger! Ich muss zugeben, ich bin jetzt schon etwas aufgeregt. Peter hat mir versichert, dass die automatische Bremsvorrichtung absolut verlässlich arbeitet.

Ich blicke in die Tiefe. Unendlich weit drunten sehe ich das Dach und die Türe. Alles schwankt. Peter und sein Co schauen mich an und geben mit dem Daumen das Zeichen, dass ich springen kann. Jetzt muss ich es tun. Ich schließe die Augen und…

Tswiiiiiitsch! – säuselt die Bremsvorrichtung an der Leine, und ich öffne die Augen wieder. Federnd setze ich – ganz James Bond – am Kies des Flachdachs auf. Ich klinke die Leine aus und renne hinüber zur Tür. Sie ist offen!

Ich drehe mich zum Helikopter, gebe mit den Händen das OK-Zeichen und sage ins Funkgerät: Landing roger, door open, turn off! Dröhnend dreht der Heli ab. Ich genieße den Moment und drücke die Türe ganz langsam auf, dann gehe ich eine enge staubbelegte Treppe hinab, die zum Stiegenhaus führt. Es ist nun 11.30 Uhr.

Guten Morgen.

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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

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