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Karlheinz Töchterle
Was tun gegen Plagiate?
Essay


Plagiate haben leider Konjunktur. Der Philologe beginnt gern beim Etymon: Plagium bedeutet „Raub“, vor allem den eines Menschen, dazu gibt es die Substantive plagiarius, „Menschendieb“, „Seelenverkäufer“ (u. a. bei Cicero, Seneca und in der Vulgata) und plagiator (bei Tertullian ein „Seelenverkäufer“, bei Hieronymus ein „Knabenverführer“).

Ins Deutsche scheint der Begriff übers Französische gekommen zu sein und zwar schon in der verengten, uns heute geläufigen Bedeutung „Diebstahl geistigen Eigentums“.

Zur Konjunktur bei uns trägt besonders der Salzburger ‚Plagiatsjäger’ Dr. Stefan Weber bei, der auch gerne die Arbeiten prominenter Politiker unter die Lupe nimmt. Ein früher Fall war der meines Vorvorgängers als Wissenschaftsminister, Johannes Hahn, dessen Dissertation dann aber von einer Kommission als den Standards entsprechend beurteilt wurde, mit der immer noch zu hörenden Zusatzbemerkung, dass heutige Maßstäbe höher lägen.

Das muss ich dezidiert zurückweisen, weil es ältere Arbeiten, z. B. auch meine, diskreditierte. Es mag ja nicht in allen Fächern so gewesen sein, ich jedenfalls hatte am Beginn meines Studiums ein Proseminar, wo die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens erklärt und geübt und uns das penible Nachweisen der Übernahme fremder Gedanken und Formulierungen eingeschärft wurden. Insofern hätte ich auch niemals Sorge vor einer strengen Weberschen Prüfung haben müssen, ich hatte sie allerdings doch, denn es hätte ja die Äußerung eines Verdachts genügt, und schon wäre man ‚angepatzt’ gewesen.

Übler erging es deutschen Kollegen, der Fall Guttenberg ist bis heute in breiterem Bewusstsein, der Fall Schavan war auch recht prominent: Sie war damals mein deutsches Pendant, eine gute und verlässliche Kollegin, die mir gegenüber ihren ‚Fall’ (in doppelter Bedeutung) als parteipolitisch motiviert darstellte: Man wollte mit ihr auch der sie fördernden Angela Merkel schaden.

Vor allem in meiner Funktion als Rektor der Universität Innsbruck war ich mit einigen Fällen näher befasst, u. a. mit dem eher grotesken Vorwurf eines „Selbstplagiats“, wo ein Habilitand Materialien aus eigenen früheren Arbeiten als Belege ausgiebig in seine Habilitationsschrift einarbeitete, ohne dies ausreichend zu kennzeichnen. Dies konnte man ihm wohl zu Recht ankreiden, ein Plagiat allerdings nicht, da man sein geistiges Eigentum schwerlich sich selber stehlen kann.

In einem anderen Fall, dem eines Adelssprosses aus Deutschland, suchte mich in den Sommerferien sogar ein ORF-Team daheim im Stubai auf. Ich war gerade beim Holzarbeiten und musste mich für die Kamera ‚rektorabel’ herrichten – so bedeutend schien dieser Fall!

Zu dieser Zeit wurde 2008 die „Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität“ gegründet, um Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens einer möglichst objektiven Prüfung unterziehen zu können. Mitglieder sind österreichische Universitäten, Privatuniversitäten, Fachhochschulen, eine Pädagogische Hochschule, die Akademie der Wissenschaften und einige andere Forschungseinrichtungen. Sie hat inzwischen zahlreiche Plagiatsvorwürfe geprüft und kommt in einer Mehrzahl von Fällen zu negativen Ergebnissen, zumeist in der Form, dass zwar Mängel, aber kein dezidiertes und damit zu sanktionierendes Fehlverhalten in Form einer „Täuschungsabsicht“ vorlägen, so etwa auch 2021 im Fall der wegen Plagiatsvorwürfen zurückgetretenen Ministerin Christine Aschbacher.

Die Gutachten der Agentur werden von den akademische Titel vergebenden Hochschulen meist als Entscheidungsgrundlage genützt: So konnte Aschbacher den an der Fachhochschule Wiener Neustadt erworbenen Magistertitel behalten. Plagiatsjäger Weber tobte und warf der Agentur Korruption und Verschleierungsversuch vor.

Gehen bei uns solche Fälle, anders als etwa bei Guttenberg und Schavan in Deutschland, wirklich eher und öfter im Sinne der Beschuldigten aus?

Ohne eine genaue Statistik zu bemühen, legt allein die Prozedur gewisse Schwächen nahe: Die Agentur prüft und konstatiert evtl. Fehler, die rechtlichen Folgen aber bestimmt die titelvergebende Institution – und dort sind die dafür Zuständigen mit den seinerzeit Prüfenden meist irgendwie verzahnt, bisweilen wohl sogar ident. Das ist natürlich keine ideale Konstellation und legt nahe, etwas genauer auf die Genese und das Umfeld beim Entstehen wissenschaftlicher Abschlussarbeiten zu blicken.

Im Idealfall entwickelt sich eine solche Arbeit aus dem Verlauf des vorausgehenden Studiums heraus. Man hat sich in seinem Fach von den Grundlagen bis zu aktuell anstehenden Forschungsfragen herangearbeitet und ist nun fähig und bereit, daraus einen Teilaspekt, am besten unter erfahrener und permanenter Anleitung, selbständig zu bearbeiten und in formal und inhaltlich tadelloser, den fachlichen Usancen entsprechender Weise schriftlich darzulegen.

Diesem Ideal kann man immer wieder einmal nahekommen, allerdings gibt es zu ihm hin auch riesige Distanzen, wobei mehrere Faktoren eine Rolle spielen. Einige liegen im studierenden Individuum, andere bei den jeweiligen Hochschulen, Disziplinen und Fächern.

Starke Forschungsorientierung ist da natürlich von Vorteil, weshalb Fachhochschulen, wo Praxis und Berufsorientierung im Vordergrund stehen, eher im Nachteil sind. Dies aber gilt nicht nur für die Institutionen insgesamt, sondern kann bis auf die einzelnen Fächer und Institute herabgebrochen werden. In manchen sind die Forschungsfelder und –themen einfach dünner gesät als in anderen.

Großen und permanenten Forschungsbedarf schreibt man gemeinhin den Naturwissenschaften zu, man muss den Begriff aber durchaus so weit fassen, dass er auch auf viele andere Fächer anwendbar bleibt. Auch ein Marktsegment, eine ethische Frage, ein neuartiger Rechtsfall oder die Edition eines bisher unbekannten Autors, um nur ein paar Beispiele aus einem sehr breiten Spektrum zu nennen, können Forschungsthemen bilden.

Zum eher geringeren Forschungsbedarf in nicht wenigen Fächern kommt, oft gleichsam in Wechselwirkung, der große Andrang zu ihnen hinzu, der sich wiederum ungünstig auf die Qualität sowohl der Studenten als auch der Betreuung auswirkt. Massenfächer sind oft auch solche, die man mit niedrigerem Aufwand zu absolvieren hofft, weshalb sie weniger Ambitionierte und mäßiger Begabte anziehen, und sie bescheren den Dozenten eine derart hohe Anzahl von Betreuungen, dass sie auch bei bestem Willen nicht mehr in zuträglicher Qualität geleistet werden können.

Die digitale Textwelt erleichtert zumindest das Aufspüren von Abgeschriebenem, zur Verbesserung der Arbeit während ihrer Genese kann sie höchstens präventiv beitragen. Wohl überall sind inzwischen entsprechende Programme am Werk, sie sollten aber nicht der Täuschung Vorschub leisten, damit sei der Betreuungspflicht schon genüge getan.

Was wären Heilmittel?

Die unterschiedliche Forschungsintensität der Fächer ist gegeben und kaum veränderbar. Die Massenfächer bleiben solche, ebenso ihre Attraktivität für weniger tüchtige Adepten. Die dort ungünstige Betreuungsrelation hat man in den letzten Jahren zu verbessern gesucht, das aber stößt mehrfach an Grenzen.

Ein Lösungsansatz könnte sein, die Ansprüche an die Forschungsrelevanz zumindest unterhalb des Dissertationsniveaus abzusenken. Die da in den Prüfungsnormen festgelegte Qualität ist aus den oben genannten Gründen vielfach eben nicht zu erreichen.

Die Alternative könnten Abschlussarbeiten sein, die eine gewisse Fachkompetenz und jedenfalls die Fähigkeit zu sauberem wissenschaftlichen Arbeiten im Status quo erweisen, ohne dabei einen Forschungsfortschritt vortäuschen zu müssen.

Man könnte dabei – horribile dictu – Anleihen bei den Gesellenstücken (für den Bachelor, von mittellat. baccalaris, „Knecht“) und Meisterarbeiten (für den Master, von lat. magister, „(Lehr-)Meister“) machen und auf diese Weise sogar die oft vermisste Beschäftigungsfähigkeit von Absolventen stärker in den Vordergrund rücken.

Die Wissenschaft vorantreibende Forschung in Abschlussarbeiten kann man Dissertanten und Post-docs überlassen.

Das Gebot der Ehrlichkeit, das eben auch jegliche plagia ausschließt, bliebe davon unberührt.



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Karlheinz Töchterle

Karlheinz Töchterle ist österreichischer Altphilologe und Politiker. Er war von 2007 bis 2011 Rektor der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck und vom 21. April 2011 bis zum 16. Dezember 2013 Bundesminister für Wissenschaft und Forschung. Von Oktober 2013 bis November 2017 war er Abgeordneter zum Nationalrat. Privat: Konditionsstarker Bergsteiger, begeisterter Flügelhornist und Fußballtrainer der dörflichen Jugendmannschaft.

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