Print Friendly, PDF & Email

Corvus Kowenzl
Die Kraftprobe
Ostalpenländische Universitätssatiren
Folge 21

Folgende bescheidene Zeilen präsentieren einige der markantesten Erinnerungen meines Berufslebens als Lehrer und Forscher an einer Universität mitten in den Ostalpen, im Lande des Grüß Gott. Die meisten dieser Erinnerungen stammen aus meiner Zeit als Leiter eines Instituts, jedoch war diese Position nicht in jedem Fall ausschlaggebend, sondern ganz einfach die Tatsache, dass ich ein Angehöriger der Universität bin.


Unlängst habe ich in einem Buch gelesen, dass es Zeiten gegeben haben soll, in denen man, wenn man einmal nichts zu tun hatte, einfach nichts zu tun hatte. So nackt und hart, wie ich es hier hingeschrieben habe, stand das natürlich nicht drin, aber dem Sinn nach war genau das gemeint.

Mein stets wacher Forschergeist – ich bin ja, obwohl ich Institutsleiter bin, immer noch Mitglied des wissenschaftlichen Personals einer ostalpenländischen Universität – also: mein stets wacher Forschergeist verhakte sich sofort an dieser Aussage.

Was soll denn das heißen, nichts zu tun zu haben? Sollte das heißen, dass diese Leute, die da nichts zu tun gehabt hatten, vor sich in die Luft schauten? Wie geht „Nichts tun“?

Ich unterbrach die Beantwortung einer Email und grübelte eine Weile nach, kam aber zu keinem schlüssigen Ergebnis. Oder sollte – dachte ich, während ich gerade die nächste Email las – sollte Nichtstun etwa bedeuten, keine Emails zu schreiben?

Ich wollte nicht glauben, dass im erwähnten Buch, das ich immerhin in einer ganz normalen Buchhandlung und nicht in einem Sexshop gekauft hatte, solche Obszönitäten drinstehen. Wahnsinn! Und so etwas zirkuliert frei im Handel!

Wenn das Kindern in die Hände fällt! Was für eine negative Vorbildwirkung das entfalten kann, auf eine Generation, die ihre Eltern kaum noch anders kennt als smartphone-wischende und laptop-starrende Halbabwesende, die nicht einmal bemerken wenn die Fertigpizza im Backrohr schon knapp vor dem Explodieren ist. Und wie soll da die Totale Digitalisierung jemals gelingen?

Da reifte in mir ein verwegener Plan heran, ein Plan von geradezu mythischer Dimension, ähnlich dem Vorhaben des Odysseus, sich festgebunden am Mast des Schiffs schutzlos den Sirenengesängen auszuliefern.

Ich wollte versuchen, keine Emails zu schreiben und keine zu beantworten, während ich sehenden Auges vor dem Bildschirm sitze. Ja, ich wollte den Kampf mit dem Minotaurus persönlich aufnehmen. Ich nahm die Hand von der Maus, setzte mich aufrecht hin und schaute ein wenig schräg in die Luft.

Die Aussicht ist nicht gerade berückend, eine halb heruntergelassene Jalousie, dahinter die Ansicht eines Betonplattenbaus, der das Gehäuse für die Geisteswissenschaften abgibt. Doch wahre Geistesgröße benötigt keine Panorama-Aussichten mehr, sie ruht in sich selbst. Sage ich mir. Inzwischen sind, jede mit einem leisen Blubb-Geräusch, einige Emails hereingekommen. Ich schaue auf den Bildschirm.

Da sehe ich im Betreff einer Mail „DRINGEND_URGENT_Leistungstrennungs-Umlagenberechnung_vorgezogener_Abgabetermin“. Eine andere Mail „Strategieplan_NEUAUFLAGE“. Wieder eine andere „Laufbahnstellen-Verfahren_QV4555_Ostalpen_Hier_und_Jetzt Nachfrage Vizerektorat für Personal“. . . und so weiter und so weiter, was eben das luxuriant bestückte Inventar der ostalpin-universitären Administrations-Gewächshäuser unablässig austreibt.

Das alles eingebettet in eine Matrix von spams, obskuren Einladungen zu irgendwelchen Kongressen, die mir fachfremder kaum sein könnten und Aufforderungen, Mitherausgeber eines weiteren tollen online-Wissenschaftsjournals zu werden. Hmmm. . . . hmmm. . . hmmmhmmm. . . . ich summe ein wenig, um mir die Zeit zu vertreiben.

Unwillkürlich streift mein Blick immer wieder diese Mail mit dem Betreff „Laufbahnstellen-Verfahren_QV4555_Ostalpen_Hier_und_Jetzt Nachfrage Vizerektorat für Personal“.

Komisch. Mein Herz scheint schneller zu schlagen. Mir ist auch ziemlich warm. Ich greife mir an das Handgelenk. Ja, vielleicht ein etwas schnellerer Puls. Ich tue, wie ich es gelernt habe: 15 Sekunden zählen mal vier gibt Herzschläge pro Minute. Die Multiplikation ergibt 84 Schläge. Wahrscheinlich habe ich mich verzählt, also nochmals. Die nächste Zählung ergibt nach Multiplikation 92. Vielleicht habe ich etwas schlechtes gegessen. Mir wird heiß, ich greife mir auf die Stirn. Immer wieder fällt mein Blick auf

„Laufbahnstellen-Verfahren_QV4555_Ostalpen_Hier_und_Jetzt Nachfrage Vizerektorat für Personal“.

Das ist mir doch zu blöde, ich dreh mich jetzt einfach weg. Ein kurzer Schub mit dem Fuß und schon dreht sich mein Sessel mitsamt seinem Herrchen weg vom Bildschirm, hin zum Inneren meines Büros.

Dort schaut mich ein Portrait-Photo des großen Eiszeitforschers Albrecht Penck an. Jetzt wird mir wieder ein wenig besser. Hinter mir höre ich es in unregelmäßigen Abständen blubbern. Das war keine gute Idee, denke ich mir nun, einkommende Emails mit einem Blubb anzuzeigen. Natürlich könnte ich das abstellen, aber das verstößt nun gegen meine selbst auferlegten Regeln.

Langsam wird mir wieder heiß, Flachatmung beginnt sich einzustellen. Ich glaub, ich werd‘ krank . . . aber, he, Moment mal – schaut mich Albrecht Penck am Ende spöttisch an? Dass ich das nie vorher gesehen habe, wie süffisant der grinst!? Klar, der hat auch Grund dazu, damals hat es ja noch keine Emails gegeben. Und von hinten das Blubbern.

Das Schlimmste ist: ich weiß, dass der Penck recht hat, weil ich mir ja vorgenommen habe, sehenden Auges vor dem Bildschirm zu sitzen, und doch habe ich mich weggedreht wie ein Feigling. Mittlerweile ist mein Puls sicher jenseits von 100.

In diesem Augenblick rauscht die einzig Mögliche in mein Büro, bebüschelt mit Formularen, die sie mit elegantem vielgeübtem Schwung auf meinen großen runden Bürotisch drapiert: Es ist angerichtet. Dann erst schaut sie mich an:
„Ist dir nicht gut?“
„Äh. . . was? . . . wieso? . . . nein, passt alles, ich hab nur kurz nachgedacht!“
„Aber du bist ganz rot im Gesicht. . . hast du Fieber?“
„Nein nein, ich hab kein Fieber, alles OK. . . also“, und ich schaue zu den Formularen hinüber.

Sie tritt wortlos vor mich hin, reicht mir den Kugelschreiber und das Ritual beginnt. Während ich brav ein Formular nach dem anderen unterschreibe, erklärt sie mir ein jedes. So ist es ihre Pflicht. Diese verbale Administrations-Dusche beruhigt mich wieder ein wenig. War meine erste Unterschrift noch ein wenig kraftlos und fahrig, so sind meine letzten wieder mit entschlossenem kantigen Strich gezogen.

Viel zu bald aber ist alles unterschrieben, begleitet von weiteren Blubbs. Während sie die Formulare zusammenpackt, macht sie mir Vorwürfe. Ich sei wahrscheinlich krank, vermutlich eine Grippe oder so etwas ähnliches, und dabei ist das gar nicht gut, so krank herumzulaufen, von der Ansteckungsgefahr für die anderen einmal ganz zu schweigen. Ich entgegne nichts. Schließlich rauscht sie wieder ab und lässt mich alleine. Ich fühle mich nun wieder etwas besser.

Nach einem kurzen Blick zu Penck hin drehe ich mich wieder zum Bildschirm. Ich erschrecke: die ganze Höhe des 48-Zoll-Bildschirms ist mit neuen Emails bespickt. Mit schnellem Auge checke ich die Situation: Der Betreff „Laufbahnstellen-Verfahren_QV4555_Ostalpen_Hier_und_Jetzt Nachfrage Vizerektorat für Personal“ ist gar nicht mehr zu sehen, der muss schon weiter nach unten gerutscht sein.

Inzwischen waren neue Dringlich- und Wichtigkeiten eingelangt, oder gar beides zugleich. Unwillkürlich will ich zur Maus greifen, um nach unten zu scrollen. Erst im letzten Augenblick wird mir der Verstoß gegen meine Regeln bewusst und ich ziehe meine Hand zurück, als hätte ich auf eine heiße Herdplatte gegriffen. Also weiter dasitzen und in die Luft schauen!

Da fällt mir ein, dass ich eigentlich eine Satire dazu schreiben könnte, von einem Institutsleiter einer ostalpenländischen Universität, der wenigstens eine Zeitlang keine Emails schreiben will, etwa nach dem Vorbild des berühmten Suppenkaspar: Nein, ich schreibe meine Emails nicht, nein, meine Emails schreib‘ ich nicht. Eine lustige Idee!

Wenn da nur nicht schon wieder diese zunehmende Nervosität wäre. Unangenehm, so ein schneller Herzschlag, obwohl man sich körperlich nicht anstrengt. Tachykardie heißt das medizinisch korrekt. Meine Hände werden nass. Meine Maushand beginnt immer stärker konvulsivisch zu zittern. Ich klemme sie mir zwischen die Knie, aber es will nicht aufhören.

Dazu die ganze Zeit das unerträgliche „blubb . . . blubb. . . blubb“ der einlangenden Emails und im Blickwinkel meines angestrengt nach schräg oben starrenden Blicks das ständige Ruckeln der wachsenden Email-Wurst. Ich schwitze, mein Puls rast.

Wenn nur nicht diese blöde Maushand ständig so zittern würde! Ich spüre, wie mir die Schweißtropfen den gekrümmten Rücken hinunterrinnen, von meiner Stirn beginnt es zu tropfen. Meine Augen brennen. Unwillkürlich entfährt mir ein Winseln.

Das Ende des Suppenkaspar kommt mir in den Sinn: Und wog nur noch ein halbes Lot und war am siebten Tage tot. Nein, so soll das nicht enden. Ich will leben, ich will atmen, ich will viele schöne Emails schreiben. . . ich greife nach der Maus!

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

Schreibe einen Kommentar