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Helmuth Schönauer
Wanderkarte für Wanderwähler
Die Verbesserung von Tirol 4

In loser Folge stellt Schöpfblog Projekte, Träume und Treatments vor, in denen es um eine Verbesserung von Tirol geht. Kluge Parteien werden diese Serie abonnieren und überlegen, ob sie nicht die eine oder andere Idee in ihr Portfolio aufnehmen, haben sie doch meist außer Bauplänen für Chalets nichts im Zauberkasten der Phantasie.


Wenn sich in einer Gesellschaft das Individuum als göttliche Instanz durchgesetzt hat, lassen sich kaum noch Maßnahmen generieren, die ein Minimum an Kollektivismus benötigen. Seit dem Impfdesaster geht allen politisch Denkenden, Handelnden oder aus dem Gemeinwesen Flüchtenden die Muffn, dass letztlich alles unregierbar geworden ist.

Daher steht in der Serie „Verbesserung Tirols“ auch nur ein kleiner Vorschlag zur Disposition:

Wie wäre es, wenn man die Stimmabgabe zur bevorstehenden Landtagswahl mit einem Minimum an Entscheidungsmöglichkeiten unterlegen würde? Vergleichbar mit einem Tagesausflug, wo man ja auch eine Map oder App zu Rate zieht?

Macht doch eine Wanderkarte für Wanderwähler!

In den 1930er Jahren hat der Wiener Volksbildner Otto Neurath ein Zeichen- und Plansystem entwickelt, das heute in Gestalt von U-Bahn-Linien oder Verkehrsnetz-Schautafeln überall auf der Welt verbreitet ist. Unabhängig von Bildung, Aggressivität und Absicht des Users kann mit Hilfe einer Schautafel das Öffi-System einer jeden Stadt ausgehängt werden, unbelastet von der jeweiligen Landessprache. Einzige Bedingung, dass es funktioniert: Eine U-Bahn-Tafel für Barcelona ist nur in Barcelona gültig, eine in Wien nur in Wien.

Eine Landtagswahl ist ja letztlich nichts anderes als ein Knotenpunkt, an dem diverse Wahllisten aufeinandertreffen und worin die einzelnen Stimmen sich in die Hand eine farblich zugeordneten Linie begeben, indem sie die angekreuzte Linie in die Urne werfen.

Für das Überlegungsspiel, am Wahltag seine Stimme jemandem anzuvertrauen wie Passagiere ihr Schicksal einer Verkehrslinie anvertrauen, braucht es zwei Voraussetzungen:

– Es dürfen nur Linien auf den Markt, die zumindest für das nächste Jahr einen Plan haben.

– Es dürfen nur Haltestellen angeboten werden, die auf der Entscheidungsebene des Landtags liegen.

Für die Landtagswahl dürfen nur Plakate, Programme und Leuchtbilder verwendet werden, die mit dem Landtag zu tun haben. „Mehr Zukunft, Gemeinsam gegen Brüssel, Ehrlich am After, Wolf raus!“ – Diese Parolen haben mit konkreten Landesentscheidungen nichts zu tun, weil sie dort nicht geregelt werden können.

– Wer gegen den Wolf ist, muss das bei der EU-Wahl erledigen!

– Wer mehr Zukunft haben will, muss diese bei der Bundespräsidenten-Wahl aus der Hand geben!

– Wer einen Grillplatz ums Eck haben will, muss diesen bei der Kommunalwahl einfordern!

Dieses Überlegungsspiel zeigt, dass es bei der Landtagswahl eigentlich um nichts geht außer um schöne Worte und schöne Posten der Worte-Verteiler.

Ein bisschen was bleibt übrig, was man im Land entscheiden darf.

Ob man am Hantennjoch einen Modellversuch Elektromobilität macht,
ob man Gletscher zusammenschließt,
ob man generell eine Richtgröße formuliert, ab der eine Gegend (oder gar das ganze Land) voll ist.

Auf dem Tafelbild, das einem U-Bahn-Plan nachempfunden ist, wird den jeweiligen politischen Parteien eine Farbe zugeordnet, wie es der Volksmund schon lange tut. Beispielsweise fährt die Linie der Blauen aus dem Landhaus hinaus, streift ein paar Projekte, die sie zu verwirklichen gedenkt, macht vielleicht ein Nogo-Zeichen über ein geplantes Asylzentrum und hebt den Daumen, wenn der Flughafen erreicht ist. Ähnlich verlaufen die Linien der Schwarzen, Roten, Grünen, Gelben und Strichlierten.

Die Haltestellen sind nach den angestrebten Projekten benannt, es kommt zu Überschneidungen, das heißt, ein Projekt kann von mehreren Linien angefahren werden. Natürlich gibt es diverse Apps, mit denen die persönlichen Präferenzen erahnt und bestärkt werden können. Und natürlich gibt es wissenschaftlich unterlegte Programme der Politologenschaft, die schon die nächsten Hausarbeiten in den Schaukasten legen.

Das Modell U-Bahn-Linien hat freilich den Vorteil, dass es kollektiv im Öffentlichen Raum diskutiert werden soll. Nicht umsonst geht die Idee auf Otto Neurath zurück, der mit dem Mittel des Piktogramms die Elemente Information und Emotion zu verbinden wusste.

Jene Kommission, die auf die Einhaltung der Werbekosten achtet, könnte ja eine Empfehlung herausgeben, wonach zu jedem „Gfrieß“, das im freien Gelände herumsteht, auch ein Linienprogramm affichiert werden muss. Der Nutzen für die Ausflügler, die zur Wahlurne spazieren oder in ein Kuvert das Kreuzerl hineinschlecken, wäre enorm. Wenigstens wüsste die Wählerschaft in Zukunft, wie stark sie wieder von welcher Linie hineingelegt worden ist, indem diese plötzlich ganz andere Routen fährt als vorher ausgemacht war.

Tirol kann besser werden! – Optimismus ist die Grundvoraussetzung für jede Veränderung, auch wenn diese nicht gewollt ist. Wenn schon Urne, dann Wahlurne!

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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