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Ronald Weinberger
Dürftiges Deutsch?!
Essay

Bescheiden ist er keineswegs, der deutsche Wortschatz. Einem 2010 veröffentlichten Artikel zur Statistik des deutschen Wortschatzes kann man entnehmen (Zitat): „Nach führenden Sprachwissenschaftlern der deutschen Sprache umfasst der Wortschatz der deutschen Standardsprache etwa 75 000 Wörter. Je nach Quelle und Zählweise wird die derzeitige Gesamtgröße des deutschen Wortschatzes auf ca. 350 000 bis 500 000 Wörter geschätzt.“ [1].

Auf eine viel höhere Gesamtgröße stößt man 7 Jahre später, in dem Beitrag mit dem Titel „Es gibt viel mehr deutsche Wörter, als wir wussten [2]: Da ist von Millionen die Rede. Nicht fehlen darf zudem eine Zahl, die man einer Beschreibung der neuesten (28.) Ausgabe des Duden entnehmen kann [3]: „Mit 3 000 neuen Wörtern aus dem deutschen Sprachgebrauch und insgesamt 148 000 Stichwörtern ist der neue Rechtschreibduden der umfangreichste, den es je gab.“.

Nun möchte ich mich nicht über den „rezeptiven“ (passiven) oder „produktiven“ (aktiven) Wortschatz & Co auslassen, aber zusätzlich noch auf den Wikipedia-Beitrag „Wortschatz“ verweisen, der auch insofern hilfreich ist, als die Widersprüche bei den obgenannten Zahlenangaben eine gewisse Begründung erfahren. [4].

Dennoch gilt, als Fazit Zweierlei: a) Die Karl-Valentiniade „Nichts Genaues weiß man nicht“ und b) Es gibt beinahe astronomisch viele Wörter im Deutschen. Womit ich nun einerseits bei der Überschrift meines Beitrags bin – bei der ich, wohlgemerkt, das Ausrufezeichen trotz der Wörtermenge verteidige –, was ich freilich andererseits hic und nunc zu begründen habe. Auf geht’s!


Na danke!

Wir haben unzählige Gründe, uns fallweise zu bedanken. Ob uns der Vortritt gelassen wird, uns etwas zu Bodengefallenes vom Steh-Sitz-Geh-Nachbarn aufgehoben und uns überreicht wird, wir Auskunft erhalten, im Restaurant bedient werden… Ich brauche hier wahrlich nicht ausführlicher zu werden.

Sich zu bedanken ist nicht nur ein Ausdruck von Höflichkeit, sondern geradezu ein zwischenmenschliches Muss, von dem reichlich Gebrauch gemacht wird, gemacht werden soll. Es schadet zudem nie, sich eher einmal zu viel als zu wenig zu bedanken.

Weshalb, so frage ich mich bereits seit vielen Jahren, existiert für dieses so substantielle Reagieren auf uns positiv Berührendes bzw. Hilfreiches ein Ausdrucksschatz, den ich nicht anders als hochgradig dürftig nennen möchte?

Stellen Sie sich vor, eine höhere Macht würde die Folge der vier Buchstaben „d-a-n-k“ mir nichts dir nichts eliminieren. Was würden wir dann zu sagen oder zu schreiben vermögen, wenn uns nach „Dank“ zumute oder dieser vonnöten ist?

Ihr möglicher Einwand, man könne sich doch mit den Wortpaaren „vielen Dank“, „besten Dank“ etc. behelfen, ändert ja nichts daran, dass es stets die dürre aus der 4., 1., 14. und 11. Stelle des (lateinischen) Alphabets resultierende Buchstabenfolge ist, die wir gewissermaßen wiederkäuend benutzen. Ärmlich, angesichts einer 6- oder gar 7-stelligen Zahl an deutschen Wörtern!

Nehmen wir, als Gegensatz, zum Beispiel die zahlreichen Wörter, die wir dann verwenden können (und es bisweilen tun), wenn wir die Möglichkeiten des Bewegens unserer unteren Extremitäten beschreiben möchten. Hierfür ein Beleg dank eines Gedichts, welches ich vor langer Zeit verbrochen habe:


Im Lande dräut der Wortnotstand!
Wohl hätt‘ man viele an der Hand;
es ist das Worte-Sortiment
im Deutschen sogar opulent,
doch führt die geistige Verödung
gewöhnlich auch zur Sprachverblödung.

Ein Beispiel nur: Wir alle hätten
was untere Extremitäten
und deren In-Bewegungsetzen
betrifft, zu unser‘ all Ergetzen
nicht nur die Wörter gehen, wandern,
laufen, sondern auch die andern,
die da heißen promenieren,
schlendern, bummeln und spazieren,
weiters wandeln und flanieren;
nicht vergessen das marschieren,
auch das staksen, stelzen, waten
sei zu benutzen angeraten,
ebenso das stapfen, schreiten
wartet auf Gebrauch beizeiten.

Zudem ist das schleichen, steigen
der Bewegung auch zu eigen
selbst das schlurfen, latschen, rennen
wäre weiters zu benennen.
Sodann fehlt noch: tapsen, tänzeln,
trippeln, trampeln, (herum)schwänzeln
und zum Schluss noch das mäandern
(von einem Gehsteigrand zum andern).


Nochmals: Weshalb, verflixt und zugenäht, gibt es nichts auch nur halbwegs Analoges an Möglichkeiten, um unsere Bewegtheit angesichts einer uns zugekommenen Wohltat auszudrücken?


Ein guter Tag fängt morgens an.

Busreisen, mehrtägige. Businsassen und deren Grußgewohnheiten beim Frühstück. Das will ich noch, als eine von zugebenermaßen mannigfachen sprachlichen Dürftigkeiten aufs Korn(weckerl) nehmen. Dabei sei betont: Die paar Mehrtages-Busreisen, die meine Frau und ich in der letzten Zeit absolvierten, waren jedes Mal Grund für ausnahmslos angenehme Erinnerungen.

Ich konnte, ab dem 1. Frühstück der ersten Busreise, nicht anders als meine Ohren spitzen. Mir fiel nämlich auf, wie eintönig, gleichwohl durchaus nicht morgenmuffelig leise, beim Frühstück gegrüßt wurde.

Die „Guten Morgen“-Grüßer machten, bei allen (3) Busreisen etwa drei Viertel aus. Der Rest verteilte sich auf das „Morgen!“-Grußvolk, dann gab es (fast nur bei den Jüngeren – ja, auch solche sind auf diesen von Pensionisten stark dominierten, fast hätte ich geschrieben „kontaminierten“, Fahrten zugegen) ein paar „Hallo!“-Sager und die, die sich von vornherein kannten, schmetterten ein nicht selten fröhliches „Griaß-Eich“ in die Frühstücksrunde. Der letztgenannte Gruß wurde naturgemäß mit zunehmender Reisedauer etwas häufiger.

Darf ich rekapitulieren? Drei Viertel „Guten Morgen!“-Sager. Na und, mögen Sie einwenden, was daran passt denn dem Schreiberling dieser Zeilen nicht? Will er, dass man nichts sagt? I wo! Aber geht’s denn sprachlich nicht ein bisserl bunter? Es ginge problemlos. Und damit komme ich schon zum Schlussteil meiner Auslassungen.


Mein Name ist Hase, ich weiß nichts.


Nun, da habe ich das Wörtlein „von“ im Titel unterschlagen. Der Jurist Victor von Hase ist schon lange tot und kann mich nicht belangen. Also, so recht wissen, wie wir den oben genannten zwei Dürftigkeitsbereichen, die unseren Mäulern (pardon: Mündern) allzu oft entweichen, auskommen können, weiß auch ich nicht. Na ja, ein bisschen schon.

Zäumen wir das Maultier von hinten auf. Wenn zum Beispiel ein heiterer Tag angebrochen ist, könnte man sich doch problemlos zu einem „Angenehmen Morgen!“ entschließen – und sollten Sonnenstrahlen bereits einen Tisch im Hotel-Frühstücksraum erhellen, so könnte man spontan ein wenig witzig sein und die guten Leutchen dort mit einem „Einen strahlenden Morgen!“, garniert mit einer auf die Sonne zeigenden Armbewegung, verwöhnen. Niemand wird Ihnen deswegen gram sein.

Kurz: Man kann, zumindest ab und zu, den „Morgen“! mit einem netten Adjektiv schmücken. Ein „schön“ sollte zumindest drin sein.

Dass Sie niemanden mit einem berlinerischen „Tach auch!“ schon am Morgen die hoffentlich gute Stimmung austreiben – und mit dem „Hallo!“, das mich ob seiner Schalheit an den Geschmack eines Schlucks abgestandenen Biers erinnert, sparsamst umgehen – darf ich wohl voraussetzen, nicht wahr?

Sollten Sie mir gar ein klitzekleinwenig dankbar für die bisherigen, wenngleich spärlichen, Anregungen sein, so habe ich gerade noch die Kurve zu den Alternativen für das „danke!“ gekriegt.

Als Landei (sprich, in einem oberösterreichischen Ort geboren und aufgewachsen) weiß ich, so wie Sie – falls Sie ebenfalls landeiiger Herkunft sind – natürlich sofort eine Möglichkeit, sich anständig zu bedanken, ohne das Wort „danke“ in den Mund nehmen zu müssen.

Da gibt es doch das „Vergelt’s Gott“. Sollten sie glauben, dass ich Ihnen diese Alternative ans Herz legen möchte, so irren Sie. Der Grund ist persönlicher Natur. Ich bezeichne mich, ohne rot zu werden, nicht ungern als einen „mit einer Prise Agnostizismus kontaminierten Atheisten“, was nicht eben wenig mit meiner beruflichen, nämlich naturwissenschaftlichen, Vergangenheit zu tun hat. Trotz meines halbherzigen Einwands: So ginge es doch auch mit, besser gesagt statt, der üblichen Dankerei, nicht wahr?

Jetzt schließt sich der Kreis, denn ich plädiere auch hier, der Adjektivitis mehr Raum zu geben. Etwas, was bei einem literarischen Werk häufig als aufblähend und damit nutzlos, verwässernd, angesehen wird, macht die übliche sprachliche Dürre hier geschmeidiger.

„Vielen Dank“ kann man mit „(aller)besten Dank“, mit „herzlichen – aufrichtigen – lieben usw. Dank“ ergänzen. Ebenso ist „Ein herzliches Dankeschön“ u. ä. bisweilen angebracht.

Nun komme ich aber noch mit etwas, was einige von Ihnen kaum goutieren werden. Man kann doch ein gut klingendes Wort für „danke“ einer anderen Sprache entlehnen. Nein, nicht aus dem Englischen, das m. E. unser Deutsch ohnehin zu sehr beeinflusst. Aber wie wäre es mit der Sprache, die uns das Etui, Portemonnaie, Trottoir, den Chauffeur, Coiffeur etc. geschenkt hat?

Nett von Ihnen, dass Sie meinen Beitrag bis zum Ende gelesen haben.
Merci!

[1] Zur Statistik des deutschen Wortschatzes (statistik-bw.de)
[2] Viel mehr als gedacht: Duden zählt 23 Millionen deutsche Wörter – WELT
[3] 3000 Wörter stärker. Der neue Duden ist da. | Duden
[4] Wortschatz – Wikipedia

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Ronald Weinberger

Ronald Weinberger, Astronom und Schriftsteller, 1948 im oberösterreichischen Bad Schallerbach geboren, war von 1973 bis 1976 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Von 1977 bis zum Pensionsantritt im Dezember 2011 war Weinberger an der Universität Innsbruck am Institut für Astronomie (heute Institut für Astro- und Teilchenphysik) als Fachastronom tätig. Als Schriftsteller verfasst Weinberger humorvolle Kurzgedichte und Aphorismen, aber auch mehrere Sachbücher hat er in seinem literarischen Gepäck: Seine beiden letzten Bücher erschienen 2022 im Verlag Hannes Hofinger, im Februar das mit schrägem Humor punktende Werk "Irrlichternde Gedichte" und im September das Sachbuch „Die Astronomie und der liebe Gott“ mit dem ironischen, aber womöglich zutreffenden, Untertitel „Sündige Gedanken eines vormaligen Naturwissenschaftlers“.

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