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Alois Schöpf
Sind Trachten politisch?
Apropos

Wenn Alexander Weber, der Obmann des Bezirkstrachtenverbands Innsbruck, in der TT vom 4. Juli die Meinung äußerte, dass die „Tracht kein politisches Statement“ sei, weiß man nicht, ob er seinem Wunschdenken oder einer Wahrnehmungstrübung anheimgefallen ist. Als altgedienter Blasmusikant, der jahrzehntelang in Tracht herumgelaufen ist, kann ich über seine Behauptung nur lachen.

Nach dem Dritten Reich, in dem bekanntlich von Innsbruck aus eine gewisse Gertrud Pesendorfer als Reichstrachtenbeauftragte bestimmen durfte, wie sich die Ostfriesen an Festtagen zu kleiden haben, ging unter anderen Vorzeichen, jenen der ÖVP nämlich, die Instrumentalisierung der Tracht munter weiter.

So ist, um nur ein Beispiel zu nennen, Landeshauptmann Günther Platter Präsident des Tiroler Trachtenverbandes, Präsident des Tiroler Blasmusikverbandes, Landesoberstschützenmeister und Präsident des Tiroler Sängerbundes. Vollkommen unpolitisch, oder?

Ist es auch unpolitisch, wenn etwa bei Konzerten die „hohe Geistlichkeit“ immer noch zuerst genannt wird? Und das im 21. Jahrhundert? Und ist es unpolitisch, wenn Jugendliche nicht zur Blasmusik gehen, weil sie keine Tracht anziehen wollen, und ihre Eltern das konservative, bieraffine Milieu ablehnen, das viele Trachtenvereine kennzeichnet?

Trachten sind schön! Aber durch ihre Instrumentalisierung als „politische
Statements“ für viele oft trotzdem unverdaulich.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. A. Stegner

    Lieber Herr Schöpf,
    Sie sprechen mir so aus der Seele! Ich bin Jahrgang 1971 und war so schockiert, als Dirndln vor langer Zeit im Privaten (wohne in einem Tourismusort, wo Dirndl sozusagen Dienstkleidung ist) wieder modern wurden. Auch sie verkörpern für mich ein eigenartiges Welt- und Frauenbild und sind für mich als eine Art Statement der politischen Einstellung gesehen worden. Ich hatte Bilder vor mir, als Innsbruckerinnen vor der Hofburg im Dirndl Hitler zujubelten. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, es ist in der Masse angekommen und wird meist ohne Hintergrund getragen.
    Trachten habe ich auch nie verstanden, muss ich zugeben, weil sie wie Sie schrieben, diese eher von gewissen Gruppen als Teil der allgemeinen Tiroler Identität getragen wurden und noch mehr aussagen als Dirndln. Jetzt allerdings sind sie, siehe Dirndl, doch wieder mehr allgemein zu sehen.
    Wie auch immer, das Lied „Dem Land Tirol die Treue“ hätten Sie auch dazuschreiben können. Es ist für mich durch und durch politisch. Ich bekomme immer ein beklemmendes Gefühl, wenn ich es höre. Ich bin mit Leib und Seele Tirolerin und vertrete meine Heimat auch nach außen, aber die sogenannten Zwischentöne zwischen den Zeilen behagen mir nicht. Kein Wunder für mich, dass es vor kurzem am Parteitag der FPÖ gespielt wurde.

  2. Kurt Höretzeder

    Guter Kommentar, Alois!

  3. Sonia May

    Trachten weltweit sind politisch sowie das gesamte eigene Tun generell (wie reise & kaufe ich ein usw. )…
    Danke für diesen Kommentar.
    Sich auf Tradition usw. usw. auszureden, bringt gesellschaftliche Prozesse nicht weiter, da es keine Hinterfragung zulassen kann.
    Die Vielfalt der Gesellschaften sollte reflektiert werden – und das ist kein leichtes Unterfangen. Aber ein spannendes, weil es ermöglichen könnte „offener“, konkreter, präziser zu denken – eine gute (Grund-)Bildung vorausgesetzt sowie die Werte der Wertschätzung zu kennen und Mut zu haben.

  4. Viktor Schellhorn

    Sehr geehrter Hr. Schöpf
    Mit Interesse habe ich heute in der Tiroler Tageszeitung Ihren Kommentar zum Thema „Sind Trachten unpolitisch?“ gelesen und möchte Sie bezüglich zweier Aussagen auf den aktuellen Stand des Chorwesens in Tirol bringen.
    Tiroler Sängerbund/Chorverband Tirol
    Den Tiroler Sängerbund gibt es nicht mehr. Bei der Generalversammlung im Juni 2020 haben sich die Delegierten per Wahl dazu entschlossen die Bezeichnung „Tiroler Sängerbund“ aufzugeben und in Zukunft unter dem Namen Chorverband Tirol weiterzuarbeiten.
    Präsidentschaft
    In derselben Sitzung wurde auch entschieden, dass im Vorstand des Chorverbandes das Amt des Präsidenten nicht mehr besetzt, und deshalb aus den Statuten gestrichen wird.
    Bezüglich der Kleidung entscheidet jeder unserer 511 Chöre/Ensembles selbst, wie man sich nach außen hin präsentieren will und welche Art von Kleidung das eigene Chorleben am besten widerspiegelt. So sind, im Gegensatz zu anderen Großverbänden, die Sängerinnen und Sänger des Chorverbandes bei weitem nicht allesamt in Trachten anzutreffen, sondern zeigen auch eine Vielfalt an bunten und originellen Ideen und klassichen Konzert – Kleidungs Standards.
    Ich lade Sie herzlich ein, einen Blick auf unsere Website (www.chorverband.tirol) oder einen unserer Social-Media Kanäle (FB und INSTA) zu werfen.

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