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Werner Schandor
Moloch Microsoft
Essay


„Windows gehört jetzt ganz Ihnen!“ Mit diesem Satz begrüßt einen Windows 10 nach dem Abspulen von größeren Updates. Der Satz sollte einen stutzig machen. Denn in Wahrheit ist es natürlich umgekehrt: Microsoft hat uns in die Tasche gesteckt. Und macht sich seit Corona munter auch in Schulen breit.


„Windows gehört jetzt ganz Ihnen!“ verheißt der Bildschirm, wenn Windows 10 wieder einmal ein größeres Update auf dem PC ausgerollt hat. Gehört Windows auf meinem Computer tatsächlich mir?

Dann ist es seltsam, dass das Betriebssystem bei jedem größeren Update Einstellungen im Startmenü oder auf dem Desktop umräumt. Mal werden neue Programme ungefragt mitinstalliert, die man weder braucht noch haben will, wie „Print 3D“, „Xbox Game“ und „Ihr Smartphone“ – manche davon ohne Möglichkeit, sie zu entfernen.

Mal sind es die Farben der Kacheln, die plötzlich anders sind, als sie vor dem Update eingestellt waren. Mal sind es auch neue Symbole auf der Taskleiste: Im Oktober 2020 war es zum Beispiel der Kreis der Microsoft-Spracherkennung „Cortana“, der plötzlich neben dem „Suchen“-Symbol aufgetaucht war. Und bei einem Klick darauf erschien die Meldung: „Cortana ist in Ihrer Region nicht verfügbar“. Danke für die Information!

Warum wird Cortana dann beim Update ausgeliefert und prominent auf der Useroberfläche platziert? Und warum lässt sich das verdammte Tool nicht einmal deinstallieren? Damit die NSA die User rund um die Uhr ausspionieren kann? (Schlag nach bei Edward Snowden.)


Wenn der Vermieter in deinem Wohnzimmer neue Bilder aufhängt.

Windows verhält sich bei diesen Updates wie ein Vermieter, der einem bei Reparaturarbeiten im Heizkeller gleich auch noch die Blumen im Wohnzimmer umstellt, eine Wanze unter der Vase anbringt und drei neue Bilder aufhängt, weil er es so schöner findet.

Von Microsoft (MS) werden diese Umbauten immer als Verbesserungen im Sinne der User ausgegeben, in Wahrheit aber sind es Grenzübertretungen. Sie geben einem das Gefühl, nicht Herr über sein Eigentum – den Computer – zu sein. Ist das gewollt? Lässt das Unternehmen den Respekt vor der digitalen Privatsphäre bewusst vermissen oder handelt es aus Unbedachtheit?

Oder spricht daraus einfach die fürsorgliche Bevormundung, die für große westliche Unternehmen so typisch geworden ist, weil es zur „Brand Identity“-Strategie passt? Schließlich will man als global führendes Unternehmen nicht einfach nur ein konkurrenzfähiges Produkt auf den Markt bringen, sondern die Menschheit umfassend verbessern. Oder zumindest als großer Wohltäter wahrgenommen werden. Obsoleszenz, Bevormundung und schöne Worte sind die Eckpfeiler des modernen IT-Kapitalismus.


Microsoft unter dem Monopol-Radar

Anfang Jänner 2022 machte die Nachricht die Runde, dass in den USA ein Kartellrechtsverfahren gegen den Facebook-Konzern META eingeleitet wird, weil er seine Marktmacht via WhatsApp, Instagram und Facebook missbrauche. Auch Google, Amazon und Apple werden in den Begleitberichten regelmäßig als Quasi-Monopolisten genannt, denen dasselbe Ungemach drohen könnte.

Auffälligerweise fehlt meist ein Name in der Runde. Wie heißt noch mal jenes Unternehmen, das auf fast 90 Prozent aller Computer weltweit das Betriebssystem bereitstellt?

Ja, man sollte die großen Player zerschlagen, die digitalen Feudalherren, die uns am Gängelband ihrer Produkte und Updates halten und dabei stets die Grenzen des Legalen ausloten und das Konzept der Privatsphäre aushöhlen. Und das alles im Namen des freien Marktes.

1997 konnte sich Microsoft in den USA nur dadurch einer Kartellklage entziehen, indem es seinem damals darniederliegenden Konkurrenten Apple wirtschaftlich unter die Arme griff. Mittlerweile sind beide Unternehmen echte Monstren, wobei nach Umsatz Apple mit 386 Milliarden US-Dollar (anno 2021) die Nase deutlich vor Microsoft hat. Der Jahresumsatz von Microsoft wurde für 2021 mit rund 168 Milliarden US-Dollar beziffert – das ist höher als das Bruttoinlandsprodukt einer Volkswirtschaft wie Ungarn.


Dominanz auf allen Rechnern

Microsofts Dominanz am Software-Markt hat mit freier Marktwirtschaft nichts mehr zu tun. Auf fast 90 % aller Rechner weltweit läuft eine Windows-Version als Betriebssystem. Und dem nicht genug, kommen auch Microsofts Office-Pakete mit Word, Excel & Co. auf einen Marktanteil von (je nach Quelle) 85 bis 92 %. Damit lässt MS Office Konkurrenten wie Google Docs, Libre Office und die Programme anderer Anbieter weit hinter sich.

Das Problem: Ein Programm formatiert mindestens ebenso sehr das Denken und die Arbeitsgewohnheiten der User wie umgekehrt. Wer, wie ich, Gelegenheit hatte, in den letzten 20 Jahren den Verfall der Rechtschreibkenntnisse unter Journalismus- und Germanistik-Studenten zu verfolgen, konnte auf den naheliegenden Gedanken kommen, dass die Programme von MS Office mit ihrer jahrzehntelang grottenschlechten Rechtschreibkorrektur ihr Scherflein zum Verfall von Getrennt- und Zusammenschreibung beigetragen haben. Aber das nur am Rande.


Pandemie als Booster für Microsoft

Nichtsdestotrotz konnte sich Microsoft mit seinen Lockangeboten flächendeckend auch in Österreichs Schulen breitmachen. Während des ersten Corona-Lockdowns wurde den heimischen Bildungsanstalten bewusst, dass sie den Aufbruch aus der digitalen Steinzeit wagen müssen, und sie machten sich auf die Suche nach geeigneten Programmen und Tools.

Wo die heimischen Universitäten überwiegend die freie Lernplattform „Moodle“ nutzen, entdeckten viele österreichische Schulen, dass Microsoft sein beliebtes Office-Paket inkl. der Kursplattform MS Teams für Schulen kostenlos anbietet. Alle, die darauf zugreifen wollen – ob Schüler, ob Lehrer –, erhalten für sich und ihr privates Umfeld fünf Office-Lizenzen zur freien Nutzung.

Eine alte IT-Weisheit lautet: „Wenn es nichts kostet, bist du das Produkt.“ Und das ist auch bei der scheinbaren Win-win-Situation der Fall, in die sich Schulen begeben, wenn sie MS Teams als Lernplattform einführen und die entsprechenden Office-Produkte gleich mitausrollen.

Die Schulen machen ihre Schüler damit zum Produkt von Microsoft und zum Ziel der langfristigen kommerziellen Interessen des Konzerns. Schließlich werden hier frei Haus Hunderttausende junge User an die wunderbare Welt der digitalen Vorherrschaft herangeführt. Und irgendwann zahlen sie nicht nur mit ihren Daten, sondern auch mit barer Münze für den Gebrauch der Software. Mindestens.


Digitalisierung neben der Spur

Vielleicht hätte ein Digitalisierungsministerium, das nicht so völlig ideenlos und neben der Spur agierte wie jenes unter Ex-Ministerin Schramböck, erkannt, dass es für die öffentlichen Schulen besser wäre, Software zu nutzen, die nicht von den wirtschaftlichen Begehrlichkeiten milliardenschwerer US-Konzerne getrieben werden: Moodle statt MS Teams, Libre Office statt MS Office, Linux-Distributionen wie Ubuntu oder Linux Mint statt Windows.

Diese Programme bzw. Betriebssysteme geben den Usern mehr Rechte, achten die Privatsphäre höher, sind weniger oft Ziel von Hackerangriffen und sind in der Regel weniger ressourcenhungrig als die entsprechenden Microsoft-Produkte. D. h. Linux und seine Anwenderprogramme liefern auf weniger leistungsstarken Rechnern eine bessere Performance als Windows.

Die Computer bleiben dadurch länger im Arbeitskreislauf. Das wäre auch für Umwelt und Klima eindeutig besser als die Programme eines Konzerns, der auf geplante Obsoleszenz setzt: Das heuer neu präsentierte Windows 11 lässt sich auf Geräten, die älter als 4 Jahre sind, in der Regel nicht mehr installieren. Im Jahr 2024, wenn der Support für Windows 10 eingestellt wird, sind dadurch mit einem Schlag zig Millionen Geräte softwaretechnisch reif für die Mülltonne. In Zeiten, wo Nachhaltigkeit oberstes Ziel sein sollte, ist das ein vorprogrammierter Umweltskandal.


Vertane Chance im Schulwesen

Es wäre besser gewesen, quelloffene oder europäische Office-Pakete, wie jenes der deutschen Softmaker Software GmbH, österreichweit in Schulen einzuführen. Sie erfüllen ihren Zweck genauso gut wie die überfrachteten Microsoft-Programme, und auch von der Programmoberfläche her unterscheiden sich die Alternativprogramme meist nur wenig von jenen aus der Windows-Welt. Dadurch erfordert ein Umstieg später im Berufsleben keine aufwendigen Umschulungen.

Zudem wären solche Alternativen auch im Sinn der wirtschafts- und technologiepolitischen Absichten der Europäischen Union gewesen. Denn diese verfolgt seit Jahren das ambitionierte Ziel, in Sachen Digitalisierung und digitales Know-how an die USA und China anzuschließen – freilich ohne jemals auch nur in die Nähe der Technologieführer zu kommen.

Dafür garantieren im Falle von Microsoft allein die Forschungs- und Entwicklungs-Ausgaben des Software-Giganten: Sie beliefen sich im Jahr 2021 laut statista.de auf rund 20,7 Milliarden US-Dollar (rd. 19,24 Mrd. Euro). Das ist fast um ein Drittel mehr, als sich die Europäische Union ihr Forschungsrahmenprogramm „Horizon Europe“ kosten lässt: Das schlägt jährlich mit rund 13,5 Milliarden Euro zu Buche, wobei nur ein kleiner Teil des Budgets für IT-Forschung reserviert ist.

Wer jetzt noch immer von freier Wirtschaft und Wettbewerb redet, dem man nicht ins Gehege kommen sollte, dem ist nicht zu helfen. Die Marktmacht von Microsoft ist dermaßen dominant, dass sie den wirtschaftlichen Wettbewerb als Kernwert kapitalistischer Gesellschaften ad absurdum führt.

Und durch die Omnipräsenz und die Möglichkeit, jedes mit Windows bestückte Gerät weltweit abzuhören und zu überwachen (schlag nach bei Edward Snowden), sind auch die Freiheitswerte westlicher Demokratien potentiell gefährdet.


Zerschlagt Microsoft

Es ist höchste Zeit, zumindest das Betriebssystem Windows strikt von den Anwendungen und Services zu trennen, die von Microsoft ebenfalls vertrieben werden. Denn aus Windows plus Office inkl. MS Teams plus Skype plus Clouddiensten in einer Hand erwächst ein digitaler Moloch, der längst die volle Kontrolle über die Produktivität von 90 % der Bildschirmarbeiter weltweit erlangt hat.

Big Brother ist nicht nur in China Realität, setzt aber im Fall von Microsoft ein userfreundliches Gesicht auf. Und rein aus umwelttechnischer Sicht müsste man den Konzern dazu verpflichten, entweder den Support für Windows 10 mindestens fünf weitere Jahre aufrechtzuerhalten oder aber eine Version von Windows 11 anzubieten, die auch auf älterer Hardware läuft. Damit nicht 2024 Millionen Rechner geschrottet werden müssen.

Vielleicht würde ein abgespeckter Microsoft-Konzern, der auf das Betriebssystem Windows „beschränkt“ ist (so man bei fast 90 % Marktanteil von Beschränkung sprechen kann), sich wieder ein bisschen mehr in Bescheidenheit üben, anstatt die virtuellen Schreibtische seiner User mit jedem Update ungefragt zu verändern und auch sonst jede Gelegenheit zu nutzen, einen mit neuen Features paternalistisch zu beglücken.

Und vielleicht würde sich die „Office“-Hälfte des neuen Konzerns dann endlich nach 25 Jahren künstlicher Unintelligenz überlegen, wie sich die Regeln der amtlichen deutschen Rechtschreibung korrekt in die Rechtschreibkorrektur der Office-Anwendungen implementieren lassen. Auch wenn das bei Weitem das geringste Problem ist.

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Werner Schandor

Werner Schandor ist Texter und Autor in Graz. Er ist seit 1995 in der PR tätig und hat Lehraufträge am Studiengang „Journalismus und PR“ an der FH Joanneum sowie am Institut für Germanistik der Karl-Franzens-Universität Graz. 2020 erschien sein Buch „Wie ich ein schlechter Buddhist wurde. Essays, Glossen und Polemiken“ in der Edition Keiper, Graz. Weitere Infos: www.textbox.at

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