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Harald Walach bespricht:
Niklaus Brantschen
Gottlos beten
Eine spirituelle Wegsuche

Niklaus Brantschen hat schon viele Bücher geschrieben, aber das hier ist ein besonderes Juwel. Wer ein Geschenk für den skeptischen Partner oder die auf vermeintliche Abwege geratenen Kinder sucht: hier ist es.

Denn in diesem Buch spricht der Autor über die Frage, wie Spiritualität, also der Akt, in dem man sich nach innen wendet, z.B. in einer Form der Sammlung, und die daraus entstehende Weltsicht, die im christlichen Kontext Glaube genannt wird, zusammenhängen. Er zeigt, dass man sich durchaus auch ohne Religion, ohne fixes Gedankengebäude, auf den Weg nach innen, auf den Weg zu seinen eigenen Wurzeln machen kann. Genauer gesagt, er zeigt, dass dieser Weg nach innen eigentlich immer dazu führt, dass man Gedankengebäude hinter sich lässt.

Meister Eckhart kommt ihm da zu Hilfe, den er in einigen seiner Texte zitiert, bespricht und auslegt. Eckhart hat ja bekanntlich gesagt, man müsse „Gottes ledig werden“, wenn man zur Wirklichkeit durchdringen will. Sprich: die Konzepte über Religion beiseite lassen

Der Autor legt auch nahe, dass und warum eine solche Praxis gerade heute hilfreich sein kann, in der Zeit der universellen Beschleunigung und des Verlusts der Mitte, in der uns die Fliehkräfte nicht nur von uns wegführen, sondern sogar ganz aus der Bahn zu werfen drohen.

Kann ein Atheist meditieren? Ja, kann er (oder sie), sofern er nicht darauf beharrt, dass sein kognitiver Rahmen, seine atheistische Glaubenshaltung, unverrückbar ist. Denn wenn er meditiert, geht er die Gefahr ein, diese Glaubenshaltung zu verlieren. Das ist das Wesen des Weges nach innen, dass man fixe Meinungen, atheistische wie katholische, agnostische wie buddhistische, hinter sich lässt, weil man sich der Wirklichkeit stellt, seiner eigenen inneren, aber auch der Wirklichkeit, wie sie sich zeigt.

Dass dann eine spirituelle Erfahrung nicht unbedingt dazu führt, dass man im klassischen Sinne religiös wird, das diskutiert Brantschen auch an modernen agnostischen Autoren wie André Compte-Sponville („Woran glaubt ein Atheist?“).

Das Buch ist wie ein Thema mit Variationen. Das Thema ist immer wieder das Gleiche: Warum und wie nach innen wenden? Welche Erfahrungen zeigen sich dort? Welche Konsequenzen hat das für mein Leben? Welche Probleme erwarten mich dort? Wie überwinde ich sie? Wie erreichen wir dauerhaftes und erfüllendes Glück? Das, was die Griechen „Glückseligkeit“ nannten.

Der Autor selbst beschreibt es so: „Und so handelt das Büchlein von der Kunst zu beten, zu glauben, zu leben und zu sterben. Und nicht zuletzt von der Kunst zu lieben: ars amandi. Aus all dem wird deutlich, dass es in diesem Buch nicht ausschließlich um das ‚Beten‘ geht. Es ist kein Gebetbuch, sondern will vielmehr eine Handreichung sein für eine weltoffene interreligiöse Spiritualität, die tragfähig ist.“ (S. 9)

Das Buch geht in fünf Schritten vor, die sich in fünf Teilen spiegeln: Vom Beten (ars orandi). Vom Glauben (ars credendi). Vom guten Leben (ars vivendi). Vom guten Sterben (ars moriendi). Von der Liebe (ars amandi). Die kurzen Kapitel von 4 Seiten eignen sich gut zu einer besinnlichen Lektüre am Abend, oder zum Nachsinnen durch den Tag hindurch.

Immer wieder taucht ein Grundthema auf: inwiefern sich östliche und westliche Zugänge zur Spiritualität gleichen oder unterscheiden. Dabei lernen Leser von einem Grenzgänger.

Denn Niklaus Brantschen ist in der christlichen Tradition genauso zu Hause wie im Zen. Das merkt man an vielen, oft sehr überraschenden Wendungen, wenn er altbekannte Worte, seien es Zitate aus der Bibel, aus der scholastischen Tradition oder von Dichtern in neuen Kontexten beleuchtet, sodass neue Einsichten möglich werden. Aber er kann auch östliche Traditionen, Rituale und Texte so deuten, dass sie für unseren westlichen Kontext verständlich werden. „Das eine tun, das andere nicht lassen“ gehört zu seinen wichtigsten Maximen.

Und dann erschließen sich auch so ruppige Konzepte wie das Nichts, dem im Buddhismus eine so wichtige konzeptuelle Rolle zukommt. Es ist nicht einfach der Heideggersche Abgrund. Es ist eigentlich Fülle. Aber das kann man eben nicht mit dem Intellekt allein erfassen. Dazu benötigt man das Herz, dem er auch eine kleine Abhandlung widmet. Und dann füllt sich die Formel, auf die er das Nichts gebracht hat: „Nichts wollen, und das mit ganzem Herzen.“ Das ist die beste und kürzeste Anweisung für spirituelle Praxis, die ich kenne.

Das Büchlein verdient weite Verbreitung. Vielleicht greift es ja mal ein Talkmaster oder Medienmacher auf. Und zeigt dann im Fernsehen wie das geht: Nichts wollen, und das mit ganzem Herzen. Das wäre ein Durchbruch.

Dann würden vielleicht viele den Fernseher abschaffen und stattdessen nicht in die Ferne sehen, sondern in die Nähe, nach Innen, in ihr eigenes Innen. Nicht auszudenken, was dann passieren würde. Buddha würde schmunzeln, genauso verschmitzt wie der Dalai Lama manchmal. Und Jesus, da bin ich mir ziemlich sicher, würde auf diesen kulturellen Fortschritt anstoßen.


Harald Walach
(Deutscher Klinischer Psychologe, Wissenschaftstheoretiker und -historiker. Er gehört zu den meistzitierten Forschern in seinen Fachgebieten. Homepage: https://harald-walach.de/)

Niklaus Brantschen: Gottlos beten. Eine spirituelle Wegsuche. Ostfildern: Patmos Verlag, 128 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-8436-1335-4, 19,- €

PS: Niklaus Brantschen stellte sein Buch am Dienstag, den 29. März, in der Jesuitenkirche in Innsbruck vor. Er war in seinen Anfängen als Jesuit Präfekt im Internat Stella Matutina in Feldkirch, in dem ich zur selben Zeit das Gymnasium besuchte. Eines seiner größten Wagnisse als erfahrener Bergsteiger bestand darin, uns als 12- bis 14-jährige auf die nicht ganz leicht zu erklimmenden „Drei Schwestern“ zu führen. (A.S.)

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Ronald Weinberger

    Die von Herrn Harald Walach formulierte dezidierte Empfehlung („Das Büchlein verdient weite Verbreitung“) für das Buch „Gottlos beten. Eine spirituelle Wegsuche“ des Autors Niklaus Brantschen mag gerechtfertigt sein, denn ich kenne den Inhalt des Buches nicht.
    Sie könnte alleine schon deswegen gewichtig sein, da die Kurzcharakterisierung des Herrn Walach am Ende des Blog-Beitrags einen ehemaligen (Natur)Wissenschaftler wie mich beinahe ehrfürchtig, ja durchaus auch etwas neidig, werden lässt, denn da ist u. a. zu lesen: „Er gehört zu den meistzitierten Forschern in seinen Fachgebieten.“ Das Lob durch einen Forscher mit einem derartigen Zitations-Renommee adelt vielerlei, auch ein Buch.
    Es blieb nicht aus, dass ich mich ob meiner Unwissenheit schalt, denn ich hatte von dieser promovierten und habilitierten Forscherpersönlichkeit bislang noch nichts gelesen oder gehört. Was macht man also, wenn man sich rasch über eine Person informieren möchte und dazu noch in einer Weise, die in der Regel als zumindest „ziemlich“ zuverlässig gilt?
    Man sucht in der Internet-Enzyklopädie Wikipedia. Dort wird man häufig fündig.
    Und tatsächlich: Es gibt einen umfangreichen Wikipedia-Beitrag über Herrn Harald Walach.
    Diesen begann ich zu lesen – und bereits der Konsum des ersten Absatzes bewog mich, alsdann den gesamten Beitrag durchzugehen. Was hatte mich dazu gebracht?
    Vor allem der letzte Satz des ersten Absatzes, der wie folgt lautet: „Die Wissenschaftlichkeit seiner Arbeiten wird häufig in Frage gestellt.“ Später im Beitrag werden dazu Details ausgeführt, die mich, in ihrer Gesamtheit, dazu veranlassten, diesen Kommentar zu verfassen.
    Ich will mich wiederholen: Womöglich hat Herr Walach recht (ja, ich hoffe es sogar) und das von ihm besprochene Buch mit dem Anspruch, den „Weg zu seinen eigenen Wurzeln“ zu beschreiten, bringt so mancher Leserin, so manchem Leser, etwas. Freilich schadet es nie, den Verkünder des Lobs auch gedanklich miteinzubeziehen. Dieses Miteinbeziehen anzuregen war mir ein Anliegen. Die Herren Walach und Brantschen mögen mir dies nachsehen.

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