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Literarische Korrespondenz:
Manfred A. Schmid
Betrifft:
Regietheater
Die Flucht in die Vergangenheit ist keine Lösung!


Lieber Alois!

Ich kann  deiner Ausgangsthese, dass die Originalklangbewegung und die historische Aufführungspraxis die geeignete Antwort bzw. Methode ist, das Regietheater in die Schranken zu weisen, nicht zustimmen.

Ich halte diese Bewegungen zwar für sehr wertvoll, ihnen und ihren Proponenten verdanken wir viele wertvolle Erkenntnisse über die Musik vergangener Epochen, wie sie wohl aufgeführt worden und von der zeitgenössichen Zuhörerschaft empfunden worden sein mag.

Aber wenn wir heute diese Musik im „Original“ hören, hören wir sie ganz anders als unsere Vorfahren, weil wir mit einem anderen musikalischen Erfahrungsschatz und mit anderen Erwartungen an sie herangehen. Es ist daher durchaus reizvoll, zur Abwechslung einmal Vivaldi im „Originalklang“ zu hören, aber es muss erlaubt sein, dann doch wieder auch anderen Interpretationen lauschen zu dürfen.

Was davon in heutige Aufführungen mitgenommen und übernommen werden kann, ist etwa der weitgehende Verzicht auf Vibrato bei den Streichern, ob man nun auf Originalinstrumenten spielt oder nicht. Das Meiste, was wir in die Interpretation hineinnehmen, ist unsere heutige Aus-Deutung, unter Verwendung heutiger Mittel.

Das Wichtigste, meinte Gustav Mahler, steht nicht in den Noten, ohne das weiter auszuführen. Aber man geht wohl nicht fehl, wenn man dabei an „zwischen den Noten“ und „zwischen den Zeilen“ denkt. Und diesem „Zwischen“ auch nachzuspüren, gehört zu den Aufgaben und zur Verantwortung eines jeden Interpreten. Und dabei nicht zu vergessen: Manche Werke sind klüger als ihr Autor.

Kurz: Ich denke nicht, dass man bei der Inszenierung eines Theaterstücks oder einer Oper viel von einem fiktiven Orginalklang und historischer Aufführungspraxis lernen kann. Goethe hat alle Schiller-Dramen an seinem Hoftheater in Weimar, dessen Direktor er war, aufgeführt. Wie er das gemacht hat, ließe sich kaum rekonstruieren und wäre weiters ohne Belang. Das ist ja das Großartige an den großen Werken der Weltliteratur, dass sie in jeder Epoche etwas zu sagen haben und sich dabei die Bedeutsamkeit immer wieder ändern kann.

Deshalb habe ich ja auch in meiner Abrechnung mit Kusejs Tosca geschrieben:

„Ich erwarte nicht, dass alles so ist wie immer. Ganz im Gegenteil. Die Geschichte rund um die Erpressung der Tosca durch den brutalen Despoten Scarpia, bis hin zu sexueller Nötigung, sowie die politische Verfolgung, Folterung und Hinrichtung von politisch missliebigen, freiheitsliebenden Menschen kann auch in einem anderen Milieu und zu einer anderen Zeit sinnvoll und nachvollziehbar dargestellt werden.“

Wichtig hier: „sinnvoll und nachvollziehbar“ und nicht willkürliche Umdeutung. Im vorliegenden Fall richtet sich Kusej ja selbst: Wenn sein Lokalganove Scarpia tot vor ihr liegt, sagt Tosca: „Und vor diesem Mann zittterte ganz Rom.“ Ganz Rom! Vor diesem Mann? – Ein zweites Beispiel: Das Absingen des Te Deum muss begründet sein, was hier nicht der Fall ist und keinen Sinn ergibt. Also Thema verfehlt! Danke, setzen!

Für mich ergibt sich daraus, dass Originalklang und historische Aufführungspraxis kein Allheilmittel sind, auch kein Heilmittel, nicht einmal – von Sonderfällen abgesehen – ein gangbarer Weg. Aber das ist meine ganz persönliche Meinung.

Zum Schluss noch eine – subjektive – Kritik: Die Einleitung, bis du zum Thema kommst, ist ein bisschen zu lang geraten, und mit der Gegenüberstellung Mozart – Haydn kann ich in diesem Zusammenhang wenig anfangen. Wenn man schon „gewaltig viel Noten“ anführt, sollte man auch Mozarts Antwort „Grad so viel Noten, Euer Majestät, als nötig sind“ zitieren.

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Manfred A. Schmid

Manfred Schmid hat am Konservatorium in Klagenfurt Violine und Tonsatz und an der Universität Wien Philosophie und Psychologie studiert. An der University of Strathclyde in Glasgow, wo er als Lektor tätig war, hat er ein Postgraduate-Studium der Literaturwissenschaft absolviert. Nach einigen Jahren als Universitätsdozent an der Universidad Nacional dé Mexico kehrte er nach Österreich zurück, wo er zunächst als Cheflektor und Verlagsleiter die Edition S, den Belletristik-Zweig des Verlags der Österreichischen Staatsdruckerei, leitete. Es folgten rund zehn Jahre als Redakteur bei der Wiener Zeitung (Medienressort-Leitung, Theater- und Musikkritik, Kolumnist der „Extra“-Beilage) und eine mehrjährige Tätigkeit als Trainer und Coach (Kommunikation, Berufsorientierung). In der Pension schreibt Schmid regelmäßig Opernkritiken auf www.onlinemerker.com und widmet sich intensiv dem Komponieren – eine Leidenschaft, die ihn seit der Kindheit bis heute begleitet.

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