Manfred A. Schmid
Achim Freyers „La Cenerentola"
ist an die Wiener Volksoper zürückgekehrt.
Eine Inszenierung aus der Vergangenheit
mit glänzender Gegenwart und großer Zukunft


Bei der Übernahme eines Hauses empfiehlt es sich, das übernommene Inventar zu überprüfen. Es können Schätze darunter sein.

Lotte de Beer hat das gemacht und ist fündig geworden. Achim Freyers Inszenierung von Rossinis „La Cenerentola“ aus dem Jahr 1997 stand zuletzt vor zehn Jahren auf dem Spielplan der Volksoper und entzückte, wie schon bei der Premiere vor 25 Jahren, in der kurzen Ära von Klaus Bachler, das Publikum. Dann wurde sie eingemottet, angeblich weil in der Staatsoper eine Neuinszenierung herauskommen sollte. Eine Begründung, die schon damals schwer nachzuvollziehen war. Noch dazu, wo sich Sven-Eric Bechtolfs Produktion alsbald als eine seiner schwächeren Regiearbeiten für das Haus am Ring herausstellen sollte. Schrill, bunt und überdreht, Autos inklusive.

Nun also wieder Freyers fantasievoll ausgestattete, humor- und liebevoll, mit Anleihen bei der commedia dell´arte inszenierte „Cenerentola“, einfühlsam und stimmig neueinstudiert von Dorike van Genderen.

Die unkomplizierte, überaus praktische Bühne von Maria-Elena Amos, von der auch die einfallsreichen Kostüme stammen, erfordert keine zeitraubende Umbauten und bietet den gesanglich und auch darstellerisch lustvoll und komödiantisch agierenden SängerInnen einen idealen Rahmen, um sich zu entfalten.

Das Märchen vom Aufstieg der von ihren Stiefschwestern und ihrem Stiefvater zur Dienstmagd degradierten Angelina zur Gattin von Don Ramiro, Prinz von Salerno, erfreut das Publikum mit immer neuen, entzückenden Wendungen.

Highlights sind das 24-füßige Pferd der zwölf Choristen und Cinderellas Erhöhung in der Schlussszene, wo sie, angetan mit einem weit ausladenden weißen Brautkleid, magisch hochgehoben wird: In ihrer Liebe, ihrer Fähigkeit zu verzeihen, in ihrer Bescheidenheit überragt Aschenbrödel/Cinderella einfach alle.

Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Carlo Goldstein, den Lotte de Beer als Principal Guest Conductor (Erster Gastdirigent) an die Volksoper berufen hat. Die Ouvertüre überzeugt noch nicht so recht, wirkt lieblos abgespult. Es fehlt einfach der Glanz, den Rossinis Musik ausstrahlt. Das wird dann mit den ersten Auftritten der Protagonisten auf der Bühne merklich besser und erreicht in der Cavatine „Miei rampolli femminini“ Don Magnificos endlich die angemessene Betriebstemperatur.

Misha Kiria, der georgische Bass, der jüngst als Gianni Schicchi bei den Salzburger Festspielen erfolgreich zum Einsatz kam und an der Staatsoper im vergangenen März als Dulcamara sein Hausdebüt gab, ist mit seiner unbändigen Spiellaune und mit profunder, geschmeidiger Stimme der rechte Mann, der den Funken endlich überspringen lässt. Eine überragende Leistung, die zu Recht begeistert beklatscht wird.

Die kanadische Mezzosopranistin Wallis Giunta als Angelina/Cenerentola weicht in Freyers Inszenierung etwas von der gewohnten Deutung dieser Figur ab. Gewiss nimmt sie die ihr gegenüber gezeigten Schikanen demütig auf sich, aber sie meldet sich manchmal auch mit etwas lauter werdender Stimme erregt zu Wort. Kein stiller, sondern ein deutlich vernehmbarer Protest, bevor sie dann wieder in die Haltung der stillen Dulderin zurückfindet. Die stimmlichen Herausforderungen ihrer Rolle bewältigt sie gut, die Koloraturen gelingen, in der Tiefe fehlt es ihr etwas an Durchschlagskraft.

Modestas Sedlevicius hat Dandini, den Diener von Prinz Ramiro, der mit seinem Herrn vorübergehend die Rollen tauschen und in seine Kleidung wechseln darf, schon in der Arena von Verona zum Besten gegeben. Kein Wunder, dass er auch auf der Bühne der Volksoper in dieser Partie seinen Mann stellt und sich bei den Flirts mit den bevorzugten Töchtern Don Magnificos gewitzt ins Spiel bringt.

Lauren Urquhart und Stephanie Maitland sind die verwöhnten, eitlen Töchter Clorinda und Tisbe, stimmlich und darstellerisch höchst amüsant und unterhaltsam. Jeder gelingt es, der darzustellenden Figur ein eigenes Profil zu verleihen.

Der Grammy-Gewinner Timothy Fallon ist ein höhensicherer, hell-dunkel timbrierter Rossini-Tenor, der sich gut für den incognito auf Brautschau befindlichen Don Ramiro eignet, wozu auch seine sympathische Ausstrahlung beiträgt.

Der amerikanische Bass Aaron Pendleton ist Alidoro, der Philosoph, Erzieher und Berater Don Ramiros. Der Mann, der die Fäden in der Hand hat und dafür sorgt, dass sein Schützling die richtige Wahl trifft. Üblicherweise ein würdevoller, älterer Herr, bei Freyer allerdings ein jugendlich wirkender Mann, der vor Freude auch springen und sich die Hände reiben kann, wenn alles so verläuft, wie er sich das vorgestellt hat.

Eine Inszenierung aus der Vergangenheit, der eine glänzende Gegenwart und eine große Zukunft zugebilligt werden kann. Dafür ist Lotte de Beer zu danken. Das Publikum macht das, indem es begeisterten, lang anhaltenden Applaus spendet

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Manfred A. Schmid

Manfred Schmid hat am Konservatorium in Klagenfurt Violine und Tonsatz und an der Universität Wien Philosophie und Psychologie studiert. An der University of Strathclyde in Glasgow, wo er als Lektor tätig war, hat er ein Postgraduate-Studium der Literaturwissenschaft absolviert. Nach einigen Jahren als Universitätsdozent an der Universidad Nacional dé Mexico kehrte er nach Österreich zurück, wo er zunächst als Cheflektor und Verlagsleiter die Edition S, den Belletristik-Zweig des Verlags der Österreichischen Staatsdruckerei, leitete. Es folgten rund zehn Jahre als Redakteur bei der Wiener Zeitung (Medienressort-Leitung, Theater- und Musikkritik, Kolumnist der „Extra“-Beilage) und eine mehrjährige Tätigkeit als Trainer und Coach (Kommunikation, Berufsorientierung). In der Pension schreibt Schmid regelmäßig Opernkritiken auf www.onlinemerker.com und widmet sich intensiv dem Komponieren – eine Leidenschaft, die ihn seit der Kindheit bis heute begleitet.

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