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Literarische Korrespondenz:
Andreas Braun an Alois Schöpf
Betrifft:
Meine Erfahrungen als ORF-Stiftungsrat


Lieber Alois!

Du hast vor kurzem zu Recht beklagt, dass es in Österreich für tüchtige Menschen aussichtslos sei, sich in einem staatsnahen Unternehmen, siehe ORF, zu bewerben, da ohnehin alles parteipolitisch gepackelt – siehe „sideletters“ -, hinter den Kulissen entschieden wird und folglich lediglich „lenkbare“ Persönlichkeiten für die jeweiligen Posten bestellt werden.

Meine Karriere als Stiftungsrat illustriert paradigmatisch Deinen Befund.

Wiewohl das ORF-Gesetz nach wie vor die Stiftungsräte zu absoluter Unabhängigkeit verpflichtet, schert sich die Politik keinen Deut um diesen gesetzlichen Auftrag bzw. fühlen sich die bestellten Stiftungsräte in keinster Weise an diese eindeutig normierte Vorgabe gebunden.

Zivilcouragierte Citoyens haben in diesem Staate keinen Platz, stattdessen opportunistische U-Boote und aalglatte Phrasendrescher…..siehe Dein exzellentes Psychogramm unseres Herrn BP!

Vielleicht kannst Du meine damalige Abrechnung mit der österreichischen ORF-Realverfassung aus gegebenem Anlass (unlängst Bestellung eines neuen ORF Generaldirektors) bzw. sonstiger besorgniserregender Tendenzen (jetzt wollen sich die Parteien schon die Bestellungen in der Justiz unter den Nagel reißen!) als kleinen Flashback eines naiven Tiroler Staatsbürgers im schoepfblog publizieren. Die Analyse erscheint mir weiterhin topaktuell.

Andreas



Standard vom Donnerstag 11. März 2010
Kommentar der Anderen

Andreas Braun
ORF Politik als Realsatire


Aufzeichnungen eines scheidenden Stiftungsrates, der sich dem demokratischen Ungehorsam verpflichtet fühlt, was naturgemäß mit der Realverfassung des Unternehmens kollidiert.

Die Ehre, dem Stiftungsrat des ORF fast 10 Jahre anzugehören, verdanke ich der Tiroler Landesregierung. Diese musste im Jahre 2001 aufgrund des neuen ORF-Gesetzes den Herrn Landtagspräsidenten Helmut Mader durch eine parteipolitisch neutrale Persönlichkeit ersetzen. Ich unterstelle der Tiroler Landesregierung die Redlichkeit, das neue Gesetz ernst genommen und mit mir einen parteipolitisch unzuverlässigen Menschen bestellt zu haben.

Die Ernüchterung angesichts der realpolitischen Dramaturgie des Märchens mit dem Titel „Entpolitisierung“ stellte sich prompt ein. Herr Andreas Khol ÖVP stattete mir einen freundlichen Besuch ab, bei welchem er mich in die Usancen realer Medienpolitik schwarzer Prägung sanft einführte.

Neben anderen Direktiven legte er mir insbesondere den sogenannten „Freundeskreis“ ans Herz, wo man krause Meinungen ideologisch feinfiltern sollte. Und wenn einmal die Meinungsbildung ins Stocken geriete, würden er und Herr Wilhelm Molterer höchstpersönlich mit sachkundigem Rat fürsorglich zur Seite stehen.

Ich hörte der Einführungsvorlesung des Professor Khol höflich zu und bemerkte bescheiden, dass ich als einfacher Staatsbürger das neue Gesetz befolgen und mir meine eigene Meinung bilden wolle.

Weniger höflich war ich Wochen später zu Herrn Khol: Nachdem er mich bei der Wahl des Generalintendanten/der Generalintendantin massiv zur Stimmabgabe für Frau Monika Lindner bewegen wollte, musste ich ihm bestimmt bescheiden, mich nicht mehr in Sachen ORF belästigen zu wollen.

Bei der folgenden ORF Wahl 2001 bildete ich mir sodann die angedrohte eigene Meinung und wählte statt der Frau Lindner den Herrn Wolfgang Lorenz. Auch im Jahre 2006 fühlte ich mich dem demokratischen Ungehorsam verpflichtet und wählte wiederum nicht Frau Lindner, sondern nochmals den Herrn Lorenz.

Die sportliche Ausblendung österreichischen Hausverstandes, wonach sich die Parallelwelten von gesetzlichen Vorschriften, vorauseilenden Hintergedanken, melodischen Worthülsen und der sogenannten normativen Kraft des Faktischen selbst im Unendlichen nie kreuzen, blieb nicht folgenfrei. Zum einen hatten die Landeshauptleute Kopfschmerzen mit einem Stiftungsrat, der zwar ihr Sonntagsvokabular vom Mehrwert eines unabhängigen ORF polierte, ihnen jedoch die Dauerschelte der Parteigenossen über einen von ihnen zu verantwortenden Systemfehler eintrug. Zum anderen brachte es mein systemisches Versagen mit sich, dass ich auch medial als „unabhängiger“ Stiftungsrat wahrgenommen wurde.

Vor diesem rundum peinlichen Hintergrund gab es für den Tiroler Landeshauptmann im Jänner 2010 schließlich nur einen logischen Ausweg. Bei Abwägung zwischen dem Gut der Meinungsvielfalt im Interesse einer „vierten Gewalt“ ORF einerseits und dem hohen demokratischen Wert parteipolitischer Friedhofsruhe andererseits wog letzterer schwerer.

Ein designierter Nachfolger ist nun ein sehr geschätzter Exparteisekretär der ÖVP. Seine Qualifikation soll verlässlichen Schutz gegen extemporierende Abweichungen vom khol´schen Pfade dumpfer Medientugend bieten.

Was bewog mich als Stiftungsrat? Maßgeblich der Versuch, im ORF einen Nährboden zu kultivieren, den mutige, gescheite und verrückte Menschen besiedeln, die uns allen mutige, gescheite und verrückte Fragen stellen.

Wenn dies geschehe, so meinte ich, wäre die Parteipolitik der größte Nutznießer, da ihre Protagonisten sich ermutigen und bilden müssten und so zur Sprache und zur Welt finden könnten. Kurzum eine glatte Win-Win-Situation.

Am 23.2.2010 beschloss man im Nationalrat eine neue inhaltlich sehr alte ORF-Gesetzesnovelle. Just am selben Tag hörte ich im Radiokolleg eine Analyse über den Wert öffentlich-rechtlicher Medien. Laut Ö1 Bericht wollte man auch in England die BBC parteipolitisch an die Kandare nehmen. Dies scheiterte am Widerstand einer Bevölkerung, die auf einem kritischen Diskurs in ihrer BBC beharrte.

In unserem Land jedoch wächst die Gefahr, dass die Realsatire der Parteipolitik dem satirischen Potenzial des ORF den Rang abläuft, wie die Herrn Palfrader und Dorfer in der „Die Zeit“ vom 25. 2. 2010 zutreffend befürchten. Dieser gemeinen Bedrohung wollte ich als Stiftungsrat ein wenig vorbeugen.

PS: Nachfolger Andreas Brauns als Stiftungsrat wurde der ehemalige Parteisekretär der ÖVP Tirol Helmut Krieghofer, der für sein Wohlverhalten zuletzt auch mit dem Direktorsposten des ORF Tirol belohnt wurde. Kriegshofers Nachfolger als Stiftungsrat wurde der für den Innsbrucker Tanz- und den Kufsteiner Operettensommer zuständige Kulturkaufmann Andreas Resch. Auch von ihm ist nichts zu berichten. (A.S.)

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Andreas Braun

Dr. Andreas Braun, geb.12.4.1946 in Kitzbühel. Von 1969 bis 1982 als Verwaltungs- und Verfassungsjurist im öffentlichen Dienst tätig. Ab 1982 Leiter der Tirol Werbung; in dieser Funktion setzte Braun eine Reihe innovatorischer Akzente, von der Bildsprache bis zur digitalen touristischen Vernetzung (Gründung der TIS Ges.m.b.H). Anfang 1995 wechselte Braun als Kommunikationsmanager zur Swarovski-Gruppe. Als erste Initiative gelang es ihm, die "Swarovski Kristallwelten" als neues Pilotprojekt einer Verschmelzung von Industrie, Tourismus und Kultur erfolgreich kommerziell und kommunikativ zu positionieren sowie eine neue Unternehmensidentität für einen traditionellen Industriebetrieb zu formen. Die Swarovski Kristallwelten sind das erfolgreichste Modell eines sogenannten „third place“ in Europa und rangieren nach Schönbrunn als eine der bestbesuchten Attraktionen Österreichs. Braun ist bis Ende 2011 Geschäftsführer der d. swarovski tourism services gmbh, die neben den Swarovski Kristallwelten und Swarovski Innsbruck auch Swarovski Wien betreibt. Von Anfang 2012 bis Ende 2015 ist Braun Geschäftsführer der Destination Wattens Regionalentwicklung Gmbh (u.a. Konzeption der „Werkstätte Wattens“). Vielseitige internationale Vortragstätigkeit und essayistische Beiträge zu Kultur, Wirtschaft und Tourismus in diversen Medien.

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