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Helmuth Schönauer
Schön spieli!
Stichpunkt

„Hätte hätte ‒ Lieferkette!“ Dieser Seufzer über die Schwachstellen der Globalisierung dringt mittlerweile aus jedem Kommentar, der von einer Katastrophe berichtet.

Also muss man auch als Glossist diesen Lieferketten-Schwachsinn ansprechen, wenn man beispielsweise von der Katastrophe berichten soll, dass die Kinder heuer zu Weihnachten kein Spielzeug haben werden.

Tatsächlich fürchten sich Eltern, Großeltern und Pflegeeltern vor diesen Weihnachten wie noch nie zuvor. Was ist, wenn wirklich keine Spielzeuge mehr im Shoppingcenter auftauchen sollten? Was lege ich dann unter den Christbaum? Und wie erkläre ich es dem Kind, wenn es mit den von brüchigen Alt-Konsolen aufgerissenen Spielfingern ins Leere greifen wird?

Hilfe, kein Spielzeug! ‒ Diesen Notruf werden sich die entsprechenden Einrichtungen für psychische Zusammenbrüche in dieser familiären Ausnahmezeit massenhaft anhören müssen.

Dabei gibt es nicht nur wegen des Klimawandels nichts Blöderes als Spielzeug, das in rar gewordenen Containern angekarrt wird. Spielzeug hat heutzutage eine Halbwertszeit von einer halben Stunde, verbraucht gefährliche Knopfzellen und besteht aus fragwürdigen Klebstoffen. Wenn die Gebrauchsanweisung abgearbeitet ist, kann das Gerät auch schon wieder verschmissen werden, denn der Erlebniswert ist jenseits des Auspackens und Hochfahrens gleich null.

Die Spielzeug-Käufer wissen das und kaufen aus schlechtem Gewissen gleich ein zweites Spielzeug dazu, damit das beschenkte Kind wenigstens eine Stunde lang (2 x halbe pro Installation) beschäftigt ist.

Es gilt nämlich, Zeit zu kaufen, die man sonst mit dem Kind verbringen müsste, während man nicht weiß, wie man sie (es?) totschlagen soll.

An dieser Stelle sollte man als Glossist den klugen, weil preisgünstigen Rat einbauen: Schenkt doch einfach Zeit! Tatsächlich wird noch nichts davon berichtet, dass die Lieferkette der Zeit irgendwo unterbrochen wäre.

Was das Spielzeug betrifft, lohnt sich immer ein Vergleich zwischen den Generationen. Die Alten nämlich wollen immer das an Spielzeugen nachholen, was sie selbst nicht zur Verfügung hatten.

Aus den 1950-Jahren ist mir eine witzige Bemerkung eines Spiel-Psychologen in Erinnerung. Die Mütter jener Kids, für die in der Nachkriegszeit keine Kindergartenplätze zur Verfügung standen, wurden als Ersatz dafür regelmäßig mit Informationen und Schulungen beglückt. In einer solchen Anleitung stand der schöne philosophische Absatz, den wahrscheinlich niemand außer ich, das spielende Kind, verstanden hat.

„Spielen nennt man den Vorgang, wenn man Arbeitsgeräte einem neuen Gebrauch unterwirft und statt der Arbeit das Spiel als Regel einsetzt. Spielen kann man also nur mit dem, was da ist und in ein Spiel verwandelt werden kann. Wenn ich extra etwas anliefern lasse, um damit zu spielen, mache ich Arbeit, denn ich tue das, was damit vorgesehen ist.“

Nach dieser Definition wären die Konsolen, Programme und Apps ja immer als Arbeit anzusehen und daher nur schwer spielgerecht abzuarbeiten.

Tatsächlich können die Kids von heute nur noch ganz selten mit vorhandenem Material, etwa einer Hundswurst am Gehsteig, etwas spielerisch anfangen. Für alles, was gespielt wird, gibt es eine Anleitung und Zeitvorgaben. Das befreiende Spiel für nichts und wieder nichts ist höchst selten anzutreffen.

Ein Befehl besorgter Pädagoginnen aber erschallt nach wie vor über die Spielplätze dieser Welt. Wenn das Kind nicht mehr mag, wird ihm eiskalt zugerufen: „Schön spieli!“

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. rudolf lasselsberger

    „wie erkläre ich es dem Kind, wenn es mit den von brüchigen Alt-Konsolen aufgerissenen Spielfingern ins Leere greifen wird?“
    köstlich, danke, lieber h.!

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