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Sehr geehrte Landeshauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe!

Ich habe in meinen Zeitungskolumnen schon oft die Grünen, aber auch Sie persönlich kritisiert. Dies, glaube ich, autorisiert mich in besonderer Weise, mich bei Ihnen zu bedanken und Ihnen meine größte Hochachtung auszusprechen. Sie sind trotz aller politischen Auseinandersetzungen eine Humanistin geblieben!

Der nicht ganz zum Weltbürger sozialisierte Zillertaler und aus dem Bauernbund stammende Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Geisler hat mit seiner Bemerkung vom „widerwärtigen Luder“ zweifelsfrei etwas gesagt, das sich nicht gehört. Sie wissen allerdings auch als direkt Beteiligte, dass er dies in einer Weise tat, die man in einem Theaterstück als „beiseite gesprochen“ bezeichnen würde. Seine Aussage war nicht in beleidigender Absicht an die auf ihn einpredigende Frau Götsch gerichtet, sondern eher an Sie als seine Amtskollegin, und zwar so leise, dass nicht einmal Sie als unmittelbar Danebenstehende genau verstanden, was er sagte. Auch dem Fernsehpublikum wurde ein Verständnis erst möglich, indem seine Bemerkung auf den Filmaufnahmen durch Untertitel weniger hörbar als lesbar gemacht wurde. Nur dadurch nämlich konnte seine verbale Entgleisung ihre von militanten Bürgerinitiativen immer wieder durch bewusste Provokation hervorgerufene agitatorische und mediale Wirkung entfalten.

Dies ist denn auch vollinhaltlich gelungen. Josef Geisler musste sich in demütigender Weise mehrfach entschuldigen und war dem Shitstorm, der auf ihn niederging, intellektuell in keiner Weise gewachsen. Dass Sie in diesem Zusammenhang glaubhaft, nicht nur um die Koalition zwischen ÖVP und Grünen zu retten, sondern, wie ich zu behaupten wage, aus der inneren Überzeugung einer menschenfreundlichen Natur heraus von „Versöhnung“ sprachen, um den Konflikt beizulegen, ehrt Sie. Es ehrt Sie vor allem deshalb, weil Sie auch bei dieser Ansicht blieben, als Sie von Parteikolleginnen und Kollegen dafür angegriffen wurden und sogar für kurze Zeit die Gefahr zu bestehen schien, dass Sie als Belohnung für ihre Menschlichkeit aus dem Amt gejagt würden.

Rufen Sie bitte ihren Kritikerinnen und Kritikern in Erinnerung, weshalb die Grünen bei der vorletzten Wahl aus dem Parlament gewählt wurden. Die Bürgerinnen und Bürger schätzen es nicht, Personen in politische Ämter zu wählen, die als noch so honorige Vertreter radikaler Minderheiten für unfähig eingeschätzt werden, sich pragmatisch die Gesamtheit eines Staates angelegen sein zu lassen. Letzteres ist denn auch der Grund, weshalb ein Werner Kogler die Rückkehr der Grünen ins Parlament in die Wege leiten konnte. Es ist aber auch der Grund, dass die derzeitige grüne Regierungsmannschaft mit ihm, Rudolf Anschober, Alma Zadić und Leonore Gewessler ein hohes Ansehen genießt. Die Österreicherinnen und Österreicher trauen ihnen zu, für alle da zu sein, mit allen reden zu können und in Folge davon nicht fundamentalistisch zu träumen, sondern pragmatisch in einer komplexen Welt faktenbasierte (Anschober) Lösungen zu finden. Genau dies ist auch der Grund, dass ein Georg Willi in Innsbruck als Bürgermeister fest im Sattel sitzt und von vielen geschätzt wird, die den Grünen durchaus distanziert gegenüberstehen.

Vielleicht sollten Sie aber auch jenen, die noch immer den Rücktritt von Josef Geisler verlangen und von Versöhnung nichts wissen wollen, sie vielmehr kategorisch ablehnen, in einem diskreten Gespräch klarmachen, dass es genau diese Fähigkeit oder Unfähigkeit zur Versöhnung ist, die aus einem Eintreten für die Umwelt Ökofaschismus und aus einem Eintreten für die Emanzipation der Frau militanten Feminismus macht. Dass überhaupt die Grenzlinie zwischen demokratischem Humanismus und mörderischem Totalitarismus zwischen der Bereitschaft zur Versöhnung und einer aus ideologischen Gründen mangelnden Bereitschaft dazu verläuft.

Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung

Alois Schöpf

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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